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Märchenhaft wohnen in Banff

23.–28. September

Die Fahrt zum knapp 300 Kilometer entfernten Ferienort Banff wird den ganzen Tag dauern. Über den Sunwapta Pass gelangen wir vom Jasper National Park in den Banff National Park. Der Pass liegt auf 2030 Meter Höhe. Der Saskatchewan River begleitet uns. 230 Kilometer lang ist die Panoramastraße zwischen Jasper und Lake Louise, die am Hauptkamm der Rocky Mountains entlangführt. Ein türkisfarbener Gletschersee reiht sich an den anderen. Viele der Seen erreichen nicht einmal im Sommer neun Grad Wassertemperatur. Mona sieht einen Wasserfall und möchte unbedingt näher ran. Es ist der Triangle Waterfall. Dort kraxelt sie mit mir herum, Horst fotografiert. Die Bäume zeigen unterschiedliche Farben, vom noch Grün über Gelb bis zum Orangebraun. Die Rottöne, die den Indian Summer komplett machen, fehlen noch in diesem Jahr. Am Straßenrand wächst Wollgras. Im etwas diesig milchigen Licht sehen die Fäden blassrosa aus. Vor uns erscheint imposant das Columbia Icefield. Am Athabasca Glacier bleiben wir stehen. In nur zehn Minuten sind wir zu Fuß am Rand der Gletscherzunge. Anhand der Markierungen können wir die Gletscherschmelze der letzten Jahrzehnte verfolgen. Sehr beeindruckend finde ich das. In hundert Jahren wird dieses riesige Eisfeld nicht mehr da sein. Umgewandelt in einen türkisfarbenen Gletschersee. Nach und nach werden Bäume wachsen. Wir erfahren, dass vor elf Jahren ein neunjähriger Bub vor den Augen seiner Eltern in eine Gletscherspalte fiel. Er erlitt sofort einen Kälteschock und konnte trotz der schnellen Reaktion der Bergungsleute nicht mehr rechtzeitig herausgeholt werden. Die Gefahr am Gletscher ist nicht zu unterschätzen. Wir haben großen Respekt und verzichten auf eine Wanderung.

Weiter geht es zum Peyto Lake. Unser Reiseagent hat uns diesen Gletschersee sehr ans Herz gelegt. Und so steigen wir zum Aussichtspunkt hinauf. Er hatte absolut Recht. Ein vergleichbares türkisgrün, milchig und eisblaues Farbenspiel haben wir noch nicht gesehen. Das müssen einmalig im Licht strahlende Steinstaubpartikel sein, die das Schmelzwasser abtransportiert und die dem Wasser diese Farbgewalt verleihen.

Die letzten Kilometer nach Banff fahren wir auf dem Trans-Canada Highway. Komplett eingezäunt und mit Unter- und Überführungen für den Wildwechsel. Es wird Zeit, das Hotel zu erreichen. Von Weitem schon sehen wir das „Castle in the Rockies“. Prächtig thront es über der Stadt Banff. Die Türmchen ragen gen Himmel. Mona reißt ihre blauen Augen auf: „Wow! Das Märchenschloss!“ Ein freundlicher junger Mann checkt uns ein. Wir kommen etwas ins Plaudern und erzählen von unserer Weltreise. „That is awesome!“, wiederholt er immer wieder und schaut Mona mit einem Blick an, in dem so etwas liegt wie: Du hast das ganz große Los gezogen. Vielleicht bekommen wir gerade deswegen ein so märchenhaftes Zimmer. Ziemlich weit oben mit Ausblick auf den Fluss. Ich entdecke als Erste die Nische in der Fensterschräge und reserviere sie egoistisch für mich. Natürlich gibt es in so einem Hotel auch ein Schwimmbad. Mona ist ganz schnell im Badeanzug. Ungern verlasse ich die Nische und suche nach meinen Badesachen. Wir beide ziehen ein paar Bahnen, Horst muss wohl oder übel E-Mails beantworten. Eher wohl, denn Indoorschwimmbad ist nicht unbedingt sein Ding und außerdem mag er seine Arbeit. Und weil es im Banff Springs Hotel ein japanisches Restaurant gibt, wissen wir ganz genau, was es heute Abend zu essen gibt. Sushi für Mona und Sashimi für uns. Das ist besonders märchenhaft.

