Читать книгу Stehen Sie drüber! - Peter Schmidt - Страница 13

7

Оглавление

Der Umgang mit Gefühlen, Emotionen, Affekten und Stimmungen

Dieses Kapitel macht deutlich, dass Gefühle, Emotionen, Affekte und Stimmungen einen gemeinsamen Nenner haben und dass die Ausrichtung („Fokussierung“) der Aufmerksamkeit auf ihren gemeinsamen Nenner und ihre verschiedenen Intensitätsgrade durch Zulassen und neutrales, nicht-bewertendes Betrachten emotionalen Problemen ihre besondere Dynamik nimmt.

Wir haben gefunden, dass Gefühle einen gemeinsamen Nenner haben, nämlich ihr Angenehm- und Unangenehmsein. Diese Eigenschaften – im weitesten denkbaren Sinne verstanden – sind das entscheidende Kennzeichen der Gefühle.

Gefühle haben zwar viele Funktionen: Sie konstituieren unsere Werterfahrungen. Gefühle zeigen uns an, was wahrscheinlich ist. Gefühle warnen uns vor Gefahren und Schäden. Aber sobald Gefühle für uns ein Problem darstellen, handelt es sich immer darum, dass sie entweder unangenehm oder angenehm oder sogar beides sind. Dazu einige Beispiele:

Man ärgert sich in einer Situation – und man ärgert sich womöglich sogar darüber, dass man sich ärgert. Unser emotionales Gefangensein im Ärger und der Ärger über den Ärger stellen dann das emotionale Problem dar. Wäre dieser Ärger nicht unangenehm, dann würde uns der emotionale Aspekt des Ärgers ziemlich gleichgültig sein.

Um sich zu ärgern, müssen Sie natürlich die Situation verstehen. Sie müssen wissen, was passiert. Jemand hat Ihnen den Job weggeschnappt. Ihr Auto wurde auf dem Parkplatz beschädigt. Nicht Sie, sondern Ihr Kollege wird befördert, obwohl Sie viel länger in der Firma arbeiten. Aber das reicht noch nicht aus, um sich wirklich zu ärgern. Könnten Sie bei diesen Problemen per Knopfdruck Ihre Gefühle abschalten, dann würden Sie sich gar nicht ärgern. Sie würden nur registrieren, was passiert ist.

Und wahrscheinlich würden Sie darüber hinaus noch ganz nüchtern – intellektuell – resümieren, das sei negativ.

Oder Sie sind der Spielsucht verfallen. Nehmen wir an, Sie können nicht aufhören, Ihr ganzes Geld in Automaten zu werfen. Das Spiel ist so attraktiv für Sie, die Lust so groß, dass Sie nicht mehr davon lassen wollen. Dann ist das angenehme Gefühl zum Problem geworden. Zusätzlich empfinden Sie möglicherweise sogar unangenehme Gefühle – etwas wie „Entzugserscheinungen“ –, wenn Sie sich zwingen sollen, zu verzichten.

Ähnlich emotional bindend und dadurch problematisch ist die Eifersucht. Wir können uns zwar sehr wohl vorstellen, dass wir in einer Situation, die Eifersucht erzeugt, emotional gelassen bleiben – spontan, oder weil wir das gerade so wollen. Dann erfassen wir die Situation wie oben beschrieben überwiegend intellektuell, wir verstehen ihre Bedeutung – so wie man „zwei und zwei ist vier“ erfasst. Dabei mag es wiederum durchaus sein, dass wir ganz klar einen Unwert für uns sehen. Unser Partner könnte sich z.B. von uns trennen wollen, und das erscheint uns als „Unwert“.

Vielleicht ist diese Erfahrung sogar zusätzlich von leichten Gefühlen der Eifersucht begleitet, die uns nicht sonderlich zu schaffen machen.

Oder aber – das ist die andere, die typische Möglichkeit –, wir werden von der ganzen Wucht der Emotion getroffen. Sie ist unerträglich und treibt uns womöglich sogar zur Raserei, zu unüberlegtem Verhalten, zur Kurzschlussreaktion, ja zur Gewalt im Affekt. Halten wir also fest:

Sowohl negative wie positive Gefühle können zu Problemen werden. Gefühle können verschiedene Intensitätsgrade haben.

Wir fühlen uns mehr oder weniger gehemmt, haben mehr oder weniger Lampenfieber, sind mehr oder weniger nervös, mehr oder weniger beleidigt.

Was ist es eigentlich, das dabei mehr oder weniger große Intensität hat?

