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Schachmatt, Teil 2
ОглавлениеDas Schachspiel, das vor einiger Zeit bei uns eingezogen ist, birgt ein ungeahntes Suchtpotenzial in sich. Zugegeben, es gibt schlimmere Süchte als Schach zu spielen.
Es handelt sich um ein sehr schönes, aber auch sehr großes Schachbrett. Brett und Figuren sind aus Marmor. Seit es da ist, wurde es nur einmal ausgepackt und nicht wieder weggeräumt. Es steht mitten auf dem Küchentisch. Gegessen wird drumherum. Man könnte meinen, die Tomatensauce von den Spaghetti von heute Mittag wäre das Blut der gefallenen Krieger. Aber dem ist nicht so.
Schach ist ein sehr feministisches Spiel. Die Frau beschützt den Mann. Und da bei uns Frauen so einiges anders ist, verwundert es auch nicht, dass meine Töchter das Spiel zu dritt spielen. Bob steht in Gesundheitshalbcoolschuhen am Spielfeldrand und gibt Anweisungen.
Meine Kleine opfert gerade ihren Läufer für einen gegnerischen Bauern. Bob weist auf die Schwere dieses Verlustes hin. „Aber ein Läufer ist doch nicht mehr wert als ein Bauer!“, empört sich mein Kind. Bob holt tief Luft. „Und wenn er Familie hat?“, fügt mein Kind hinzu. Bob lässt die Luft zu den Ohren wieder raus.
Ich wäre ja dafür, zuerst die Gebäude zu opfern.
„Frauen können einfach kein Schach spielen“, jammert Bob. Man kann sehen, wie er mit den Händen ringt, um nicht in den Spielverlauf einzugreifen. Ich glaube allerdings, er hat einfach nur Angst um seine Marmorfiguren. Zwei stecken tief im Tomatenmatsch, ein Springer ist in eine Nudel verwickelt und unter den Haferflocken von heute Morgen lugt die Krone eines Königs hervor.
„Du bist voll rassistisch!“, schnauzt meine Jüngste ihn an. Die Begrifflichkeiten wurden in der Grundschule noch nicht richtig geklärt, aber es geht schon mal in die richtige Richtung.
Als der Springer einen Satz macht, um sich mit dem Läufer zu prügeln, bricht sich sein Pferd den rechten Vorderlauf. Links neben dem Spielbrett wird in Windeseile ein Lazarett errichtet und das Pferd bekommt ein gelbes Pflaster mit kleinen blauen Seepferdchen drauf. Sehr passend, finde ich. Bob heult. Ich biete ihm ebenfalls ein Pflaster an, aber er will keins.
Ich kann dem Spiel nicht mehr genau folgen, da ich Patientenberichte auswerte.
Während ich noch über die Aussage eines männlichen Patienten nachdenke – er sei schwanger, aber wisse nicht, wer die Mutter ist – stürzt der Turm vom Spielfeld. Ein Kind ist mit dem Ärmel der Kapuzenjacke an ihm hängen geblieben und hat ihn mit in den Tod gerissen. „Das ist kein korrekter Schachzug!“, moniert Bob. Aber weil niemand die Figur aus dem gelben Schleim rausholen will, wird das Opfer einfach so hingenommen.
Wann gab es denn gelben Schleim? Im Geiste gehe ich den Speiseplan der letzten Woche durch, aber es will mir nicht einfallen. Vielleicht hat es sich ja auch nur zu gelbem Schleim entwickelt?
In diesem Haushalt ist alles möglich.
Der Küchentisch entwickelt sich zu einem Kriegsschauplatz sondergleichen. Gekämpft wird mittlerweile auch weit außerhalb des Spielfeldes. Schlammcatchen in Grießbreiresten.
Bob kann es nicht mehr ertragen. Er geht ins Bett. Schließlich muss er morgen spät raus.