Читать книгу 3 Tickets um die Welt - Petra Babinsky - Страница 6
ОглавлениеAbflug LH 6790 nach Toronto
12. September
Ein ganzes Jahr unterwegs sein? Richtig bewusst wird mir diese Zeitspanne erst am Flughafen. Meine Eltern haben uns nach München gebracht. Ein kleiner Stau auf der Autobahn. Mein Papa nimmt die Schleichwege durchs Erdinger Moos. Es dauert länger. Trotzdem geben wir die drei großen roten Koffer pünktlich auf und checken ein. Habe ich alles dabei? War das schwarze Kleid noch nötig? Der rote Pulli und die hohen Schuhe? Habe ich an alles gedacht? Solche Gedanken schießen durch mein Hirn, während wir eine letzte Tasse Kaffee mit meinen Eltern trinken. Mona ist sehr aufgeregt und ich bin es auch. Ich schwitze, obwohl ich nur eine dünne Bluse anhabe, die Jacke im Handgepäck. Horst ist vollkommen ruhig. Auf dem Weg zur Sicherheitskontrolle wird mir etwas schlecht. Die Verabschiedung. Mona drückt sich in Omas Arm und hält Opas Hand ganz fest. „Oma, ich bringe dir die schönsten Muscheln mit!“ Und da ist es so weit: Ich fange an zu schluchzen. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Meine Mama nimmt mich in den Arm. Sanft streicht sie mir über die Wange: „Alles gut. Wir sehen uns in einem Jahr wieder. Passt gut auf euch auf.“ Und ich habe damit gerechnet, dass die beiden in Tränen ausbrechen. Mein Papa drückt mich und dann den Horst. Oma steckt Mona noch ein klitzekleines Glücksschwein aus Plüsch zu. Wir legen unser Handgepäck auf das Band. Auch die Gürtel und Schuhe müssen durch den Scanner. Ein letzter Blick zurück. Ich wische meine Tränen aus dem Gesicht und fädle den Gürtel wieder durch die Schlaufen meiner Hose. Vor der Passkontrolle drehe ich mich um. Meine Eltern sind nicht mehr da. Jetzt geht es wirklich los. Mit jedem Schritt zum Flugsteig fällt meine Anspannung ab. Horst hat alles im Griff. Alle Reiseunterlagen liegen geordnet in seinem kleinen schwarzen Rollkoffer.
LH 6790 nach Toronto. Wir steigen ein. Flugzeit: 8 Stunden, 50 Minuten. 6 Stunden Zeitverschiebung. Wie wird sie wohl werden, unsere Reise? Monatelang aus dem Koffer leben? Werde ich ganz alltägliche Dinge sehr vermissen? Freunde, Arbeit, Haushalt? Wo werde ich die Wäsche waschen? Wird unserer Tochter die Schule fehlen? Wird sie ihre Freunde vermissen? Ihr Schwimmtraining, Klavierspielen und Ballett? Oma, Opa, Tante und ihre Brüder? Wie wird es Horst ohne seine Firma gehen? Werden wir Heimweh haben? Unser Traum, ganz viel Zeit miteinander zu haben – wird er sich so erfüllen, wie wir uns das vorgestellt haben? Kommentare von Freunden und Bekannten wie „Unmöglich! Spannend! Ganz schön mutig! Eine einmalige Sache! Das könnte ich mir nicht leisten …“, spuken mir gerade im Kopf herum. Vielen „Geht-nicht“-Einwänden haben wir getrotzt. Das Ziel Weltreise hatten wir fest im Fokus, visualisiert und fast schon gespürt. Wir haben uns selbst nicht begrenzt. Wir haben uns getraut. Horst und Mona sitzen am Fenster, ich in der Mittelreihe. Mona packt die Kopfhörer aus und erkundet das Unterhaltungsprogramm an Bord. Horst zwinkert mir zu. Ich entspanne mich und denke daran, was meine Yogalehrerin in der Entspannungsphase häufig sagt: „Erlaube dir, komplett loszulassen“.