Den nächsten Tag beginnen wir mit einem Spaziergang in die Stadt. Wir frühstücken im Straßencafé Evelyn draußen in der Sonne und schauen auf die hohen Berge. Wie im Märchen. Viele Kunst-, Souvenir-, Sport- und Bekleidungsläden, viele Cafés und Restaurants gibt es. Die Hauptstraße ist sauber gefegt, Blumenkästen mit roten Geranien und Petunien dekorieren die Stadt. Wir lassen uns durch einige Läden treiben, kaufen Schokolade und eine Sonnenbrille für Horst, der seine wohl zu Hause vergessen hat. Mona bekommt ein Fernglas und gefütterte Mokassin-Hausschuhe. Wir steigen den Hügel hinauf zum Hotel. Ohne Zweifel ist dieser Prachtbau das architektonische Wahrzeichen von Banff. Die Eisenbahngesellschaft Canadian Pacific Railway hat es erbaut. 1888 wurde es für erlesene Gäste eröffnet. Wer diese erlesenen Gäste wohl waren? Einmal ist es abgebrannt und wurde wiederaufgebaut. Im Laufe der Jahre wurde es für den breiten Tourismus umgebaut. Wir finden es einmalig und freuen uns, hier zu sein. Allein die Sicht auf die Bow Falls ist es wert, dort zu wohnen. Mona möchte den Nachmittag am Pool verbringen. Das Wetter ist herrlich. Milde 25 Grad und kein Wind. Horst hat zu arbeiten und ich jogge zu den Wasserfällen. Das Tosen des Wassers hört man bis in unser Zimmer. Am liebsten sitze ich in „meiner“ Nische und genieße den Ausblick auf den Bow River und die dahinter liegende Bergkette. Paradoxerweise entspannt mich das und gibt mir Kraft.

Seit wir in Kanada sind, schläft unser Kind wie ein Dornröschen. Nicht hundert Jahre, aber zwischen zehn und zwölf Stunden. Heute ist es bewölkt und deutlich frischer. Es ist 10.30 Uhr, wir sind auf unserem Zimmer, Horst zeichnet Pläne und Mona lernt mit mir Mathe und Deutsch. Da es regnet, verbringen wir die meiste Zeit im Hotel. Sportunterricht gibt es auch, im Fitnessraum des Hotels. Mona walkt fast eine Stunde auf dem Laufband. Danach schwimmt sie noch etliche Runden im Pool. Abends essen wir im Restaurant Elk and Oarsman an der Hauptstraße in Banff. Wir haben uns das Restaurant von einem „Banffianer“ empfehlen lassen. Wir fragen oft die Einheimischen, wo es ein gutes Lokal gibt, und mit etwas Gespür unsererseits passt das dann meistens. Meistens. Für Mona und mich ist diese Kneipe ganz in Ordnung. Horst ist die Speisekarte zu umfangreich. Total überfordert bestellt er sich eine Pizza. Eine Pizza mit dem wundersamen Titel „Taxi Drivers Pizza“. Mona meint, sich verhört zu haben: „Du magst doch gar keine Pizza. Und jetzt willst du eine mit Würstchen drauf? Papa?“ Das ist das zweite Mal in unserem gemeinsamen Leben, dass sich mein Mann eine Pizza bestellt. Er mag sie nicht wirklich. Liegt in erster Linie an der Tomatensoße. Diese Pizza isst er tapfer, zumindest die Hälfte davon. In der Kneipe ist es laut. Football wird übertragen. Wir bleiben nur kurz. Auf unserem Zimmer trinken wir in aller Ruhe ein Glas Weißwein. Ich natürlich in meiner Nische sitzend. Wir lesen, während Mona schon tief und fest schläft.

