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Vom Besserwissen in San Francisco

5.–8. Oktober

Der Flug nach San Francisco ist ruhig, das Wetter fantastisch und die Sicht auf die Rocky Mountains klar. Der Landeanflug auf die Stadt geht immer knapp am Wasser entlang. Am Flughafen in Vancouver hatte es wieder einmal mich erwischt: Körperscanner. In San Francisco läuft alles problemlos. Die Koffer kommen, das Taxi auch und nur eine halbe Stunde später sind wir im Hotel. Im Fairmont, mit Zimmer im 17. Stock. Vom Fenster aus sehen wir die beeindruckende Grace Cathedral. Es ist bereits 13 Uhr. Der Magen merkt das auch. Bevor wir ein Restaurant suchen, zündet Mona in der Kathedrale eine Kerze an. Wir setzen uns in eine der vorderen Kirchenbänke und halten ein wenig inne. Was Mona wohl gerade denkt? Zu viel nicht, denn sie hat Hunger und wir auch. Chinatown ist ganz nah und wir entscheiden uns für das Restaurant „Empress of China“. Eine ausgezeichnete Wahl. Wir sitzen am Fenster im 6. Stock, schauen direkt auf die Kirche St. Peter and Paul, sehen den Coit Memorial Tower auf dem Telegraph Hill und genießen Lobster und Jakobsmuscheln. Mona hantiert mit den Essstäbchen. Mir ist das zu mühsam. Ich bitte unter Monas Protest um Gabel und Messer. Horst fügt sich Monas Anweisung, authentisch zu essen.

Am Abend denke ich an meine Eltern. Sie sind vor 30 Jahren in San Francisco gewesen und schwärmen noch heute von dieser außergewöhnlich faszinierenden Stadt. Ich kann das nach einem Tag schon nachvollziehen. Unbedingt müssten wir mit der Cable Car, der berühmten Kabelstraßenbahn, fahren. Der Taxifahrer heute hat uns darauf hingewiesen, dass dieses Wochenende in der Stadt die alljährliche Flugschau stattfindet und die Cable Car überfüllt sein wird. Wir finden trotzdem einen Platz.

Der nächste Tag. Am Union Square entdecken Mona und ich interessante Geschäfte und landen schließlich in einem dreistöckigen Levis-Store. So viele Jeanshosen haben wir auch noch nie auf einmal gesehen. In zerrissenen Hosen laufen wir zwar nicht gerade durch San Francisco, aber: „Ein bisschen dünn am Knie sind unsere Jeans doch schon, oder?“, frage ich Horst. Er weiß, er wird auch eine neue Jeans kaufen müssen, so wie Mona und ich. Und wer hier keine neue Jeans findet, dem ist nicht zu helfen …

Vor dem Mittagessen besuchen wir das Cable Car Museum. Wir sehen, wie die zwei Hauptrouten der Gleise die Stadt kreuzen: California Street und Powell Street.

Bei den Kabelbahnen von San Francisco läuft das Seil in einem Graben unterhalb der Straße. Die Wagen greifen das Seil mit einer Spannklaue durch einen Schlitz in der Fahrbahn. Das Seil ist endlos umlaufend. Am Ende einer Linie wird der Wagen auf einer Drehscheibe gedreht und kann auf dem Gegengleis mit dem rücklaufenden Seil zurückfahren. Im Streckennetz von San Francisco gibt es heute noch vier Drehscheiben. Von der Cable Car in der Powell Street lassen wir uns zur Fisherman’s Wharf bringen. Es sind ziemlich viele Menschen unterwegs. Das Angebot an Restaurants ist hier groß. Das Ambiente ist italienisch, die Speisen auch. Calamari, Shrimps, Salat und ein Glas Wein. Noch hören wir Möwen kreischen und unsere Tischnachbarn laut reden, als plötzlich ein Dröhnen all diese Geräusche übertönt. Wir schauen zum Himmel. Mindestens zehn Kampfjets donnern über uns hinweg. Sie bilden Formationen, trennen sich wieder. Top Gun, Tom Cruise, denke ich. Bei diesem ohrenbetäubenden Lärm schlendern wir über den Fischmarkt. Fische, Fische, nochmals Fische, Schalentiere und freche Möwen. Die scheinen zu meinen, das Buffet ist für sie gedeckt. Aber da ist noch ein anderer Geruch. Nicht nach Fisch und nicht nach Meer. Ein warmer, getreidiger Duft. Brot. Frisch gebacken. Ich habe ein ganz großes Faible für Bäckereien. Ich liebe den Geruch von frischem Brot und kann an keiner Bäckerei achtlos vorbeigehen. Boudin Bakery & Café. Im Fenster köstliche Brotlaibe, Weißbrotstangen und Kleingebäck. Vor dem Haupteingang liegt ein Krokodil. Gebacken aus Brotteig. Geschätzt über einen Meter lang. In einem völlig überfüllten Elektrobus fahren wir in die Stadt zurück, dann mit der Cable Car zum Hotel. Im Fairmont gibt es eine Tiki Bar mit Restaurant. Das gefällt mir besonders gut, denn es erinnert mich an das Trader Vicˊs im Bayerischen Hof in München. Mai Tai, kleine Leckereien zum Essen. Diese Bar heißt Tonga, der Mai Tai schmeckt und die Spareribs sind auch nicht übel.

