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Modi des Bezugs zu anderen Wissenschaften

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Sigrid Abel-Struth hat im Rahmen ihrer Darstellung der Entwicklung der Musikpädagogik als Wissenschaft (1970) fünf Modi des „wissenschaftlichen Selbstverständnisses“ (ebd., S. 81) ausgewiesen, von denen die ersten vier als strukturell unterscheidbare Modi des Bezugs zwischen musikpädagogischem Denken und dem Denken anderer Wissenschaften gelten können (vgl. AbelStruth, 1970, S. 81–114):

1.Addition: Für diese ist der Gedanke charakteristisch, dass musikpädagogisch relevante Einsichten zu gewinnen seien, wenn man die sachlich in Frage kommenden Erkenntnisse anderer Disziplinen zusammenfasse. Dabei werden Einsichten der Ästhetik, der Geschichte der Musik und der Musiktheorie, ferner der Psychologie und der Soziologie mit Vorstellungen davon verbunden, worin eine Höherbildung des Menschen bestehen könne und in welcher Weise diese zu bewerkstelligen sei.

2.Kooperation: Diese bestand primär im Kontakt zu erzieherischem Denken. Dabei wurde der Gedanke der Bildung dem Umgang des Menschen mit Musik zugeordnet und ein methodischer Zugriff entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die Pestalozzische Gesangbildungslehre, nach Pfeiffers Erfindung kunstwissenschaftlich dargestellt im Namen Pestalozzis, Pfeiffers und ihrer Freunde von Hans Georg Nägeli (Nägeli, 1809). Sie zeigt konzeptionell eine starke Tendenz zur Elementarisierung und zur Reduktion musikalisch-ästhetischer Momente zugunsten erzieherisch relevante Phänomene und Vorgänge. Musikpädagogik erscheint hier und in ähnlichen Büchern als eine Unterabteilung pädagogischer Theorien; die Besonderheiten des Musikalischen und des Umgangs mit ihm bleiben ausgeblendet.

3.Adaption: Dabei liegt eine Anpassung an pädagogisches Denken vor, die so weit geht, dass außermusikalische Zielvorstellungen mit den Mitteln der Musik erreicht werden sollen. Diesem Ansatz wurden nicht selten Theoreme zugrunde gelegt, die sich später als Fiktionen oder Ideologien entpuppten, wie beispielsweise die ‚Selbsttätigkeit‘ oder das ‚Erleben‘, das gegen die Oberflächlichkeit wirken sollte, weil jeder Umgang mit Musik ein tiefgehender sei. Andere Zielvorstellungen, die aus pädagogischen Überlegungen abgeleitet und der musikalischen Praxis aufmoduliert wurden, sind die ‚Ganzheitlichkeit‘ und die Erziehung zur Kreativität. Der komplexe Klang solcher Begriffe, die auch heute noch gerne gebraucht werden, lenkt davon ab, wie nebelhaft sie gerade mit Blick aufpädagogisch relevante Prozesse sind und wie austauschbar Musik in diesem Kontext ist. Adaptionen gab es auch von anderer Seite: So sah Rudolf Stephan Musikpädagogik als angewandte Psychologie, und Theodor W. Adorno stellte fest, dass „gewiss Musikerziehung von musikalischer Ästhetik und schließlich vom gesellschaftlichen Gesamtzustand abhängt“ (Adorno [1963]1998, S. 11–12). Damit wird deutlich, dass nicht nur die Musikpädagogik sich aus eigenem Interesse heraus der Theorie und der Betrachtungsweise anderer Disziplinen anpassen kann, sondern dass andere Disziplinen Einfluss aufmusikpädagogisches Denken gewinnen können.

4.Partizipation: Lange Zeit wurde Musikpädagogik als eine Unterabteilung der Musikwissenschaft angesehen. Dabei hatte die Musikwissenschaft – in Verbindung mit der Musiktheorie – Lehrinhalte bereitzustellen, die an Kinder und Jugendliche vermittelt werden sollten. Diese Auffassung wurde u.a. von Hugo Riemann und Hermann Kretzschmar sowie von Karl Gustav Fellerer und Hans Joachim Moser vertreten. Letztere erkannten allerdings eine Doppelzugehörigkeit und hielten fest: Musikpädagogik sei Teil der allgemeinen Pädagogik, aufgrund ihres ‚Gegenstandes‘ Musik jedoch den Forschungsstrukturen der Musikwissenschaft unterworfen. Musikpädagogik erscheint damit als eine angewandte Musikwissenschaft – mit der Problematik, dass der eigentliche Gegenstand pädagogischen Fragens von rein methodischen Überlegungen überdeckt bzw. völlig verdrängt wurde. Partizipation im besten Sinne erscheint im Zusammenwirken von Musikpädagogik und Musikdidaktik – sofern man diese überhaupt als unterschiedliche Disziplinen auffassen will.

Als fünften Modus weist Abel-Struth den Status der Autonomie aus. Natürlich ist ein solcher Modus vorstellbar, allerdings wäre immer der Bezug zu anderen Wissenschaften zu bedenken, die gleiche oder ähnliche Fragen stellen. Dieser Bezug wird durchaus als positiv eingeschätzt. So führt Norbert Schläbitz aus: „Interdisziplinarität ist für die Musikpädagogik ein unverkennbares Qualitätsmerkmal, wo komplexe Phänomene einer zunehmend komplexer werdenden Gesellschaft forschungsrelevant beleuchtet werden sollen und wo zuletzt Forschung in der Musikpädagogik denn doch eine mitlaufende, voraussetzungsvolle Orientierung kennt: den Lernenden, dem Forschung Genüge tun will. In dieser impliziten Engführung ist aber kein Mangel zu sehen“ (Schläbitz, 2009, S. 12).

Voraussetzung für die Realisierung von Musikpädagogik in einem so formatierten Modus der Autonomie wäre in jedem Falle eine triftige Theorie von Musikpädagogik als Wissenschaft. Eine solche steht noch aus, ihre Möglichkeit wird von manchen bezweifelt (Kaiser, 2018), an ihrer Realisierung wird von anderen gearbeitet (Orgass, i.V. 2022). Sie müsste zeigen, wie z.B. eine Musikdidaktik zu denken hätte, die nicht zur Dienerin der Musikwissenschaft – z.B. der historischen oder der Ethnomusikologie – wird, wie eine Musikpädagogik zu forschen hätte, die z.B. ihre empirischen Studien nicht als eine auf Musikpraktiken angewandte Soziologie oder als eine Sonderform der Psychologie, angewandt auf menschliche Verfasstheit im Zusammenhang mit der Ausübung von Musikpraktiken, erscheinen lässt. Vermutlich wird es darauf ankommen, die spezifische Eigenart musikpädagogischen Fragens herauszustellen und darauf Forschung ebenso wie Unterrichtskonzeption zu beziehen.

Einführung in die Musikpädagogik

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