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Wohlfühlen in Vancouver

3.–4. Oktober

Unser Zimmer liegt im sechsten Stock. Die dicken Vorhänge sind fest zugezogen und verdunkeln den Raum. Ich schlage die Augen auf. Ein Vorhang flattert leicht. Das ist Mona. Sie liebt es, am Morgen hinter Vorhänge ans Fenster zu kriechen und hinauszuschauen. Sie zieht den Vorhang beiseite und präsentiert uns – Tatam! – eine fantastische Aussicht auf Canada Place, die Waterfront, die Brücke.

Aha, daher kommt das beständige Surren und leichte Zischen, das mich geweckt hat: Mona schaut den startenden und landenden Wasserflugzeugen zu.

Sie macht alle Vorhänge auf: „Ich habe jetzt Hunger!“ – Starbucks ist nicht weit und der Kaffee dort gut. Mona mag die Muffins und den Orangensaft. Es ist noch etwas frisch, doch die Sonne durchbricht allmählich die Wolken.

Ideales Wetter für den Sightseeingbus. Wir steigen an der Waterfront in den „Hop on Hop off“ ein. An allen Haltestellen können wir aus dem Bus steigen und später mit dem nächsten Bus weiterfahren. Mona gefällt die Idee der Rein- und Raushüpfbusse. Wir sprechen mit dem Busfahrer und er empfiehlt uns das Aquarium. Es sei ein Erlebnis – nicht nur für die Kleine. So verlassen wir an der vierten Haltestelle, Stanley Park, den Bus. Der Stanley Park ist einer der vier größten Stadtparks in Nordamerika mit Küstenwald, mit uralten Zedern, Mammutbäumen, Rosen- und Rhododendrengärten, natürlichen Seen. Hier wird gelaufen, gejoggt und geradelt. Ich hatte mir das Aquarium größer vorgestellt. Es sind nicht viele Besucher da. Wir beginnen mit einem Film in 4-D über das Leben und Wandern der Lachse. Dann beobachten wir die Beluga-Wale. Sie werden ihrem Kosenamen „Engel der Meere“ gerecht. Lange bleiben wir vor dem Delfinarium stehen. Der Delfin ist Monas Lieblingstier. Es gibt auch eine Tropenabteilung. Die Luft dort ist stickig. Auf einem Ast über unseren Köpfen sitzt ein Vogelpärchen. Mona deutet auf die beiden: „Boah, die schauen ja aus wie Blu und seine Freundin!“ – das sind die Papageien aus dem Kinofilm Rio. Wunderschöne bizarre Schmetterlinge flattern durch die Luft. Mona will unbedingt die zwei Papageien fotografieren. Sie zückt ihre kleine Digitalkamera und nimmt die blauen Aras vor die Linse. Just in dem Moment, als sie den Auslöser drückt, drehen sich die beiden wie auf Kommando um und zeigen Mona die Hinterteile. „Na, aber... Danke schön!“, schimpft sie. Der große Blaue schimpft zurück. „Ich glaube, die mögen keine Fotos, Papa. Und die Schmetterlinge kann ich auch nicht fotografieren, weil die bleiben auch nicht still sitzen!“ Mona sucht sich ein anderes Objekt und findet drei Faultiere. Ja, die bleiben wenigstens ruhig hängen, auch wenn sie nicht so schön sind wie die Papageien. Äffchen turnen an Kletterbäumen in ihrem Gehege herum. In einer Kokon-Aufzuchtstation beobachten wir das Schlüpfen der Schmetterlinge. Spinnen gibt es auch. Die mag Mona nicht. Ich kann das absolut verstehen. Im Freien halten wir uns länger als gedacht am Beckenrand auf und schauen dem Fischotter zu. „Hahaha! Schaut mal, wie der sich putzt und rollt und kugelt!“ Mona lacht herzhaft und wir auch. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Sind wir tatsächlich schon seit drei Stunden im Aquarium? Wo ist nur die Zeit geblieben?

Wir spazieren ein Stück durch den Stanley Park bis zum Tea House und essen dort eine Kleinigkeit. Mona fühlt sich wohl und wirft am Ufer Steine ins Wasser. Horst sucht sich die flachsten und lässt sie springen. Mona lernt von ihm. Und ich sitze einfach nur da und schaue den beiden zu. Ja, meine beiden Lieblingsmenschen. Ich fühle mich sehr wohl. Lächle. Bin glücklich.

Zurück in der Stadt kaufe ich Postkarten. Horst reserviert im Restaurant „Coast“, unweit vom Hotel. Das Essen ist sehr gut und Mona schreibt die ersten Postkarten in die Heimat.

