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Schweinehund

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Ich hätte gerne einen Therapiehund. Das ist ein lang gehegter Wunsch von mir. Einen Hund, der mich bei meiner täglichen Arbeit begleitet.

Wie ein Patient auf einen Hund reagiert, kann sehr hilfreich bei der homöopathischen Mittelwahl sein. Besonders bei Kindern, die noch nicht richtig sprechen können, kann man viel ablesen, wenn sie auf einen Hund treffen.

Um das Familiensystem nicht durcheinanderzubringen, erkläre ich einfach den bereits hier wohnenden Hund kurzerhand zu einem Therapiehund. Von nun an ist er meine rechte Hand beim Arbeiten. Gut, er hat eine große Klappe, aber auch ein großes Herz. Er kann gut mit Kindern – oder sagen wir mal, sie sind ihm eigentlich egal. Hauptsache, er bekommt etwas zu essen. Dann versteht er sich eigentlich mit jedem.

Die Mütter meiner kleinen Patienten sind nicht ganz so begeistert von meinem neuen therapeutischen Konzept. Das mag vielleicht auch ein wenig an der Größe von Wolfi liegen. Hat das Kind erst Kleidergröße 74, schaut der Hund meistens auf das Kind herab, was die Eltern umgehend dazu veranlasst, ihr Kleines schnell hoch- und möglichst weit über die Schultern hinauszuheben.

Ich sage dann zwar immer, dass der nichts tut, aber die Mütter finden es doch etwas befremdlich, wenn der Hund die Speisereste um den kindlichen Mund mit seiner Zunge zu entfernen versucht. Dabei kommt er eigentlich nur seiner Sorgfaltspflicht nach und desinfiziert den oralen Bereich von außen nach innen – ganz nach Hygienevorschrift.

Die meisten Kinder reagieren überraschend positiv auf meinen tierischen Begleiter, wenn die Mütter es erst einmal geschafft haben, sich von dem klammernden, tief ins Muskelfleisch eindringenden Griff ihrer Kinder zu befreien. Dabei sind die Beine am meisten betroffen, was ich mir gleich als Symptom notiere. „Wie ist denn der Schmerz genau?“, frage ich dann gerne. So will es die Homöopathie.

Das schmerzverzerrte Gesicht der Mutter ist aber auch schon sehr aussagekräftig. Vor allem auch dann, wenn sie meine Ankündigung, dass ich jetzt mit einem Hund zusammenarbeite, bei ihrer Ankunft in der Praxis überhört (das eigene Kind schreit manchmal etwas lauter) und beim Betreten des Raumes über ihn stolpert – in der Annahme, ich hätte mir einen Flokati zugelegt. Auch die dann entstehenden Symptome schreibe ich gleich auf.

Zugegeben, nach einer Woche Hund-in-Praxis-Arbeit bin ich gestresst. Noch will ich meinen Traum nicht aufgeben. Ich erkläre unseren Hund zu einem Therapie-Begleithund. Das sieht dann folgendermaßen aus: Der Hund begleitet meine Patienten und mich, wenn wir uns im Rahmen einer Angststörungstherapie der Phobie stellen, über eine dreihundertsechzig Meter lange Hängebrücke zu gehen. Mein Hund – als treuer Freund und Begleiter – soll meiner Patientin unterstützend beistehen, wenn wir – verhaltenstherapeutisch – über die klapprige Hängebrücke in schwindelerregender Höhe laufen. Ich habe auch Angst – aber das sage ich meiner Patientin natürlich nicht. Wir haben ja Wolfi an unserer Seite.

Mutig betreten wir die schwankenden Bretter und halten uns zitternd an den Drahtseilnetzen links und rechts fest. Langsam, den Blick immer nach vorne gerichtet, hangeln wir uns Meter für Meter über die Brücke. Zusammen mit ungefähr zweihundert anderen Besuchern, die das gute Wetter ausgenutzt und ebenfalls einen Ausflug zu Deutschlands längster Hängebrücke gemacht haben. Es ist also ganz schön was los auf dem schmalen Pfad über das tief unter uns liegende, grüne Tal. Wenn man hier runterstürzt, ist man hin – so viel steht mal fest.

Das muss sich der Hund auch gerade gedacht haben. Auf halber Strecke bleibt er einfach stehen. Und fängt an zu zittern. Außerdem scheint ihm schlecht zu sein von dem ganzen Gewackel. Meine Patientin und ich schauen uns an. Ob ich nicht eventuell ein Leckerli für ihn hätte, schlägt sie vor. Mist, die hab ich vor lauter Aufregung natürlich im Auto liegen lassen. Wolfi streckt alle viere von sich. Er blockiert die gesamte Brücke in beide Richtungen.

Unter gutem Zureden ziehe ich vorsichtig an der Leine, während meine Patientin den Hund von hinten zart anschiebt. Nichts zu machen. Er kotzt. Super. Wir ziehen und schieben etwas fester. Die Leute hinter uns machen bereits Fotos von dem Balanceakt.

„Ich glaube, wir müssen ihn tragen“, meint meine Patientin. Und ich glaube, sie hat recht. Zusammen schleppen wir den Köter den mittlerweile ziemlich schmal gewordenen Brückenpfad – es stehen inzwischen etwa dreihundert Leute vor uns, die uns alle vorbeilassen müssen – bis zum Brückenende. Vollkommen außer Atem und nassgeschwitzt kommen wir auf der anderen Seite an. Im Gegensatz zu Wolfi strahlt meine Patientin. Vor lauter Anstrengung hat sie ihre Phobie glatt vergessen. Der Hund will nur noch heim.

Vielleicht sollte ich mir besser einen Therapiefisch holen.

Nachtigallensteine

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