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Jugendsprache – Stirbt die deutsche Sprache?

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Schon die Erwachsenen zeigen immer mehr Sprachprobleme: „Ich sach mal“, „denke ich mal“, „sozusagen“, „halt“, „oder was?“, „und so“, „nech“, „äh“ und „wegen dem“ sind dabei noch harmlose kommunikative Hilflosigkeiten, die sensible Sprachliebhaber – gemäß dem Bestsellertitel „Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod“ – nerven. Aber was Kinder und Jugendliche da mittlerweile so von sich geben, kommt selbst sprachschwachen Erwachsenen spanisch vor, obschon immer mehr verballhornte Anglizismen über den Umweg des Anscheins einer internationalen, globalen, „weltmännischen“ Überlegenheit die deutschsprachige Unfähigkeit übertünchen sollen. 15 Prozent unserer 15-Jährigen, so hat PISA aufgedeckt, sind nicht mehr in der Lage, einfachste Texte zu verstehen und Sätze mit dem Einschluss von Nebensätzen zu formulieren. Sie besitzen in ihrem aktiven Wortschatz nur noch Verben wie „machen“, „tun“, „haben“ und „gehen“, aber nicht mehr Wörter wie „bearbeiten“, „bewerkstelligen“, „aneignen“ oder„schlendern“. Stattdessen versuchen sie sich aufzuwerten mit jugendkulturellen Auswüchsen wie „Ische“ statt „Frau“, „chillen“ statt „entspannen“, „Bratze“ statt „Freundin“, „es bockt“ statt „Spaß“ oder „Lust haben“, „krass“ statt „heftig“, „übelst“ statt „sehr“, „Droog“ statt „Freund“, „frazen“ statt „essen“, „queezen“ statt „leihen“, „mördergeil“ statt „gut“ oder „schön“ oder „chatten“ statt „plaudern“.

Jugendliche wollen etwas Eigenes haben, das sie nicht mit Kindern und Erwachsenen teilen müssen; das betrifft ihre Kleidung, ihren Musikgeschmack, ihr nächtliches Feierverhalten, ihre Interessen und eben auch ihre Sprache.

„Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden.“ Dieser Buchtitel steht für die unausgegorene, von vielen Unsicherheiten geprägte Übergangszeit des Jugendalters, das Hans-Heinrich-Muchow einmal vor 50 Jahren „Flegeljahre“ nannte, indem der künftige Erwachsene mit Provokationen um seinen Platz in dieser komplexen, komplizierten, multikulturellen und weltweit vernetzten Gesellschaft ringt, indem er um seine Identität kämpft, wenn er mit Abgrenzungsversuchen gegenüber anderen Menschen und Generationen seine Einmaligkeit sucht, zum Ausdruck bringen und verteidigen will. Zu seiner Oma „motherfucker“ zu sagen statt „das finde ich nicht gut“, „das fetzt“ statt „das ist wunderbar“ oder „kack doch ab!“ statt „lass mich bitte in Ruhe!“, steht für ein derartiges Abgrenzungsunterfangen hilfloser Art.

Die deutsche Sprache umfasst etwa 350 000 Wörter; ein normaler Erwachsener kommt im Alltag mit 2000 davon aus. Ein durchschnittlicher deutscher Jugendlicher benutzt aber nur noch etwa 600 Wörter, von denen ein Drittel für die meisten Erwachsenen ziemlich unverständlich ist. Ein Satz von Goethe oder Heine umfasst im Schnitt 36 Wörter, der Satz eines deutschen Jugendlichen heute aber nur noch fünf. Haben hier wieder mal das Fernsehen und die Presse Schuld? Denn eine Vorgabe für Nachrichtensendungen ist: Kein Satz sollte mehr als 20 Wörter umfassen, und Sätze in deutschen Zeitungen haben im Schnitt nur noch fünf bis 15 Wörter. Jedenfalls beklagte eine schleswig-holsteinische Lehrerin, dass jedes zweite Substantiv ihrer Hauptschüler „Dings“ laute. Und bei meinen Lehramtsstudenten habe ich jüngst in einem dreistündigen Seminar mit 80 Teilnehmern ausgezählt: 53-mal Floskeln wie „ich denke“, „denke ich mal“ und „sach ich mal so“, 37-mal wurde „äh“ und fünfmal „wegen dem“ benutzt, 13-mal „sozusagen“, 24-mal „halt“, 15-mal „nech“, und elfmal wurde ein Satz mit „und so“ beendet.

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