Читать книгу Mehr recht als billig - Kriminalroman - Peter Werkstätter - Страница 12

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Alle Lebewesen außer den Menschen wissen, dass der Hauptzweck des Lebens darin besteht, es zu genießen

(Samuel Butler)

Morgen früh würden die letzten beiden Urlaubstage für Bettina und Volker in diesem faszinierenden Land Vietnam anbrechen. Viele unvergessliche Eindrücke und Erlebnisse hatten die zurückliegenden Tage geprägt. Ob nun der Blick auf die filigranen Drachenornamente der „Halle der höchsten Harmonie“ in der am Parfümfluss gelegenen alten Kaiserstadt Hue, die erholsamen drei Tage am weißen Strand des China Beach in Da Nang oder der Abstecher in das Elefantendorf Ban Don, wo die beiden Urlauber gemeinsam auf dem Rücken eines Elefanten durch das flache Wasser des fischreichen Lak – Sees wateten – all das war prägend für eine Reise, die jeden Dollar wert war.

Sie waren gestern am Vormittag in Ho – Chi – Minh – Stadt, den Touristen meist unter dem alten Namen Saigon bekannt, angekommen. Die pulsierende, bevölkerungsreichste Stadt Vietnams präsentierte sich zu dieser Tageszeit bei 29 Grad und blauem Himmel von ihrer besten Seite.

Noch während des check–in am Tresen des ausgesprochen edel wirkenden Hotelfoyers im Luxushotels Rex, begrüßte der Direktor des 5–Sterne–Hauses Bettina und Volker auf sehr herzliche Art und Weise. Sie wussten zwar von Bettinas Freundin und Chefin der Plauener „Reiseecke“, Rita Böhm, dass Hung Phan, wie sich der Direktor vorstellte, in die Planung der Reise einbezogen war, aber dass er sich in seinem Haus so viel Zeit für die beiden nehmen würde, ahnten sie noch nicht.

Hung – er bestand darauf so genannt zu werden – war ein sehr gut aussehender Mann in den besten Jahren. Er war sportlich schlank und mit etwa 1.85 m Körpergröße hatte er für vietnamesische Verhältnisse ein stattliches Gardemaß. Diese Schätzung nahm Bettina vor, die mit ihren 170 cm gerade einmal fünf Zentimeter kleiner war als Volker. High Heels musste sie deshalb auf Volkers Bitte aus ihrem Schuhregal verbannen. Eigentlich schade, denn ihre langen schlanken Beine waren für derartiges Schuhwerk wie geschaffen.

Hung führte die beiden anschließend zu ihrem Hotelzimmer, was sich zur freudigen Verwunderung von Bettina und Volker als eine exklusive Governor Suite entpuppte. Sie befand sich im Exekutivflügel des Luxushotels, hatte separate Wohn – und Schlafbereiche und einen direkten Zugang zur Lounge. Die Räume waren erlesen edel eingerichtet und es war eindrucksvoll gelungen, bei der umfassenden Modernisierung des Hauses ab 2003, moderne Funktionalität mit Elementen der sehr wechselvollen Geschichte und Tradition des Bauwerkes, von der französischen Kolonialzeit bis zur Besetzung des Rex durch die US Marines, zu verbinden und dennoch den typisch vietnamesischen Charakter des Hauses zu erhalten.

Der Chef dieses Hauses erklärte fast entschuldigend, dass er die Suite in dieser Woche nicht vermieten konnte und deshalb „eigenmächtig“ ihr ursprünglich gebuchtes Doppelzimmer upgegradet hätte. „Natürlich ohne Aufpreis“, wie er sofort ergänzte. Er wünschte einen angenehmen Aufenthalt, bat darum ihm Wünsche, gleich welcher Art mitzuteilen und lud das Pärchen in zwei Stunden zum Mittagessen auf die beschattete Dachterrasse des Hotels ein. Sie würden den Tisch leicht finden, er wäre direkt neben der riesigen Krone, dem Wahrzeichen des Hauses. Dann verabschiedete er sich höflich.

Hung Phan erwartete die deutschen Gäste bereits am vereinbarten Ort, obwohl sie fünf Minuten vor der Zeit waren. Während Volker nur seine Blue Jeans gegen eine leichte Leinenhose getauscht hatte, war Bettina in ein komplett anderes Outfit geschlüpft. Sie sah in ihrem cremefarbenen Kleid, was in idealer Weise ihre super Figur betonte, einfach hinreißend aus. Das bemerkte natürlich auch Hung, von dessen Blick man das, wenn man es wollte, auch ablesen konnte. Bettina zumindest nahm das lächelnd wahr.