Horst braucht unbedingt einen Friseur. Er hat einen italienischen Haarfachmann aufgetan. Bibbo. In der Sutter Street. Nach einer Stunde treffen wir uns an der Grand Avenue wieder. Auf den ersten Blick erkenne ich ihn fast nicht wieder. Top gestylt. Mona muss auch zweimal hinsehen: „Wow, Papa, du schaust ja viel jünger aus!“, trällert sie. So schlendern wir – Horst in der Mitte – die Grand Avenue entlang. Es bleibt nicht nur beim Schaufensterbummel. Camper Shoes – ich kann nicht anders und tausche die betagten schwarzen Turnschuhe an meinen Füßen gegen ein neues Paar bequemer Lederstiefeletten ein. Armani – Horst sieht ein schwarzes Jackett im Schaufenster. „Du, habe ich eigentlich eine Jacke dabei?“, will er wissen. „Nur die blaue Funktionsjacke.“ Horst zieht die Augenbrauen hoch. Diese Antwort gefällt ihm ganz und gar nicht. „Ich habe immer ein Jackett dabei. Komm, lass uns da mal reingehen.“ Wenn Horst irgendwo reingeht, kauft er auch. Das weiß ich haargenau. Wozu um alles in der Welt braucht er denn ein Jackett auf der Weltreise, frage ich mich und denke dabei nur ans Packen und Verknittern im Koffer. Für den Wunsch nach einem Jackett mache ich Bibbo verantwortlich. Der hat ihn so fein frisiert, dass da ein Jackett unvermeidbar ist. Und so nimmt die Armani-Sache ihren Lauf. Der einwandfrei gekleidete Armani-Assistent bringt Horst die Jacke aus dem Schaufenster. Er ist freundlich, geschult und treffsicher in Horsts Konfektionsgröße. Perfekter Sitz. Und zum neuen Hairstyle ein absoluter Match. Schwarze, dünne, federleichte Wolle aus Kaschmir in einer Art Webdruck. Ich spitze dezent auf das Preisschild. Qualität hat schon ihren Preis, denke ich. Ich würde die nicht kaufen, für den Preis. Horst dreht sich vor dem Spiegel und ist happy: „Weißt du, wenn ich mein Leben lang immer auf den Preis geschaut hätte, wäre ich nicht weitergekommen. Und wenn ich etwas ausgeben will, verdiene ich das wieder. Du kennst mich jetzt schon so lange.“ Ja. Eine nette Assistentin will wissen, ob sie für mich noch etwas Schönes finden darf. Eines der Kleider vielleicht? Ich lehne dankend ab. Denn ich habe – abgesehen von Preis und Nutzen – ein ganz anderes Problem mit dem Jackett: Wie wird es die Reise im Koffer überstehen? Es wird fürchterlich verknittern und Abdrücke bekommen. Ich muss es jedes Mal auspacken, glatt streifen und aufhängen. Und dann wieder irgendwie möglichst wenig verknitternd einpacken. Wofür braucht Horst überhaupt so ein Jackett? Im Wohnmobil? Im Dschungel? Diese Gedanken sind wie aufgereiht an einer Perlenschnur in meinem Kopf. Und genau jetzt erkenne ich ihn, den Augenblick des Besserwissens. Ich meine schon sehr oft besser zu wissen, was wir brauchen, was wir nicht brauchen, was vernünftig ist und was nicht. Wie die erste Perle von einer abgerissenen Kette rollt die Erkenntnis vor meine Füße und sieht mich an: Petra, nicht immer nur deine Meinung zählt. Horst hat sich für dieses Jackett entschieden, weil es ihm gefällt, weil er sich darin wohlfühlt, weil er es wert ist. Und wenn es verknittert, wird es sich schon wieder entfalten. Und wenn es sich nicht entfaltet, wird es eben im Laufe der Reise eine Faltenjacke. Da muss ich schmunzeln. Und den Besserwisser, der da wie eine dicke fette Staubfluse auf meiner rechten Schulter sitzt und mir gerade ins Ohr flüstern will, warum wir so ein Jackett wirklich nicht brauchen, genau den streife ich jetzt ab. Mal ganz ehrlich: Meine alten Turnschuhe hätten es auch noch getan.