Es ist nicht die bloß inhaltliche erfasste „Bedeutung“ des Problems, seine Qualität und Quantität – so als würde man bei einem Krieg davon reden, dass tausend Gefallene ein größerer Verlust sind als einer. Sondern der Intensitätsgrad des Gefühls beruht auch hier wieder in nichts anderem als in der Intensität des Angenehm- und Unangenehmseins:

Wie stark fühlen wir Lust oder Schmerz?

Wie sehr tut es weh?

Wie stark verlockt uns das attraktive Gefühl?

Natürlich wird das Gefühl durch die Situation ausgelöst. Gäbe es nicht den Anlass, z.B. den Grund für unseren Ärger, unsere Spielsucht oder Eifersucht, wäre auch das Gefühl kein Problem. Und der Intensitätsgrad des Gefühls hat oft – wenn auch nicht immer – mit der Qualität und Quantität des Sachverhalts zu tun. Bei tausend Toten sind wir gewöhnlich emotional betroffener als bei einem.

Aber da Menschen mit ganz unterschiedlichen Gefühlen auf dieselbe Situation reagieren, zeigt sich an diesem Beispiel auch deutlich, dass es gar keinen „richtigen“ Intensitätsgrad des Gefühls gibt.

Denn welche Gefühlsstärke sollte als adäquat angesehen werden?

Wiederum nur die, die uns vom eigenen Gefühl her als angemessen erscheint?

Was aber macht unser eigenes Gefühl zum Maßstab für andere Menschen?

Wir halten Gefühle zwar je nachdem für unangemessen oder übertrieben oder bezeichnen jemanden als gefühlskalt, wenn er wenig oder gar keine Gefühle zeigt. Aber dabei orientieren wir uns wohl nur an dem, was üblich ist, was wir gewohnt sind. Und diese Gewohnheit hat unsere eigenen Gefühlsantworten geformt, soweit sie nicht zufällig oder genetisch bedingt sind.

Wäre es z.B. der Brauch, auf jedes kleine Geschenk so überschwänglich wie ein Kind zu reagieren, dann würden wir diese Überschwänglichkeit auch nicht mehr als kindlich, bzw. kindisch ansehen, sondern eben als normal.

Diese Subjektivität des Fühlens zu kennen und sie immer vor Augen zu haben, macht uns „emotional intelligenter“.

Für ein Kind mag das Verlangen, das vom Geschmack einer Süßigkeit ausgeht, so verlockend sein, dass es nicht widerstehen kann und vom Gefühl des Verlangens übermannt wird. Ein Suchtkranker oder ein triebhafter Mensch könnte eine ganz ähnliche Anziehungskraft empfinden. Und die Vorstellung, verzichten zu müssen, kann negative Gefühle unerhörter Intensität hervorrufen – so intensiv, so schmerzhaft, so unlustbetont, dass man glaubt, sie nicht aushalten zu können.

Die Einsicht, dass die Bandbreite der Intensitätsgrade von Gefühlen bei verschiedenen Menschen unterschiedlich ist und das „normale Maß“ eben nicht als „richtig“ aufgefasst werden darf, sondern nur als Gewohnheit, erleichtert sowohl den toleranten Umgang mit anderen Menschen wie auch mit uns selbst.

In der Technik des desensibilisierenden Blicks wird es nun von größter Wichtigkeit sein, zu verstehen, dass das Prinzip der Intensitätsgrade des Angenehm- und Unangenehmsein in allen emotionalen Bereichen identisch ist. Bei Gefühlen, z.B. Körpergefühlen und Wertgefühlen genauso wie bei Emotionen, Affekten, Leidenschaften und Stimmungen.

Emotionen sind nach dem Verständnis vieler Psychologen im Wesentlichen nur „starke“ Gefühle.

Affekte wiederum sind starke Gefühle bzw. Emotionen, von denen wir uns unvermittelt und in Sekundenschnelle „überwältigt“ fühlen, bei denen wir nicht mehr Herr unserer Gefühle zu sein scheinen und uns zu Handlungen – z.B. Gewalttätigkeit – veranlasst sehen, zu denen wir uns bei ruhigem Nachdenken und ohne die Druck des Affekts vielleicht niemals hätten verleiten lassen.

Stimmungen wiederum sind Gefühle, die Kontinuität haben, die viele andere Erfahrungen zu durchfärben scheinen und nicht so deutlich an ein bestimmtes Objekt gebunden sind wie Gefühle und Emotionen, z.B. der Eifersucht.

Der Trauerfall, der die Stimmung der Traurigkeit auslöst, muss uns gar nicht mehr bewusst sein. Eine depressive Stimmung kann grundlos erscheinen.