Fast schon routinemäßig frühstücken wir auf dem Zimmer. In Amerika ist das ganz einfach. Mona und ich holen Saft und Bagles aus dem Hotelshop. Kaffee und Tee können wir auf dem Zimmer selbst machen. Es folgt die tägliche Lerneinheit, bevor wir zur Therme fahren. Die Wolken lösen sich gerade auf, als wir die Banff Upper Hot Springs erreichen. Pünktlich mit dem Eintauchen in das Thermalwasser schiebt sich die Sonne vor die Restwolken und strahlt am spätsommerblauen Himmel. Ähnlich wie in Jasper genießen wir den märchenhaften Panoramablick auf die Berge vom Heilwasserbecken aus. Horst gönnt sich eine Massage. Inzwischen ist es später Nachmittag. Mona meint, es sei Zeit für einen Apfelkuchen in Evelyn’s Coffee Bar in Banff. Und endlich findet sie ein Andenken an Banff. Eine Fellkappe mit Puschelschwänzchen. „Davy Crockett, König der Trapper“, fällt Horst dazu ein. Ein Disney-Film aus dem Jahre 1955. Der Held in Walt Disneys legendärem Film, Davy Crockett, trägt so eine Fellkappe – ein erfahrener Bärenjäger und Trapper, der den Indianerhäuptling Red Stick im Kampf auf Leben und Tod besiegt, ihm aber den Frieden anbietet.

Ein bisschen was geht heute schon noch. Deshalb fahren wir auf dem Tunnel Mountain Drive bis zum Aussichtsplatz. Von dort aus schauen wir uns die Hoodoos an. Die Hoodoos sind recht eigentümliche Gebilde: in die Höhe ragende, aufgeschüttete Sandsteintürmchen mit Zacken und Zinnen. Erdkundler würden jetzt wohl sagen: Ein Resultat von Gletscherschmelze und Erosionen. So etwas gibt es nicht nur in Kanada. Wir haben Ähnliches am Ritten in Südtirol gesehen. Erdpyramiden heißen sie dort. Hirsche und Elche stehen auf unserer To-see-Liste. Die sollen im Märchenwald hinter dem Golfplatz leben. Wir werden nicht enttäuscht. Momentan ist Brunftzeit, da sind die Hirsche nicht ungefährlich. Ihre Rufe und Schreie hören wir vom späten Nachmittag bis in die Morgenstunden. Sie röhren sich warm, denn bald werden sie um die Vormachtstellung kämpfen. Mona ist nicht feige. Das liegt wohl an ihrer Trappermütze. Dem Hirsch kommt sie so nah, dass sie ein gelungenes Foto machen kann. Mona ist richtig gut drauf, plappert unentwegt und lacht viel. Anfangs hatten wir Bedenken, wie und ob sie mit dieser Reise überhaupt zurechtkommen wird. Manchmal auch gezweifelt. Doch mein Mann hat auch in solchen Situationen eine starke Einstellung: „Zweifel sind nicht erlaubt.“

Langsam macht sich der Hunger bemerkbar. Über den Tag verteilt essen wir sehr wenig, und am Abend lassen wir es uns gutgehen. Heute hat Horst das Restaurant lieber selbst ausgesucht. Dafür hat er immer ein richtig gutes Händchen. Saltlik. Moderne Innenarchitektur und ein begnadeter Koch. Wir wählen das Steak mit einem Kartoffelbrei, in dem sich kleine Stückchen vom Lobster verstecken. Das Kartoffelpüree allein ist schon eine Hauptmahlzeit. An diesen märchenhaften Geschmack werden wir uns noch jahrelang erinnern!

