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Entschleunigen mit Anlaufschwierigkeiten: Von Toronto nach Edmonton

13.–18. September

Am späten Nachmittag checken wir im Royal York Hotel im Herzen von Toronto ein. Wir werden hier eine Nacht bleiben, die Koffer ganz auszupacken macht nicht wirklich Sinn. Die Sonne scheint, die Temperaturen draußen sind angenehm und ein leichter Wind streift an den Fassaden der Häuser entlang. Es treibt uns in die Stadt. Toronto empfängt uns laut und geschäftig. An vielen Plätzen und Straßen im Stadtzentrum sind Attraktionen aufgebaut, denn genau an diesem Wochenende findet das 37. Toronto International Filmfestival, kurz TIFF statt. Jetzt verstehen wir auch, warum Kameraleute und Reporter auf unserem Stockwerk im Hotel waren. Alljährlich treffen sich im September Fernsehstars, Produzenten und Medienleute aus aller Welt. Rote Teppiche, lange Schlangen von Menschen vor den Gebäuden und jede Menge Buden und Verkaufsstände.

Weil wir noch keinen rechten Plan für heute Abend haben, beenden wir diesen Tag in der Bar des Hotels. Eine Kleinigkeit essen, ein Glas Weißwein für uns und für Mona ein Tonic Water. Viel mehr ist gar nicht nötig, um müde ins Bett zu fallen.

Am nächsten Tag bringt uns einer der sechs Aufzüge des CN Towers bis unter seine Spitze. Mit einer Geschwindigkeit von 22 km/h geht es in nur 58 Sekunden hinauf auf 346 Meter. Wir genießen den Ausblick auf die smarte Skyline der Stadt und den Ontario See. Eine kleine Erfrischung im 360 Grad Restaurant. Mona schreibt ihren ersten Eintrag in das kleine Tagebuch, das sie sich im CN-Souvenirshop zuvor gekauft hat. Im CN Tower gibt es eine etwa 25 Quadratmeter große Glasbodenfläche, durch die man direkt nach untern sehen kann. Mona traut sich an den Rand der Glasplatte heran und betrachtet sie so, wie die anderen Touristen auch: sehr skeptisch. Fünf chinesische Mädchen stehen vor uns und haben große Hemmungen, auch nur einen Fuß auf die Glasplatte zu setzen. Es bleibt beim Versuch, diese mit der Schuhspitze anzutippen. Mona nimmt all ihren Mut zusammen und springt mit Wucht auf das Glas. Die Mädchen aus Peking kreischen und gestikulieren wild. Mona ist ihre Heldin. Das wollen sie unbedingt festhalten und drücken Horst eine Kamera in die Hand. Jetzt trauen auch sie sich auf die Glasfläche, nehmen Mona in die Mitte und lächeln so in die Kamera, wie es Chinesen eben tun.

Unserem Hotel gegenüber steht der wuchtige Bahnhof. Da müssen wir hin. Der Hotel-Portier hilft uns mit dem Gepäck über die stark befahrene Hauptstraße.

Es ist der 14. September und wir steigen ein in den „Canadian“. Der berühmte Zug ist ewig lang, hat drei Glaskuppelwaggons und fährt in fünf Tagen von Toronto nach Vancouver. Nach drei Tagen werden wir in Edmonton aussteigen. Wir beziehen eines der geräumigsten Abteile. Der Schaffner klappt unsere Betten auf und richtet sie für die Nacht. Mona reibt sich vor Müdigkeit die Augen. Der Zug setzt sich in Bewegung, es ruckelt und zuckelt. Auch Horst und mir fallen die Augen zu.

Der erste Tag zieht fast noch schneller an uns vorüber als die Landschaft selbst. Wir lesen, schauen aus dem Fenster, plaudern und essen. Der Tagesrhythmus ist getaktet: Frühstück um 6.30 Uhr, Mittagessen um 11 Uhr und Abendessen um 17 Uhr. Das Essen wird in zwei Schichten im Speisewagen serviert. Die Gerichte und der Service gefallen uns sehr gut. Mona macht uns Sorge. Sie ist still, blass und hat Bauchweh. Muss ich mir ernsthafte Sorgen machen? Ich lasse den ein oder anderen Gedanken von der Leine. Zu viel? Zu weit? Heimweh schon jetzt?