Zunächst tranken sie einen kühlen, frisch gepressten Mangosaft und Hung fragte, ob Interesse bestünde, etwas über die Geschichte des Hauses zu erfahren, bevor das Essen serviert würde. Bettina und Volker hatten zwar ein paar Sätze zum Hotel in ihrem Reiseführer gelesen, was aber nur ausreichte, um ihr Interesse zu wecken.

„Die ursprüngliche Bestimmung dieses Hauses war von einer erstaunlich unglamourösen Art. Im Jahre 1927 entstand zunächst eine zweistöckige Halle, die während der französischen Kolonialherrschaft als Ausstellungsraum für Automobile genutzt wurde. Nach dem Ende der Indochina–Besetzung, kaufte ein vietnamesisches Ehepaar dieses imposante Autohaus und baute es zu einem sechsstöckigen Handels–und Freizeitzentrum aus.“ Hung machte eine kurze Pause und zeigte mit einer horizontalen Handbewegung an, dass sie sich hier auf dieser höchsten Ebene des Hauses befanden.

„Das Rex, wie es ab diesem Zeitpunkt mit Stolz von den Vietnamesen genannt wurde, hatte mit seinen hundert Hotelzimmern, drei Kinos, Cafes und einer Tanzhalle nichts mehr mit einer Garage gemein. Alles änderte sich aber erneut, als 1961 400 amerikanische Soldaten in das Rex einmarschierten. Die beiden Kompanien aus Fort Lewis und Fort Bragg waren die ersten Einheiten in Saigon. Bis ihre Zelte in Tan Son Nhut aufgebaut waren, machten es sich die GI-s hier bequem und feierten sogar ein verspätetes Thanksgiving–Dinner auf der großen Dachterrasse, auf der wir gerade sitzen.“

Wieder machte Hung eine Geste mit der Hand, die diesmal traurig wirkte.

„Der Rest der Kriegsgeschichte und die Kapitulation der USA sind hinreichend bekannt. Legendär bleiben die Erinnerungen an die täglichen Pressekonferenzen, mit denen das amerikanische Militär ihr Volk besänftigen wollte. Jeden Abend gaben damals Handlanger der Regierung die amerikanische Sichtweise der Kriegsgeschehnisse an die Presse weiter und machten sich so zum Gespött der Journalisten. Auch in den USA schwand der Glaube an einen Kriegsgewinn ebenso wie der Wille zur Unterstützung.

Das Ende ist schnell erzählt. Die Amerikaner verlassen Vietnam, die vietnamesischen Kommunisten besetzen das Hotel und verkünden 1976 wiederum aus dem Hotel heraus die Wiedervereinigung Nord–und Südvietnams. Zehn Jahre später bekam das Hotel seinen ursprünglichen Namen und viel Glanz zurück. Die großzügigen Renovierungen und die architektonisch brillant durchdachten, baulichen Veränderungen brachten dem Hotel Rex die 5 – Sterne ein und es wurde erneut zur ersten Adresse in der Stadt.“

Der Direktor wendete sich leicht von den beiden ab und schaute zwischen den hohen tropischen Pflanzen, der riesigen Krone des Rex und leicht kitschigen Elefantenstatuen vorbei auf das Gewusel der Straßen Saigons.

„Ich finde, dem Dachgarten haftet bis heute eine geradezu mystische Aura aus jenen Tagen an, die bei Menschen wie mir, die schon viele Jahre eng mit dem Haus verbunden sind, eine gewisse Sentimentalität auslöst. Ich bitte sie, mir das nachzusehen. Jetzt wenden wir uns aber den schönen Dingen und Erlebnissen ihres Urlaubs und hoffentlich einem kulinarischen Höhepunkt zu“, fügte er erklärend hinzu.

Fast wie auf Stichwort traten mehrere Bedienstete des Dachrestaurants an unseren Tisch und begannen, das von Hung für die beiden Deutschen zusammengestellte Menü zu servieren.

Die Vielfalt der Speisen und Getränke, die in kurzer Zeit den großen runden Tisch in einer bunten und wohlriechenden Vielfalt aus Gemüse, Meeresfrüchten, exotischen Fischarten und Gewürzen überzogen, beeindruckte Bettina und Volker sehr. Sie aßen mit großem Appetit und ließen die Erklärungen des deutschsprechenden Sternekochs gern auf sich wirken. Er befeuerte förmlich die Geschmacksexplosionen, die einzelne Leckerbissen bei ihnen auslösten.

Als sie das köstliche Menü beendet hatten, bestand Hung in seiner charmanten Art darauf, an der Rexbar noch einen Drink zu nehmen. Er half Bettina nicht ohne Vergnügen auf einen der hohen Barhocker, die man ohne Übung nur schwer erklimmen, aber mit reichlich Alkohol im Blut sehr schnell verlassen konnte.