Nachts gab es Bodenfrost, jetzt scheint die Sonne. Fitness, Lernprogramm, dann ins Lake Louise Village. Unter Village habe ich mir ein Dörfchen mit netten Häuschen vorgestellt. Doch das Dorf Lake Louise besteht aus einem Visitor Center und zwei Cafés. Und dem Chateau Lake Louise. Wieder ein Hotel, das die Kanadische Eisenbahngesellschaft erbaut hat und jetzt zur Fairmont-Gruppe gehört. Wir beschließen, am Westufer des Lake Louise spazieren zu gehen. Ich habe gelesen, dass die Stoney-Indianer den See „See der kleinen Fische“ nannten. Das liegt an der Wassertemperatur. Der Victoria-Gletscher speist den Lake Louise. Im Winter hat es hier an die 14 Grad minus im Durchschnitt, im Sommer 13 Grad. Wir spüren das auch. In Banff waren es noch 25 Grand, hier sind es 11 Grad. Nach zwei Stunden fahren wir zum Moraine Lake. Zehn Gipfel betten den Gletschersee ein. Ein Panoramabild davon war auf den alten kanadischen 20-Dollar-Scheinen. In Farbe wirkt es jedoch viel, viel besser. Die Zacken der Bergketten und die schneebedeckten Ausläufer der Gletscher spiegeln sich auf der Wasseroberfläche des Sees. Wir setzen uns auf die Kieselsteine am Ufer. Mona klettert auf einen aufgeschütteten Haufen von Schiefergestein, größere und kleinere Platten. Fünf Plättchen hält sie in ihrer Hand und strahlt übers ganze Gesicht: „Die nehm ich mit nach Hause!“ Horst nickt und schmunzelt: „Die Begeisterung für Stein liegt ihr im Blut.“ Mein Vater ist nämlich Steinmetzmeister. Daher Monas Interesse für Steine jeglicher Art.

Letzter Tag in Banff. Mit Rafting-Tour am Nachmittag. Ich bin zwar kein Angsthase, aber grundsätzlich achtsam. Zum Leidwesen von Horst und Mona hatte ich darauf bestanden, die Tour mit dem harmlosen Schwierigkeitsgrad 2–3 buchen. Die Sonne strahlt herab auf den Spray River. Das ist der Zulauf zum Bow River. Vier weitere Passagiere sind mit von der Partie. Wir bekommen die Sicherheitswesten angelegt, steigen ins Boot. Der Guide heißt Lucas, hat Rastalocken und ein Stirnband am Kopf. Er lenkt das Boot recht vorsichtig und ich bin ganz entspannt. Wir sehen die Hoodoos vorbeiziehen, die Rockys immer im Blickfeld. Das Hartgummiboot schlängelt sich an dünnen, langen Baumstämmen entlang. Abgebrochen und teils entwurzelt ragen sie in den Fluss. Lucas nennt sie „Toothpicks“, Zahnstocher. Für einen Riesen, ja. Die Sonnenstrahlen wärmen, eine angenehme Brise weht und wir bekommen hin und wieder etwas von der Gischt des Flusswassers ab. Nach einer Stunde ist die Bootsfahrt zu Ende. Ein Kleinbus holt uns am Flussufer ab. „Mona, schau, da ist eine Elchkuh. Mit drei Jungen!“ Horst dreht Mona in die richtige Position am Fenster. „Wow, darauf habe ich die ganze Zeit gewartet!“ Den Elchpapa haben wir vergeblich gesucht. Vom Spray River verabschieden wir uns mit einem Kneippbad. Eiskalt. Horst gibt als Erster auf, dann ich. Mona ist die Siegerin im vier Grad kalten Wasser. Morgen geht die Reise auf dem Trans-Canada Highway weiter. Ziel Calgary. Entfernung 130 Kilometer. Zurück im Hotel sitze ich wieder in meiner Nische und schaue auf die Bergkette über dem Bow River. Die Sonne geht gerade unter und taucht die Berggipfel in ein rotes Licht. Sie glühen rubinrot. In mir breitet sich ein warmes Gefühl aus, als ob mich die letzten Ausläufer der untergehenden Sonne tief im Inneren berühren. Ich spüre in mich hinein. Da ist ganz viel Dankbarkeit, Liebe und auch so etwas wie Demut. Dankbarkeit für diesen märchenhaften Tag. Wieder ein Tag, den ich zusammen mit meinen Liebsten erlebt habe. In Harmonie, an einem wunderschönen Ort.

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