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ОглавлениеVORÜBUNG 2: Fokussierung des Blicks auf positive Gefühle
Setzen Sie sich wieder wie in Vorübung 1 in einen bequemen Sessel. Am besten geeignet ist ein ruhiger, abgedunkelter Raum. Schließen Sie die Augen und entspannen Sie sich. Dabei sollten Ihre Beine nicht übereinandergeschlagen und die Arme nicht verschränkt sein, weil sonst unnötige Muskelanspannungen entstehen. Für alle Übungen ist es günstiger – um es noch einmal zu wiederholen –, wenn Sie nicht zu viel gegessen, keinen Alkohol getrunken und keine Psychopharmaka eingenommen haben.
Lassen Sie etwa eine halbe Minute lang alle Wahrnehmungen zu, gleichgültig, ob es sich um Störungen, z.B. Geräusche oder um Gefühle, Gedanken oder Vorstellungen handelt. Kümmern Sie sich nicht darum. Verfolgen Sie diese Eindrücke nicht weiter, sondern akzeptieren Sie alles so, wie es sich von allein einstellt.
Lassen Sie nun Ihre Aufmerksamkeit durch den Körper wandern und suchen Sie dabei anstelle der unangenehmen Gefühle wie in Vorübung 1 nach angenehmen Gefühlen. Das könnte z. B. ein Wohlbehagen oder ein Gefühl der Kraft oder der Ruhe sein. Oder eine Stimmung, gute Laune. Vielleicht ist aber dieses Gefühl auch so subtil, dass Sie es über das Angenehmsein hinaus gar nicht genau benennen oder zuordnen können.
Auch in dieser Übung geht es weniger darum, etwas richtig zu benennen, als zu fühlen!
Oder es kommt Ihnen statt körperlicher Gefühle oder Stimmungen irgendein Gedanke in den Sinn, eine angenehme Erinnerung oder eine Vorfreude? Vielleicht denken Sie auch an etwas, das Ihnen besonders viel Spaß macht?
Gleichgültig ob körperlich oder geistig, ob grob oder subtil: Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit diesmal nicht wie in Vorübung 1 auf den negativen, sondern auf den positiven Gefühlsaspekt.
Versuchen Sie dabei von allen anderen Faktoren abzusehen. Es ist nicht wichtig, ob es sich um Ihren Fuß, die Brust oder den Kopf handelt. Es ist nicht wichtig, ob das positive Gefühl stark oder schwach ist. Denken sie nicht weiter darüber nach!
Fragen Sie auch nicht nach Gründen für Ihre Gefühle. Versuchen Sie nicht zu interpretieren oder zu bewerten. Lassen Sie Gedanken, die sich spontan einstellen, einfach zu und kehren Sie dann zum positiven Gefühl zurück.
Verfahren Sie genauso mit Gefühlen, die sich spontan in Gedanken, Vorstellungen oder Erinnerungen äußern. Sehen Sie von dem ab, was Ihnen noch dazu einfallen können. Lassen Sie etwaige Assoziationen einfach so stehen, wie sie sich von allein ergeben. Kehren Sie zum positiven Gefühlsaspekt zurück, sobald Sie Ihren Abschweifung bemerken!
Strengen Sie sich bei dieser Übung nicht an. Bleiben Sie entspannt. Konzentration könnte unter Umständen so starke Muskelanspannungen erzeugen, dass feinere positive Gefühle gar nicht mehr wahrgenommen werden.
Isolieren Sie einfach nur durch Ihre Aufmerksamkeit das Positivsein des Gefühls. Sollte es sich verflüchtigen, dann suchen Sie nach einem anderen positiven Gefühl.
Lassen Sie, wenn Ihnen dabei anstelle des positiven ein negatives Gefühl in den Blick kommt, sein Unangenehmsein einfach so stehen, wie es sich von selbst zeigt. Versuchen Sie nicht, es zu vertreiben oder zu verleugnen! Sie müssen es weder gutheißen noch verurteilen. Auch wenn es sehr unangenehm ist – kehren Sie einfach in neutraler Haltung ohne weitere Absicht und Erwartung zu seinem „Kontrahenten“, dem positiven Gefühl zurück.
Was Ihnen in dieser Übung ergänzend zur Übung 1 demonstriert und bewusster als gewöhnlich gemacht werden soll, ist, dass positive Gefühle genauso wie negative Gefühle isoliert von ihrer Bedeutung und anderen Wahrnehmungen betrachtet werden können.
Der Gedanke an den Urlaub (seine Bedeutung) ist nicht einfach gleichzusetzen mit dem positiven Gefühlslicht, in dem Sie den Urlaub sehen (oder auch nicht). Den Urlaub hinsichtlich seiner sachlichen Dimension zu erfassen, heißt einfach nur, zu verstehen, worum es sich handelt. Sie bleiben im Inland oder fliegen ins Ausland. Ihr Urlaub dauert zwei oder drei Wochen. Sie wohnen im Hotel oder auf dem Campingplatz. Das alles sind Beispiele für sachlichen Bedingungen.
Davon unterschieden werden kann das Gefühl der Vorfreude, das sich mit Ihren Vorstellungen an den Urlaub verbindet – das angenehme Gefühlslicht. Und dieser Aspekt kann wie gesagt isoliert betrachtet werden, auch wenn das zunächst ein ungewohnte Einstellung für Sie sein mag.
Nehmen Sie diese Haltung auf jeden Fall ernst, denn sie ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Technik des desensibilisierenden Blicks!
Vielleicht fühlen Sie sogar den Ort des positiven Gefühls? Es kann sich in einer Körperempfindung manifestieren. Womöglich ist das Gefühl in der Brust oder im Bauch?
Unter Umständen ist es aber auch nicht lokalisierbar, sondern „irgendwie“ und „irgendwo“ in den Gedanken. Und den Ort der Gedanken können wir bekanntlich nicht so gut bestimmen wie ein Körpergefühl. Wir glauben zwar, dass Gedanken im Kopf sind, im Gehirn. Aber fühlen kann man das genau genommen nicht.
Häufig sind positive Gefühle etwas schwerer zu unterscheiden und von den Dingen zu trennen als negative Gefühle. Wir folgen zwar intuitiv mit größter Sicherheit dem, was sich positiv anfühlt – z.B., wenn wir „Lust auf etwas haben“, Lust ins Kino oder Theater zu gehen oder Musik zu hören –, aber die isolierte Betrachtung des positiven Gefühls fällt uns in vielen, wenn auch nicht in allen Fällen, etwas schwerer. Sehr leicht können wir uns z.B. auf die Lust fokussieren, die in einer Versuchung liegt.
Auch bei den positiven Gefühlen lässt sich also wieder erkennen, dass es sich immer um das Gleiche handelt. Ob Wohlbehagen, ein Gefühl der Kraft oder Ruhe oder gute Laune; ob die Schönheit einer vorgestellten Landschaft, ob eine positive Erinnerung, ob Vorfreude – es geht immer um den Faktor des Angenehmseins.
Beenden Sie die Übung nach einigen Minuten. Bleiben Sie noch etwa ein bis zwei Minuten mit geschlossenen Augen sitzen, ohne irgendetwas zu tun, ehe Sie wieder die Augen öffnen.
Wozu dient diese zweite Vorübung? Sie haben soeben den ersten und entscheidenden Schritt getan, um den desensibilisierenden auch auf positive Gefühle auszudehnen. Das ist besonders wichtig, wenn wir uns von Süchten und anderen Versuchungen befreien wollen!