„Ich würde euch, wenn ich das so sagen darf, einen Singapore Sling empfehlen. Die Rezeptur dafür hat unser Chefmixer aus dem ehrwürdigen Raffles Hotel in Singapore mitgebracht. Der Cocktail erlangte als Aushängeschild dieses Hauses seine Bekanntheit und ist auch bei meinen Gästen sehr beliebt. Unser Barkeeper arbeitete viele Jahre in diesem traditionsreichen Haus und kommt bei diesem fruchtig – aromatischen Cocktail immer ins Schwärmen. Nicht einmal mir verrät er, was außer den Grundbestandteilen Gin, Kirschlikör und Benedictine noch an geheimnisvollen Zutaten enthalten ist“, sagte Hung mit einem leichten Augenzwinkern in Richtung seines Angestellten.

Sie tranken das wirklich vorzügliche Mixgetränk sehr langsam und genießend. Dabei beschlossen sie gern, offiziell beim „Du“ zu bleiben und verabschiedeten sich am späten Nachmittag.

Bettina und Volker hatten den Abend noch bei einem Stadtbummel inmitten eines einzigen wabernden und knatternden Chaosverkehrs zugebracht. Gefühlte Millionen Mopeds, bunte Rikschas und vermeintlich todesmutige Einheimische bewegten sich zwischen Lastern und Bussen praktisch ohne den Verkehrsstrom zu unterbrechen. Gefährlich waren dabei weniger die Fahrzeuge, als das Bedürfnis ihnen durch Ausweichen oder Stehenbleiben zu entgehen. Es gab nur eine Devise: unbeirrt weiterlaufen, egal wie viele Mopeds auf einen zu jagten. Damit war man berechenbar für die geübten Fahrer und erhöhte seine Überlebenschance exorbitant.

Die beiden besichtigten auf ihrem ziellosen Spaziergang noch zwei Pagoden und eine Tempelanlage und fielen gegen 22.30 Uhr todmüde ins Bett. Das taten sie in verschiedenen Zimmern. Da im Schlafraum ein riesiges King Size Wasserbett stand und Bettina schon bei dem Gedanken an den unruhigen Schlaf und die damit verbundenen „Wendemanöver“ von Volker seekrank wurde, legte er sich auf die bequeme Schlafcouch im benachbarten Wohnraum und schlief sofort ein.

Bettina hatte noch ein paar Minuten mit den „selbst erzeugten Wellen“ zu kämpfen, verfiel aber dann auch in einen tiefen Schlaf.

***

Der Spieler blickte sich im Casino um. Es war überschaubar besucht, aber um diese fortgeschrittene Zeit dennoch gut besetzt. Sechs Tische und 24 Automaten zierten den im Kolonialstil hergerichteten Raum.

Der Croupier eines der zwei halbkreisförmigen Black Jack Tische schaute beim Eintreten des Spielers auf. Ihm gegenüber saßen nur vier Pointeure, was sein Interesse erklärte. Er signalisierte mit einer kurzen Geste, dass weitere Mitspieler willkommen seien.

Die anderen Tischpartner waren mit ihren Karten beschäftigt oder hingen gedankenversunken verpassten Chancen nach. Konversationen sind an Spieltischen nirgendwo auf der Welt gewünscht.

Der Spieler setzte sich nahezu lautlos an den Tisch. Ein angenehmes Gefühl von Spannung, Zufriedenheit und Siegesgewissheit überkam ihn. Seine Glückssträhne, die sich in Las Vegas gefestigt hatte, würde sicher auch 13000 km von der Wüstenstadt entfernt noch Bestand haben. Er war rasch in das Spielgeschehen eingebunden. Der neben ihm sitzende Spieler fiel ihm besonders auf. Der etwa 60-jährige Mann hatte den größten Vorrat an Jetons vor sich aufgebaut. Er schien stark alkoholisiert zu sein und schwitzte extrem. Seine Hände wirkten ungepflegt für einen Spieler und seine Kleidung sah billig und abgenutzt aus. Ein russischer Akzent war deutlich herauszuhören. Sein goldener Siegelring und die aus gleichem Material bestehende rechteckige Luxusuhr von Jaeger–LeCoultre passten so gar nicht zu seinem sonstigen Äußeren.