Bei der Eifersucht, als Gefühl oder Emotion, zeigt sich das Gefühl dagegen mehr punktuell und mit der realen und geistigen Wahrnehmung der Situation verbunden, die Eifersucht auslöst. Es vermindert seine Intensität oder verschwindet, wenn wir nicht mehr daran denken, wohingegen die Stimmung auch ohne konkreten Anlass fortdauert.

Der Kern, das Wesentliche, ist jedoch in allen Bereichen dasselbe wie beim Gefühl. Deshalb macht es Sinn, die psychischen Kategorien Emotion, Affekt, Stimmung als „gefühlshaft“ oder „emotional“ zu bezeichnen (und den effektiven Umgang mit solchen Erlebnissen als „emotional intelligent“). Wir können auch sagen, es sind nur verschiedene Ausdrucksweisen des Gefühls, weil ihnen das entscheidende Wesensmerkmal gemeinsam ist: eben ihr Angenehm- und Unangenehmsein.

Im Leben werden wir über weite Strecken von diesem einen großen Prinzip beherrscht!

Wenn wir das verstanden haben, können wir unsere neue Mentaltechnik universell einsetzen. Dabei verhält es sich so ähnlich wie in der Lebensmittelüberprüfung. Man findet immer nur jene Schadstoffe, nach denen man auch sucht.

Sie können den desensibilisierenden Blick nicht auf das Unangenehmsein einer bestimmten Stimmung fokussieren, wenn Ihnen noch gar nicht klar geworden ist, dass Stimmungen genauso vom Unangenehm- und Angenehmsein abhängen wie Gefühle.

Sie können Ihre Aufmerksamkeit nur schwer auf das Gefühlsmoment im Affekt, z.B. im einer Wut richten, wenn Ihnen nicht klar ist, dass das eigentliche Problem im Unangenehmsein liegt.

Sie können Ihre Aufmerksamkeit kaum auf das Gefühlsmoment einer Emotion fokussieren, wenn Sie nicht wissen, dass Angst vor allem im Unangenehmsein besteht und Lust vor allem im Angenehmsein.

Sobald wir aber diese Generalisierung des Begriffs vorgenommen haben:

Gefühl, Emotion, Affekt, Stimmung sind im Wesentlichen gleich, sie bedeuten Angenehmsein oder Unangenehmsein –

dann lässt sich mental damit arbeiten!

Stellen Sie sich vor, Sie müssten nachts über einen Friedhof gehen. Die Atmosphäre – Einsamkeit, Dunkelheit, Mondsichel, gespenstische Grabsteine, vielleicht sogar der unheilvoll klingende Schrei einer Eule – lässt Sie erschaudern und jagt Ihnen eine Gänsehaut über den Rücken! Sie erliegen hier nicht einem Gefühl – oder dem, was man üblicherweise Gefühl oder Emotion nennt –, sondern einer Stimmung, und zwar einer negativen Stimmung.

Der Faktor aber, der Ihnen dabei zu schaffen macht, ist derselbe wie bei irgendeinem x-beliebigen negativen Gefühl – nämlich der Intensitätsgrad des Unangenehmseins. Sie könnten zwar auch „wohlig erschauern“. Dann treten negative und positive Gefühle gemeinsam auf. Sie fühlen polyphon – mehrstimmig. Und würde dabei die angenehme Gefühlstönung des positiven Gefühls dominieren oder überwiegen, dann wäre dies die richtige Stimmung für einen Kriminalfilm.

Überwiegt jedoch die negative Gefühlstönung, dann werden Sie, ob Sie das nun genau definieren können oder nicht, alles daransetzen, den „Ort des Schreckens“ möglichst schnell zu verlassen, sei es der reale Friedhof oder – weil Sie ja dafür bezahlt haben, meist erst nach einigem Hin und Her – das Kino.

Ähnlich verhält es sich mit der Trauer. Stimmungen unterscheiden sich wie gesagt dadurch von Gefühlen, dass sie länger andauern und unsere Wahrnehmungen wie einen Film unterlegen. Das Gefühl der Trauer kann Tage und Wochen anhalten. Es mag sich verstärken, wenn wir an den Anlass, vielleicht den Tod eines Angehörigen, denken, und sich verringern, wenn wir abgelenkt sind. Aber als Grundstimmung kann es dennoch in unterschiedlichen Graden unsere Wahrnehmung einfärben.

Verständlicherweise sind wir, wenn wir an unsere Trauer denken, völlig eingefangen vom Anlass der Trauer, dem Verlust, wir denken inhaltlich, sachlich, in Bedeutungen: dass gerade dieser Mensch gestorben ist und was das für unser Leben bedeutet; welche Veränderungen sich daraus im Alltag für uns ergeben.