Heute ist der 15. September. Über der Prärie geht gerade die Sonne auf. Der Schaffner verkündet über das Mikrophon des Bordcomputers: „Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen. In wenigen Minuten halten wir in Winnipeg!“ Durch die Panoramascheibe sehen wir einen großen Fluss, den Assiniboine River. Darüber spannt sich eine Stahlbrücke. Und schon kommt der Zug in einem bildschönen Bahnhof zum Stehen. Wir haben zwei Stunden Aufenthalt in Winnipeg und nutzen die Zeit für einen Spaziergang. Kurz nach 8 Uhr ist die Luft noch etwas kühl. Wir sehen den zweiten Fluss, der sich durch Winnipeg schlängelt, den Red River, und viele gläserne Bürogebäude. Einige Menschen sind schon in den Stadtparks, den Forks, unterwegs. Wir lesen in unserem Reiseführer, dass bis vor etwa 30 Jahren die Canadian National Railway hier Lagerhäuser und Werkshallen besaß. Diese sind mittlerweile abgerissen oder umgebaut. Das Gelände mit Theatern, Galerien, Museen, Konzertbühnen und einer Markthalle ist ideal für Freizeit und Erholung. Schon so zeitig drehen einige Skater mit schräg auf dem Kopf sitzenden Kappen ihre Runden im Park. Mona fühlt sich schlapp. Sie hat Fieber. Der Schaffner richtet Monas Bett wieder her. Obwohl sich Mona im Schlaf zu erholen scheint, klettert das Fieber am späten Nachmittag auf 40 Grad. Ohren- und Kopfschmerzen kommen hinzu. Mir gefällt das gar nicht. Horst beruhigt Mona und auch mich. Was wird sie denn ausbrüten? Die Ohrentropfen und der Fiebersaft aus meinem Medizinbeutel helfen. Das Abendessen wird in unserem Abteil serviert. Die Zugbegleiter sind unglaublich aufmerksam und erfüllen Monas Wunsch nach Tee und Toast.

Die Nacht im Zug ist recht unruhig. Das obere Bett, in dem ich schlafe, quietscht, wenn der Zug ruckelt. Ich versuche, zu entspannen – mich gedanklich und meine Muskeln progressiv. Funktioniert heute nicht besonders gut. Linke Seite, rechte Seite, Rücken. Die Stunden schleichen dahin. Ich schaue auf meinen kleinen Reisewecker. Es ist erst 23.54 Uhr. 1.02 Uhr. Plötzlich ein abrupter Stopp – der Zug steht. Auf dem Bahnsteig hört Horst Stimmen. Polizei. Wir rappeln uns auf und spähen durch das Fenster, können nichts erkennen. Es dauert nicht lange, dann hören wir, wie die Türe unseres Waggons geöffnet wird. Wir öffnen die Abteiltüre einen kleinen Spalt weit. Drei Cops steigen ein, bleiben im Gang neben unserem Abteil stehen. Sie sehen tatsächlich so aus, wie wir sie aus den amerikanischen Fernsehserien und Filmen kennen. Ich fange ein bisschen zu schwitzen an. „Suchen die uns? Wegen der Schulpflicht?“ „Unsinn, beruhige dich, Petra“, flüstert Horst. Mir ist trotzdem nicht ganz wohl. Im Nebenabteil gibt es ein kurzes Wortgefecht – dann Ruhe. Wir schließen unsere Türe lieber wieder. Schritte auf dem Gang, vorbei an unserem Abteil – Gott sei Dank. Mona schläft tief. Ich atme aus. Neugierig schleiche ich zurück zum Fenster. Die Polizei führt gerade einen kräftigen Mann mit Bart in Handschellen ab. Es ist dreiviertel zwei. Horst und ich schlüpfen wieder in unsere Betten. Träge schieben die beiden Loks die vielen Waggons an. Endlich ist Ruhe.

6.30 Uhr. Sonntagmorgen. Der Zug fährt in den Bahnhof von Edmonton ein. Unser Gepäck wird zügig ausgeladen. Vor dem Bahnhof warten die Taxen. Unser Taxifahrer ist sehr freundlich. Rührend sorgt er sich um unser krankes Kind. Am ersten Drugstore hält er an und kommt mit seinem Favoriten zurück, kanadisches Nurofen mit Erdbeergeschmack. Als dreifacher Vater schwört er auf diesen Zaubersaft. Er habe damit nur die besten Erfahrungen gemacht. Die Straßen sind noch nicht sehr stark befahren. Durch das Halbdunkel lasse ich meine Blicke aus dem Taxifenster schweifen. Im Gegensatz zu Toronto sind die Gebäude nicht hoch, die Stadt kommt mir recht übersichtlich vor. Nach einer Viertelstunde erreichen wir unser Ziel, das Fantasyland Hotel in der West Edmonton Mall.

