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Vorübung 1:

Fokussierung auf negative Gefühle

Setzen Sie sich in einen bequemen Sessel. Am besten geeignet ist ein ruhiger, abgedunkelter Raum. Schließen Sie die Augen und entspannen Sie sich. Dabei sollten Ihre Beine nicht übereinandergeschlagen und die Arme nicht verschränkt sein, weil sonst unnötige Muskelanspannungen entstehen.

Für diese Übung ist es günstiger, wenn Sie nicht zu viel gegessen, keinen Alkohol getrunken und keine Psychopharmaka eingenommen haben.

Lassen Sie etwa eine halbe Minute lang alle Wahrnehmungen zu, gleichgültig, ob es sich um Geräusche oder um Gefühle, Gedanken oder Vorstellungen handelt. Kümmern Sie sich nicht darum. Verfolgen Sie diese Eindrücke nicht weiter, sondern akzeptieren Sie alles so, wie es sich von allein einstellt.

Lassen Sie nun Ihre Aufmerksamkeit durch den Körper wandern und suchen Sie dabei nach unangenehmen Gefühlen. Das könnte z. B. ein Schmerz oder ein Spannungsgefühl sein. Oder eine Stimmung, ein Unbehagen. Vielleicht ist dieses Gefühl auch so subtil, dass Sie es über sein Unangenehmsein hinaus gar nicht genau benennen oder zuordnen können.

Es geht weniger darum, etwas richtig zu benennen, als zu fühlen!

Oder es kommt Ihnen statt körperlicher Gefühle oder Stimmungen irgendein Gedanke in den Sinn, eine unangenehme Erinnerung oder ein Problem? Vielleicht sogar eine Angst? Gleichgültig ob körperlich oder geistig, ob grob oder subtil: Richten Sie einfach nur Ihre Aufmerksamkeit auf den negativen Gefühlsaspekt.

Versuchen Sie dabei von allen anderen Faktoren abzusehen. Es ist nicht wichtig, ob es sich um Ihren Fuß, die Brust oder den Kopf handelt. Es ist nicht wichtig, ob das negative Gefühl stark oder schwach ist. Denken sie nicht weiter darüber nach!

Fragen Sie auch nicht nach Gründen für Ihre Gefühle. Versuchen Sie nicht zu interpretieren oder zu bewerten. Lassen Sie Gedanken, die sich dabei spontan einstellen, einfach als das stehen, was sie sind und kehren Sie dann zum negativen Gefühl zurück.

Verfahren Sie genauso mit Gefühlen, die sich spontan an Gedanken, Vorstellungen oder Erinnerungen äußern. Das mag z. B. eine angstbesetzte Situation sein oder irgendeine Schwäche oder Hemmung. Gleichgültig, welche Situationen Ihnen in den Sinn kommen, die unangenehm sind: Sehen Sie von allem ab, was Ihnen noch dazu einfallen könnte. Lassen Sie etwaige Assoziationen einfach so stehen, wie sie sich von allein ergeben. Kehren Sie zum negativen Gefühlsaspekt zurück.

Strengen Sie sich bei dieser Übung nicht an. Bleiben Sie entspannt. Konzentration würde unter Umständen so starke Muskelanspannungen erzeugen, dass feinere negative Gefühle gar nicht mehr wahrgenommen werden.

Isolieren Sie einfach nur durch Ihre Aufmerksamkeit das Unangenehmsein des Gefühls. Sollte es sich verflüchtigen, dann suchen Sie nach einem anderen negativen Gefühl.

Was Ihnen in dieser Übung demonstriert werden soll, ist, dass negative Gefühle isoliert von ihrer Bedeutung und anderen Wahrnehmungen betrachtet werden können. Dabei lässt sich erkennen, dass es sich immer um das Gleiche handelt. Ob Kopfschmerz, Sorge oder Angst, ob Sodbrennen oder Spannungsgefühle, ob Hitze oder bedrückende Erinnerungen – es geht nur um den Faktor des Unangenehmseins.

Beenden Sie die Übung nach einigen Minuten. Bleiben Sie noch etwa ein bis zwei Minuten mit geschlossenen Augen sitzen, ohne irgendetwas zu tun, ehe Sie wieder die Augen öffnen.

Wozu dient diese Vorübung? Sie haben soeben den ersten und entscheidenden Schritt getan, um den desensibilisierenden Blick einzusetzen! Worin genau diese Technik besteht und worauf ihre frappierende Wirksamkeit beruht, wird in den folgenden Kapiteln gezeigt.

Unsere Alltagssprache drückt meist recht drastisch aus, dass wir unangenehme Gefühle haben: Wir sind „schlecht drauf“, „nicht gut in Schuss“, haben „keine Lust“, können etwas „nicht leiden“, sind „nicht in der Stimmung“, haben „die Nase voll“, uns „läuft die Galle über“. Wir „fühlen uns zum Kotzen“, bekommen „einen dicken Hals“, „haben genug“. Etwas ist „widerlich“, „unerträglich“, „nicht auszuhalten“, ein „Alptraum“, „schockierend“, „ekelhaft“.

Bemerken Sie, dass hier immer ein und derselbe Faktor am Werke ist? Und dass Sie ohne ihn gar nicht „schlecht drauf“ sein oder „die Nase voll“ haben könnten?

Wir bringen das alles nur im Alltag meist nicht auf den Punkt – und so entgeht uns auch eine der wirksamsten und universellsten mentalen Methoden, Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.

Stellen Sie sich, um sich das Problem dahinter zu veranschaulichen, eine geometrische Zeichnung mit verwirrenden Linien vor. In diesem Liniengewirr sollen alle möglichen geometrischen Formen enthalten sein, also Kreise, Quadrate, Rechtecke, Ovale, Dreiecke, aber auch Formen, für die wir gar keinen Namen besitzen.

Solange wir noch keine Vorstellung vom Dreieck haben, wird es uns schwer fallen, Dreiecke in diesem Liniengewirr ausfindig zu machen. Es ist nicht unmöglich, aber bei weitem nicht so leicht wie im gegenteiligen Fall. Suchen wir jedoch mithilfe des Begriffs gezielt nach Dreiecken, werden wir diese geometrische Form auch finden.

In einer ähnlichen Situation ist der Alltagsmensch mit seinen Gefühlen: Es fehlen ihm die Begriffe, die das Gefühl erst zum Gefühl werden lassen.

Dies macht deutlich, dass unsere Technik des desensibilisierenden Blicks um so wirksamer sein wird, je besser wir verstehen, worum es geht. Denn sie nutzt den gemeinsamen Nenner der Gefühle. Psychologische und philosophische Unterscheidungen sind hier also kein Selbstzweck, sondern helfen Missverständnisse zu vermeiden.

Stehen Sie drüber!

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