Betrachten wir jedoch noch einmal genauer, was auf der Gefühlsebene passiert, dann werden wir auch hier wieder finden: Ohne das Unangenehmsein der Trauer, ihren schmerzhaften Gefühlsaspekt, hätte die Trauer so gut wie keine Macht über uns. Dass es wehtut, ist ihr entscheidendes Charakteristikum.

Ob wir überhaupt eine unangenehme Stimmung erleben und mit welchem Intensitätsgrad und ob es gerade diese oder eine andere Stimmung ist, darüber können wir gewöhnlich genauso wenig verfügen, wie ob wir dieses oder ein anderes Gefühl haben. Und ebenso verhält es sich bei den starken Gefühlen, den so genannten Emotionen:

Der Intensitätsgrad der Angst und der Intensitätsgrad der Panik werden durch den Intensitätsgrad des Unangenehmseins bestimmt.

Der Intensitätsgrad der Lust und der Intensitätsgrad der Euphorie werden durch den Intensitätsgrad des Angenehmseins bestimmt.

Die große Chance und Möglichkeit der Technik des desensibilisierenden Blicks liegt nun darin, dass wir zwar nicht immer darüber bestimmen können, welche Gefühle, Emotionen, Affekte und Stimmungen wir haben, dass wir aber, sobald sie auftreten, mit ihnen in neuer, effektiverer Weise umgehen können.

Die typische Art und Weise, mit ihnen umzugehen, wäre, sie zu fliehen oder zu suchen und festzuhalten.

Eine andere, hocheffektive Methode besteht darin, sie weder zu fliehen noch zu suchen, sondern einfach anzuschauen!

Etwas nur zu betrachten – neutral zu betrachten –, bedeutet es weder zu wünschen noch es abzulehnen. Betrachten für sich allein gesehen ist noch keine Entscheidung. Wir sind in der Haltung des bloßen Zeugen. Wir bewerten nicht, wir assoziieren nicht. Wir sehen nur, was sich einstellt. Nicht zu bewerten, heißt: weder gutzuheißen noch abzulehnen.

Und diese neutrale Haltung, dies reine Fühlen, dieses Heraustreten aus unserer instinktiven Abwehr oder Neigung, hat einen ganz erstaunlichen Effekt.

Es ermöglicht dem Nervensystem bei der Desensibilisierung in der Verhaltenstherapie, sich umzuorientieren, umzulernen, zu verlernen.

Und es ermöglicht uns bei der Technik des desensibilisierenden Blick, uns sekundenschnell – in einer einzigen inneren Wendung – vom Diktat der uns steuernden positiven oder negativen Gefühle zu lösen, um dann erst zu entscheiden, ob wir sie annehmen, auf sie reagieren oder aber sie unbeachtet lassen.

Genau besehen ist das schon eine uralte Einsicht. Sie wurde keineswegs erst von der Verhaltenstherapie entdeckt, die ja bei der Desensibilisierung von Phobien in tief entspanntem Zustand mit der Vorstellung gefühlsmäßig negativ besetzter Situationen arbeitet.

Bereits im Yoga, z.B. in der Mantrameditation, werden wir mit der Betrachtung von Gefühlen konfrontiert. Wenn die Aufmerksamkeit sich wiederholt in der Versenkung den leichtesten und subtilsten Formen eines Wortklangs zuwendet, tauchen nämlich ständig Gefühle angenehmer oder unangenehmer Art auf, die stehen gelassen oder zugelassen werden müssen. Die Aufmerksamkeit ist zum Dualismus genötigt: Einerseits richtet sie sich willentlich, wenn auch ohne Anstrengung, auf einen Laut als Objekt, und das ist in der erwähnten leichten Weise zugleich auch Entspannung per excellence, parallel dazu treten aber unbeabsichtigte Gefühlsimpulse auf.

Werden diese nun zugelassen, indem wir sie einfach mit wahrnehmen, dann entsteht daraus das charakteristische Verhaltensmuster der Desensibilisierung mit der so genannten „reziproke Hemmung“, d.h.: der stärkere Impuls – der Entspannung – hemmt den schwächeren Impuls des Gefühls. Wir koppeln und von Gefühlen ab. Unser Bewusstsein wird autonomer.

„Von Glück und Leid unberührt betrachtet der Weise die Welt“, heißt es in der Bhagavad Gita, dem alten indischen Epos aus der Zeit vor Christus. Im Buddhismus gibt es die Empfehlung, dass man sich ein Problem dreimal hintereinander in neutral betrachtender Haltung vor Augen führen sollte, weil es dann an emotionaler Kraft und negativem Einfluss einbüßt.

Stehen Sie drüber!

Подняться наверх