Neben dem Fairmont Hotel gibt es einen kleinen Sandspielplatz mit Hangelstangen, Schaukel und Rutsche. Wir verbringen den Nachmittag dort. Wieder kreisen die Jets der Blue Angels ohrenbetäubend am Himmel. Bibbo hat Horst ein Restaurant empfohlen, auch in der Sutter Street, eventuell Verwandtschaft. Italienisches Basisessen. Pasta. Perfekt. Und das neue Jackett ist auch dabei. Meine Stiefeletten ebenfalls. Inzwischen ist es 10 Uhr abends. Wir sind zurück ins Hotel mit der Cable Car außen mitgefahren. Das sind die begehrtesten Plätze und gleich drei zu ergattern, ist ein Glücksfall. Besonders an Wochenenden wie diesem. Heute ist Columbus Day, Gedenktag an Christoph Kolumbus’ Ankunft in der Neuen Welt. Feiernde in mittelalterlichen Kostümen tummeln sich in der Lobby. Wir ziehen uns zurück, denn morgen wollen wir zeitig die Golden Gate Bridge aus der Nähe sehen.

Frühstück bei Starbucks. Heute mit Plätzen an der Fensterfront. Es ist viel los in der Stadt. Bei all dem Trubel um den Namenstag der Stadt, Columbus Day und Blue Angels dauert es, ein Taxi zur Golden Gate Bridge zu finden. Es ist viel Verkehr. Stop and go über die Golden Gate. Mona hat ihr iPad dabei und dreht für ihre Freundin Melina einen Film. Wie eine kleine Reporterin spricht sie dazu. Wir müssen still sein. Mona hat fertig gefilmt, der Taxifahrer will mit uns reden. Er erzählt, dass die Golden Gate Bridge aus den 30er-Jahren stammt, fast 900.000 Tonnen wiegt und je 600.000 Nieten die beiden Türme zusammenhalten. Der letzte Nietnagel war aus purem Gold und wurde unter großem Presserummel eingeschlagen. Golden Gate Bridge. Gold ist leider sehr weich. Der letzte Nagel hielt nicht und fiel ins Wasser. Gefunden wurde er nie. Aber der Name Golden Gate Bridge blieb.

Der Taxifahrer lässt uns auf der anderen Seite der Brücke kurz aussteigen. Natürlich brauchen wir Fotos von dem Aushängeschild San Franciscos.

Nach einem schmalen Lunch im Hotel packe ich den kleinen roten Trolley voll mit Schmutzwäsche. Auf der Rückfahrt zum Hotel habe ich nämlich zwei Straßen hinter der Kathedrale einen Waschsalon entdeckt. Dort rolle ich nun hin. Eine einfache Coin Laundry. Waschpulver gibt es im Automaten. Rote Plastikstühle zum Warten. Außer mir sind nur zwei Wäscher am Waschen. So kann ich zwei Waschmaschinen gleichzeitig besetzen. Nach eineinhalb Stunden ist alles gewaschen, getrocknet, sauber gefaltet und mein Buch leer gelesen. Um 17 Uhr ist Heilige Messe in der Kathedrale. Für den Gottesdienst sind in der Mitte der Kathedrale 50 Stühle und ein Altar aufgebaut. Die Kirchgänger sind überwiegend junge Menschen. Ein Mann hat sogar seinen Hund dabei. Die Kathedrale ist dem heiligen Franz von Assisi geweiht. Er ist der Freund der Tiere, deshalb darf der Hund auch kommen. Bei uns daheim nicht vorstellbar. Text- und Liedblätter werden ausgeteilt. Sie helfen uns sehr. Sogar das englischsprachige „Vaterunser“ ist abgedruckt. Ich finde es eigenartig, nicht in meiner Muttersprache zu beten, aber es funktioniert. Fast alle Besucher gehen auch zur Kommunion, sogar der Hund. Er bekommt zwar keine Hostie, aber der Pfarrer streicht ihm über den Kopf, so wie das bei uns daheim der Pfarrer bei den kleinen Kindern tut. Wir zünden zwei Kerzen an und erbitten Gottes Segen. Für uns drei, für unsere Familien daheim. Morgen werden wir das gebuchte Wohnmobil übernehmen und eine Zeit lang in keinem Hotel und in keiner großen Stadt sein. Armani-Jackett? Ich streife die Besserwisserstaubfluse von meiner Schulter und muss lächeln.

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