Der Ukrainer, wie sich später herausstellte, schien in dieser Nacht das Glück für sich gepachtet zu haben. Daran ließ auch seine zunehmende Trunkenheit keine Abstriche zu. Er gewann im Schnitt jedes zweite Spiel und als die goldenen Zeiger seiner mit Diamanten besetzten Schweizer Uhr 05.00 Uhr morgens anzeigten, ließ er sich 35.000 USD in bar auszahlen. Auf dem Weg zum Ausgang schaffte er es nicht, ohne Zwischenstopp die zurzeit unbesuchte Bar zu passieren. Als der Spieler ebenfalls gehen wollte, winkte ihm der Ukrainer, der bereits einen Barhocker erklommen hatte, zu sich. Dieser folgte der Einladung, signalisierte aber, dass er nicht mehr viel Zeit hätte.

Als Begründung für die spontane Einladung des Ukrainers erklärte dieser mit nur noch schwer kontrollierbarer Zunge, dass sein deutscher Nebenmann der einzige am Tisch gewesen sei, den er nicht kannte und er deshalb vielleicht nicht so ein Arschloch sei, wie die anderen. Auf diese „Liebeserklärung nach ukrainischer Art“ tranken sie noch zwei Whiskey und verließen gegen 05.30 Uhr das Casino. Der eine arm und fast nüchtern – der andere reich und sturzbetrunken.

Der Morgen des Abreisetages war viel zu schnell angebrochen. Obwohl Bettina und Volker im Rex die getrennten Betten beibehalten hatten, wirkten beide unausgeschlafen. Bettina würde sich wohl nie mit Wasserbetten anfreunden und Volker schob seine Müdigkeit auf das Brummen der Klimaanlage.

Hung Phan leistete den beiden bei der „Henkersmahlzeit“ am Frühstücksbuffet Gesellschaft. Auch war er nicht davon abzubringen, die beiden am Mittag zum Airport zu fahren.

Der Direktor wirkte traurig, was Bettina nicht ohne Empathie registrierte. Sie fand den attraktiven Hung Phan ebenfalls sehr sympathisch und sah den Grund für seine Traurigkeit vorwiegend in ihrer Person. Sie schien damit richtig zu liegen, denn der Chef des Rex hatte seinen Fokus ausschließlich auf die blonde Deutsche gerichtet und versuchte permanent, Volkers Blick auszuweichen. Dieser war aber erkennbar mit anderen Gedanken beschäftigt und merkte das offensichtlich nicht.

Das Frühstücksbuffet war auf der Dachterrasse des Rex aufgebaut. Man konnte zwischen traditionell vietnamesischer Küche, mediterranen Arrangements und klassisch französischen Leckerbissen auswählen. Bettina und Hung entschieden sich für die einheimische Variante und wählten sich ihre Zutaten aus Fleisch, Gemüse und Kräutern selbst aus, bevor sie ihre Gerichte durch einen der bereitstehenden Köche zubereiten ließen. Volker saß bereits wieder am Tisch, er hatte sich mit Buttercroissants und verschiedenen Brotaufstrichen eingedeckt.

Hung nutzte die kurze Gelegenheit des Alleinseins mit Bettina aus, um diese nach den Eindrücken ihrer Reise zu fragen und sich nach den Hobbys von Volker zu erkundigen. „Warum willst du das wissen“, fragte Bettina amüsiert zurück. „Hast du vielleicht vor, Volker bei unserer nächsten Reise in dieses schöne Land zum Angeln zu schicken?“

Hung musste nun auch über die kecke Gegenfrage lachen, ging aber nicht weiter darauf ein. Ihre Schalen mit dampfenden Köstlichkeiten waren zubereitet und sie setzten sich wieder zu Volker.

Der Rest des Vormittags verging wie im Fluge. Sie trafen sich zur vereinbarten Zeit im Foyer, wo kurz darauf zwei Hotelangestellte das Gepäck der Abreisenden in Hungs E-Klasse Mercedes verluden.

Die Fahrt verlief staufrei und es wurde wenig gesprochen. Man spürte schon etwas Wehmut, die bei den drei Fahrzeuginsassen sicherlich durch unterschiedliche Emotionen hervorgerufen wurde.

Hung begleitete die beiden noch bis zum check–in–Schalter der THAI Air und verabschiedete sich. Die Tatsache, dass er Bettina völlig untypisch für asiatische Verhältnisse ein Küsschen auf die Wange hauchte, versuchte Volker für sich damit zu erklären, dass Hung Phan in Deutschland studiert und 5 Jahre unter Studenten gelebt hatte. Bettina dagegen empfand die Umarmung als angenehm und machte sich demzufolge keine Gedanken.

Zwei Stunden später saßen Bettina und Volker im Flieger und hingen ihren Gedanken nach, die sicher auch durch unterschiedliche Inhalte gekennzeichnet waren.

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