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Was Gefühle zum Problem macht

In diesem Kapitel wird gezeigt, was genau die Negativität von Gefühlen ausmacht, welche Funktion negative Gefühle haben und in welchem Zusammenhang sie mit unseren Stimmungen, Emotionen und Affekten stehen.

In allen Situationen, die wir als emotional problematisch erleben, ist immer ein und derselbe Faktor am Werke: die schmerzhafte, unlustbetonte, abstoßende, unangenehme, unattraktive Gefühlskomponente. Das gilt gleichermaßen für Trauer, Melancholie, Depression, Angst, Unruhe, Unbehagen, Ärger, Sorge, Eifersucht, Misstrauen und alle anderen negativen Gefühle. Gleichgültig, wie viele Eigenschaften wir sonst noch am negativen Gefühl oder an der problematischen Situation entdecken können – entfernen wir die negative Gefühlskomponente, verliert das Problem sofort seine Bedeutung für uns. Salopper ausgedrückt: „Es tut uns nicht mehr weh!“

Um zu realisieren, was das Unangenehmsein ist, stellen Sie sich einmal vor, dass Sie sich auf sehr schmerzhafte Weise Ihr Knie am Tischbein stoßen. Versetzen Sie sich dabei für einen Moment in die Haltung des Analytikers.

Sie können an der Situation mehrere Momente erkennen, die klar von einander zu unterscheiden sind: das Tischbein und Ihr Knie, Ihre Ungeschicklichkeit und den Schmerz.

Dabei ist der Schmerz eine unbestreitbar subjektive Erfahrung. Was Sie da spüren, spüren Sie ganz allein. Sie sind, nebenbei bemerkt, sogar der einzige, der dieses Schmerzes absolut gewiss sein kann:

„Streng genommen ist der Zahnschmerz meines Mitmenschen letztlich eine Hypothese, eine Unterstellung, eine Annahme meinerseits, also ein vermuteter Schmerz. Mein eigenes Zahnweh hingegen ist indiskutabel. Im Grunde können wir niemals sicher sein, ob der Freund, der uns Zahnschmerzen kundtut, sie wirklich hat“, sagt der spanische Philosoph Ortega y Gasset.

Wir würden einen Schmerz auch niemals mit den Dingen, in unserem Beispiel dem Tischbein, oder unserer Unachtsamkeit verwechseln. Er ist eine innere Erlebniskategorie besonderer Art. Was ihn so anders macht im Vergleich mit Objekten, Vorstellungen und Gedanken und allem anderen auf der Welt, ist eben, dass er schmerzhaft, dass er unangenehm, negativ ist. Wir lehnen ihn zu Recht ab. Wir wollen, dass er aufhört. Wir hätten ihn gern vermieden. Wir wollen ihn in Zukunft vermeiden. Und dass das so ist, darüber lassen wir auch nicht mit uns diskutieren. Dass Schmerz unangenehm ist und dass man ihn besser vermeiden sollte, ist evident.

Vielleicht messen Sie dem Schmerz ja darüber hinaus noch einen Sinn bei und argumentieren, so warne Ihr Körper Sie davor, ihm Schaden zuzufügen. Das ist zweifellos richtig. Aber rein für sich allein gesehen bleibt der Schmerz doch eine evidente negative Erlebnisqualität.

Bei der Trauer, der Melancholie, Depression, Angst, Unruhe, bei Unbehagen, Wut, Ärger, Sorge, Eifersucht, Misstrauen und allen anderen negativen Gefühlen verhält es sich genauso.

Zwischen Gefühlen, Wertgefühlen, Emotionen, Stimmungen und Affekten besteht so gesehen kein nennenswerter Unterschied. Was wirklich wichtig an ihnen ist und was unser Verhalten und unsere Motivationen vielfach noch vor der Sacheinsicht steuert, ist in allen fünf Kategorien gleich. Und dies gilt auch für die zahllosen negativen Gefühlsimpulse, die wir den ganzen Tag über empfinden und die uns unter anderem schon deswegen kaum bewusst werden, weil wir für sie gar keine Bezeichnungen haben.

Es sind subjektive Erlebniskategorien, deren Negativsein evident ist. Wir verschwenden nur gewöhnlich keinen Gedanken daran, uns klarzumachen, dass es sich bei allem Negativen immer um dasselbe handelt.

Und für das Positive gilt, wie wir im Kapitel 6 noch genauer sehen werden, das Gleiche – mit dem Unterschied, dass es angenehm ist. Hier verlangen wir danach, wollen festhalten, genießen, uns Befriedigung verschaffen und tun alles – und oft genug sogar zu viel –, um uns in den Genuss des Positiven zu bringen.

Die Natur verfügt so gesehen nur über ein sehr beschränktes Programm, die Dinge für uns abstoßend oder attraktiv zu machen.

Es gibt nur diese beiden Muster! Aber aus der Verbindung des Positiven und Negativen mit den übrigen Erfahrungen entstehen unzählige neue Erlebnisqualitäten. Wir nehmen die Welt also durch unsere Brille des Positiven und Negativen wahr. Und dieses Positive und Negative ist nicht lediglich gedacht, wie man voreilig glauben könnte – wie etwa in den Urteilen Zwei und zwei ist vier oder Dies ist ein Dreieck –, sondern eben gefühlt, d.h. schmerzhaft oder lustvoll, angenehm oder unangenehm.

Diese intellektuelle Entdeckung, die jeder für sich selbst machen muss, hat weit reichende Folgen für den Umgang mit unseren Gefühlen. Meist generalisieren wir nämlich nicht genug, wir bringen das Problem wie schon erwähnt nicht auf den Punkt. Es ist als könnten wir vor lauter Bäumen – das sind in diesem Bild unsere Probleme – den Wald nicht mehr sehen. Und der Wald, das ist unser Generalbegriff, der gemeinsame Nenner aller Probleme: ihr Unangenehmsein.

Nun könnte man argumentieren: Überlassen wird diese Generalisierung doch lieber den Psychologen und Philosophen. Hier zeigt sich jedoch, wie leicht wir uns eines unerhört wirksamen Instruments im Alltag berauben, wenn wir nicht genau genug hinsehen. Entgeht uns nämlich das Gemeinsame aller negativen Gefühle, dann können wir dieses Moment auch nicht als Instrument in der Technik des desensibilisierenden Blicks benutzen, wie sich noch zeigen wird.

Es fällt uns viel schwerer, zu verstehen, was die der desensibilisierende Blick ist, wenn wir diese Unterscheidung nicht gemacht haben. Deshalb sagt der Philosoph Immanuel Kant zu solchen Problemen: „Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“

Stehen Sie drüber!

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