Natürlich können wir um diese Uhrzeit unser Zimmer noch nicht beziehen. Also beginnen wir den Tag mit einem kräftigen Frühstück im Restaurant L2: Kaffee für uns, Rührei mit Speck, Toastbrot und Orangensaft. Mona bekommt einen Kamillentee. Es scheint ihr besser zu gehen. Sollte kanadisches Ibuprofen im eigenen Land wirksamer sein als europäisches?

Horst war vor 20 Jahren schon einmal in dieser Stadt. Zu einer Zeit, in der es in Europa noch keine Rieseneinkaufszentren gab. In der West Edmonton Mall findet man neben 800 Geschäften und 100 Restaurants ein riesiges Schiff, den Nachbau der Santa Maria. Es steht in der Mitte dieser gigantischen Einkaufswelt. Dazu gibt es ein Galaxyland mit Fahrgeschäften, eine Eishalle und einen Aqua Park mit Rutschen, Wellenbecken und Strandoptik. Langsam füllt sich das Einkaufsparadies mit Besuchern. Auch an einem Sonntag. Gegen 11 Uhr beziehen wir vorübergehend ein einfaches Ersatzzimmer, damit Mona schlafen kann. Bald wird das gebuchte Zimmer bereitstehen. Im Fantasyland Hotel sind die Zimmer themenbezogen eingerichtet. Es gibt Afrikazimmer, Hollywoodzimmer, Zimmer mit Iglus und Eishöhlen um die Betten, Zimmer mit Betten, die aussehen wie Trucks und Cadillacs. Ein absoluter Traum – nicht nur für die Kinder dieser Welt. Mona blättert im Prospekt und befürwortet das Fantasiezimmer. Während sie sich im Schlaf erholt, reflektieren wir die ersten Tage unserer Reise. In Toronto war der Aufenthalt definitiv zu kurz. Die Bahnfahrt. Der Canadian ist schwer in die Jahre gekommen. Wir hatten uns das Abteil hübscher vorgestellt. Aber nächstes Jahr soll der gesamte Zug renoviert werden. Von Kingsize-Betten in den Luxusabteilen und eigenen Duschkabinen hat der Zugbegleiter erzählt. Die Stimmen aus den alten Lautsprechern im Abteil hallen extrem und erschreckten uns immer wieder. Zumal die Durchsagen gleich zweimal kommen: auf Englisch und natürlich auf Französisch. 90 Prozent der Reisenden sind über 60. Die Küche ist abwechslungsreich und richtig gut. Das Personal freundlich und sehr aufmerksam. Geeignet zum Entschleunigen.

Mona hat über drei Stunden geschlafen. Sie erwacht fieberfrei und will unbedingt die Mall sehen. Wir studieren den Lageplan und machen uns auf den Weg zum Seelöwenfelsen. Vier Seelöwen unterhalten die Zuschauer. Das ist für Mona nicht anstrengend und sie lacht wieder. Etwas später steht sie traurig vor einer riesigen Glaswand und drückt die Hände dagegen. Dahinter ist das überdimensional große Schwimmparadies. Ein Wellenbecken, künstliche oder echte Palmen, aufgeschütteter Sand und Liegestühle – wie in der Karibik. Unser Versprechen, dort zu baden und zu plantschen, können wir nicht halten. Nicht nur Mona hatte sich darauf gefreut.

Heute wachen wir im Fantasiezimmer auf. 10. Stock. Blick auf Edmonton. Unser Bett ist ein Schiff mit Gallionsfigur über dem Kopfende. In einer Zimmerecke sitzt ein Plüschpapagei auf einer Stange. Mona reibt sich verschlafen die Augen und schaut von ihrem Hochbett herunter. Sie lächelt. Es geht bergauf. Mitten im Zimmer steht ein Jacuzzi in einer künstlichen Felsenlandschaft. Mona gefällt er auch ohne Wasser. Wir frühstücken. Anschließend bummeln Mona und ich ein Stündchen durch die Mall, Horst bleibt im Hotel und arbeitet. Am frühen Nachmittag nehmen wir ein Taxi zur City Hall. Von dort aus überqueren wir den Sir Winston Churchill Square, gehen vorbei am Citadel Theatre, schauen uns vom Kongresszentrum aus die Glaspyramiden des Muttart Conservatory am Saskatchewan River an, kommen zum Fairmont Hotel Macdonald und laufen ohne Plan die Jasper Avenue entlang. Einen Eindruck von der Stadt haben wir gewonnen. Mehr wollen wir gar nicht. Wir freuen uns auf morgen. Auf den Jasper National Park. Edmonton wird das „Tor zum Norden“ oder „Tor zu den Rockys“ genannt. Durch dieses Tor werden wir morgen fahren. Auf den Spuren der Pelzhändler, der Goldsucher und der Tauschgeschäftler.

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