Читать книгу Ein herrliches Vergessen - Petra Häußer - Страница 6

Оглавление

2

Georg, der frisch gebackene Vater, hatte die Stelle als Oberkellner im September des Vorjahres angenommen. Am 14. September 1914, genau an dem Tag, an dem Erich von Falckenhayn in Berlin die Oberste Heeresleitung übernahm. Für Georg war es eine Wintersaison, für den Kriegsminister begannen vier lange Jahre, an deren Ende er gescheitert und die ganze Welt eine andere sein würde.

Ein Kellner verpflichtete sich oft nur für eine Saison, einen Sommer, einen Winter. Man konnte dieses Leben unstet nennen, wenn man nichts verstand vom Hotelgewerbe. Es war ein Wanderleben, dem der Artisten vergleichbar; der Beruf des Kellners hatte schließlich auch etwas vom Künstlerischen an sich. Wenn man an die Kleidung dachte: schon das eine Camouflage! Die Miene, die nichts von Emotionen verraten durfte. Nichts vom Ärger über unverschämtes Herrengehabe mancher Gäste, nichts von der Bewunderung für die schönen Damen, denen man den Teller vorlegte, sich dabei über sie beugte, über ihr Dekolleté und ihren Duft und den wunderbaren Glanz ihrer Haare, die künstlichen Blüten und Schleierchen, die es schmückten. Nichts von der Verachtung für die Herren deutschen Offiziere, die sich gerade hier in Straßburg so gebärdeten, dass man sich wirklich schämen musste, ein Deutscher zu sein. Das Wort „Wackes“, das allgemeine Schimpfwort für die alteingesessenen Elsässer, wurde nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern laut und ungeniert ins Tischgespräch eingeflochten. Mit Herablassung. Das machte man dem Kaiser und seinen Beamten nach. Gerade ein Jahr war es her, dass ein Gericht hier in Straßburg in seinem Namen entschieden hatte gegen die Menschlichkeit und für die Macht des Militärs. Einem jungen schnöseligen Unteroffizier, der sein arrogantes Gehabe auf die Spitze getrieben und damit im Geschichtsbuch unter dem Titel Zabern-Affaire einen Platz gefunden hatte, wurde Recht gegeben: „Der Rock des Kaisers muss unter allen Umständen respektiert werden“, hatte sogar der Reichskanzler Bethmann-Hohlweg in Berlin verfügt. Und nun hatte man den Salat: Krieg! Einige Tage vor der Geburt des Kindes hatte die 16. Division bei Soissons ordentlich eins auf die Haube bekommen und noch bevor es laufen konnte, würden viele Soldaten auf schreckliche Weise hingemetzelt sein, erstickt am Giftgas, dem neuen Kampfmittel, das diesen Krieg eskalieren ließ.

Die hoheitsvollen einstudierten Gesten der Kellner, ihr Auftritt! Das schnelle Dahingleiten auf glänzend gewichsten Schuhen, die einstudierten Gesten, das Jonglieren von Tabletts voller Teller, Tassen, Gläser, Gefäße mit Speisen, die den Mund wässrig machen, aber ja nicht den des Trägers. Ein Ober, der etwas auf sich hielt, musste so daherkommen, als ob er leere Teller trüge. Es sollte ihm nicht anzumerken sein, ob er die Zusammenstellung der Speisen billigte, ob er daraus Schlüsse zog auf den Speisenden oder sich heimlich ins Fäustchen lachte, weil er dessen Ignoranz durchschaute. Einen Nouveau-riche konnte er durchaus schon an der Wahl seiner Speisen, besonders an der Wahl der dazu gehörigen Getränke erkennen, wie dick auch immer der Brillant seiner Krawattennadel sein mochte.

Georg war Oberkellner. Hier im alten Traditionshaus, wo die Mächtigen noch abstiegen, um sicher zu sein, so behandelt zu werden, wie sie sich fühlten: als Herren, und weil sie von solchen Kellnern bedient werden wollten, denen man ihre Erfahrungen ansah an ihrer undurchsichtigen Miene.

Was für ein Glück, dass Georg nicht hatte in den Krieg ziehen müssen, dem er von Anfang an nicht hatte zustimmen können. Da war die Krankheit, die ihn wenige Tage nach der Hochzeit erwischt hatte und die Käthe in Angst und Schrecken versetzt hatte, doch zu etwas nutze gewesen. Als junge Witwe sah sie sich schon, dachte an den Tod der Mutter, das Husten, das Blut im Taschentuch, das Ringen um Atem, das Röcheln, den hageren Griff nach ihrem Arm, der langsam nachließ, und an diesen letzten langen Blick voller Fragen und flehender Apelle, denen sie nichts mehr hatte entgegensetzen können als ihr Zittern und ihre Tränen, das alles sah sie sich wiederholen. Aber dann ging’s ihm besser, dem Georg. Er musste nicht sterben. Er nahm sie eines Tages wieder in den Arm und sagte: „So schnell wirsch du mich nimme los“, in seinem alemannischen Dialekt, das kam selten vor, fast gar nicht, weil er doch fast ein Herr war, ein weltgewandter. Nur nachts hüstelte er noch, keuchte und zog hörbar die Luft ein, nach der ihm verlangte; sie stellte ihm ein Glas Wasser ans Bett und harrte neben ihm aus, bis er sich wieder niederlegte, sie in den Arm nahm, und so schliefen sie beide wieder ein. Bei der Musterung, das war nur wenige Wochen später, hörte man das Geräusch auf seiner Lunge und schüttelte den Kopf. Nein, so einen konnten sie nicht gebrauchen im Heer, einen, der einen Todeskeim in sich trug und damit die Wehrkraft zu zersetzen drohte. Das war dem Georg nur recht gewesen. Es hatte ihm so ganz an der Begeisterung seiner Altersgenossen gefehlt.

Käthe, Georgs Frau, jetzt auch Mutter seines Sohnes, dem die beiden durch die Eile seiner Ankunft überrascht einfach die Namen des Vaters gaben, Georg und Wilhelm, nur in vertauschter Reihenfolge, also Wilhelm Georg, Käthe wurde trotzdem die Sorgen, dass ihr Ehemann doch noch Soldat werden, doch noch an die Front gehen musste, wo die Männer starben wie die Fliegen, erst los, als es aus war mit Schießen und Sterben und auch mit dem Kaiser und der alten Zeit.

Ein herrliches Vergessen

Подняться наверх