Da fällt ihr die Sache mit der Indianerlegende wieder ein. Vor dem Zubettgehen schreibe ich sie auf und lese sie Mona als Gutenachtgeschichte vor:

„Vor langer, langer Zeit lag die Welt im Dunkeln. Der Grauwolf wachte über Sonne, Mond und Sterne, die er in einer Schale aufbewahrte. Der Rabe wollte gerne die Macht über die Gestirne besitzen und grübelte darüber nach, wie er es anstellen könnte, in ihren Besitz zu kommen. Vor allem die Sonne schien ihm wertvoll, um dem endlosen Dunkel ein Ende zu bereiten. In Gestalt des Enkels des Grauwolfs wuchs der Rabe heran. Im Alter von 4 Jahren bat er seinen Großvater: „Großvater Wolf, schenke mir doch die Sonne!“ Großvater Grauwolf liebte seinen Enkel, gab ihm jedoch nicht die Sonne, sondern die Sterne. Der Rabe spielte, wie Kinder das in diesem Alter tun, und legte einen Wagen, einen Bären und weitere Symbole. Gerade in dem Moment, als Grauwolf unaufmerksam war, nahm der Rabe die Sterne und warf sie hoch in den Himmel.

Jahre später fragte das Enkelkind wieder um die Sonne. Und da Grauwolf seinen Enkel wirklich sehr liebte und ihm keinen Wunsch abschlagen konnte, gab er ihm den Mond. Der Rabe spielte mit dem Mond und schoss ihn hoch hinauf ins Firmament. Der Nachthimmel war geboren – die totale Finsternis überwunden.

Jahre vergingen und der Grauwolf war alt und müde geworden. Er vermachte seinem Enkel die Sonne. Endlich hatte der Rabe alles, was er sich wünschte, und warf blitzschnell die Sonne in den Himmel. Die Erde hatte Licht bekommen, der Tag war geboren und auch die Nacht.“

„So kannst du sie schicken ...“, kommt es schläfrig aus ihrem Mund. Sie dreht sich zur Seite und atmet tief und gleichmäßig ein und aus. Was sie wohl nachts träumen wird?

Heute steigen wir an den „Totem Poles“ aus. Ein Totempfahl wird aus einem großen Baumstamm geschnitzt und anschließend bunt bemalt. Er ist eine Art Wappenpfahl und an der Westküste Nordamerikas weit verbreitet. Für die indigenen Völker Identitätssymbol, als Kunstwerke heiß begehrt und für alle Vancouver-Reisenden eine Fotokulisse. Die Sonne wärmt angenehm, der Himmel ist leicht bewölkt, gefühlte 20 Grad. In der Zeitung hat Horst gelesen, dass es in Calgary gestern angefangen hat zu schneien. Wir sind also wieder einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mona sammelt Muscheln und Steine. Wir sitzen auf einer Holzbank und schauen ihr zu. „Sie schaut zufrieden aus, findest du nicht?“, fragt Horst. Ja, da bin ich seiner Meinung. Auf der einen Seite würde ich gerne noch mehr sehen von der Stadt und ihrer Umgebung. Das Museum of Anthropology, die Vancouver Art Gallery und den Botanical Garden. Auf der anderen Seite sind es gerade diese Momente, die das Reisen ausmachen. Auf einer Parkbank sitzen. Mitten in Vancouver. Muscheln und Steine sammeln. Die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut spüren. Den leicht modrigen Geruch der angemoosten Muschelschalen riechen. Fast wie am Chiemsee. Ohne viel Worte zusammen glücklich und zufrieden sein. Jetzt im Hier sein. Ich kuschle mich an Horst und Mona präsentiert uns strahlend ihre Fundstücke.

Am späten Nachmittag steigen wir an der Lions Gate Bridge aus. Im Bus zurück zum Hotel sind wir die einzigen Fahrgäste. Der Busfahrer heißt Ed. „Hey, Davy Crockett!“ Ihm gefällt Monas Fellmütze. Ob wir den Mammutbaum schon angeschaut hätten? Nein? Das wäre ein absolutes Muss für kleine Pfadfinder. Er fährt so nahe wie möglich zum Baumriesen, lässt uns dort aussteigen und wartet. Horst macht ein Foto und dann geht es direkt zurück zum Hotel. Horst hat noch eine Stunde Arbeit. Wir wollen uns im Restaurant treffen. Mona und ich bummeln vor dem Dinner in der Robson Street. Es riecht plötzlich so frisch, nach Seife. Das kann nur „Lush“ sein! Wir drücken unsere Nasen ans Schaufenster und sehen knallbunte Badekugeln-Berge, Seifenbarren, von denen Stücke abgeschnitten werden und Seifen in Form von Gemüse und Obst. Mona entdeckt in Vancouver ihre Liebe zu dieser Kosmetik-Kette. Jahre später wird sie an keinem „Lush“ vorbeigehen, ohne wenigstens einen winzigen Abstecher zu machen und eine Badebombe zu kaufen. Horst treffen wir im „Coast“. Wieder im selben Restaurant zu essen, muss nicht langweilig sein. Denn ich kann sagen: Service und Essen sind fast noch besser als gestern. Mona schreibt die restlichen Postkarten.

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