Читать книгу Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick - Petra Häußer - Страница 21

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Der Zollinspektor

1920

Die Oper Carmen hatte für Anton ein Leben lang eine besondere Bedeutung. Lioba Winter eine Carmen? Sicher nicht. Sie war ein ganz normales Mädchen, die Tochter eines Bodenseefischers, tätig als Hilfe im Haushalt des Stühlinger Wein- und Spirituosenhändlers Salzmann. Lioba liebte Musik, Antons Baritonstimme hatte es ihr angetan, als sie mit anderen jungen Leuten in Meersburg in den Weinbergen unterwegs waren und einander begegneten. Anton und Lioba waren einander schnell einig zu heiraten, sobald der Krieg zu Ende wäre. Aber erst einmal wurde Lioba schwanger und der kleine Hugo wurde geboren. Anton hätte sie gerne vor der Geburt geheiratet, so dass das Kind schon seinen Namen gehabt hätte. Da druckste sie herum, sie will in ihrer schönen Tracht zum Altar gehen, so wie ihre Mutter und ihre Großmutter und ihre Schwester und da passt sie jetzt doch nicht hinein ... Ja, ja, das sah Anton ein, es wäre sicherlich schnell zu regeln, der Hugo Winter würde am Tag ihrer Hochzeit ein Hugo Klumpp werden und dann könnte alles seinen Gang nehmen. Der Mensch denkt, Gott lenkt, das blieb Antons Spruch, immer wenn er Hugos Geschichte erzählte. Warum hatte ausgerechnet er, der fadengerade, fast treudoofe Grenzer Klumpp Dienst in jener unglückseligen Sturmnacht, als man das Schiff seines zukünftigen Schwiegervaters bergen musste und ihn dazu rief, weil es voll war mit Schweizer Uhren, kleinen, großen, aus Holz, aus Metall, kaum verpackt, sie quollen den Zöllnern entgegen und Antons Kollegen starrten stumm auf die Bescherung, ihr Blick wanderte zum alten Winter und seinen Söhnen, dann zu Anton. Es wurde nichts geredet.

Schließlich fand Anton seine Sprache, seine Haltung, sein Pflichtgefühl wieder. „Ich muss das melden.“

Das war’s. Lioba verzieh ihm nicht. Eine Heirat kam nicht mehr in Frage. Obwohl er sich korrekt verhalten hatte, empfahl man ihm eine Versetzung, so landete er in Mannheim beim Warenzoll. Das Heimweh nach dem Kleinen zermürbte sein Herz. Viele Male hatte er das Gefühl, er müsste wie der Sergeant Don José Zoll Zoll sein lassen und zurückgehen an den See, es drauf ankommen lassen, ob man ihn dort aufnehmen würde, sich Arbeit suchen und Lioba wieder zurückzugewinnen, so hätte er dabei sein können, wenn sein Sohn lachen, laufen und sprechen lernte. Aber das war Oper, nicht Wirklichkeit.

Dann traf er an einem Wochenende auf eine fröhliche Gruppe junger Leute, die sich am Bahnhof zusammenfanden, um in den Odenwald zu fahren, wo sie wandern wollten. Statt in Heidelberg den Zug zu verlassen, was er vorgehabt hatte, blieb er bei ihnen sitzen, stieg erst mit ihnen aus und wanderte mit ihnen durch den Wald, die Bänder flatterten von seiner Klampfe, seinen Hut hatte er in den Nacken geschoben, seine dunklen Haare quollen darunter hervor, eine Locke fiel ihm ins Gesicht, er sah verwegen aus. Mitten im Odenwald sang er von St. Pauli und der Reeperbahn, vom Los des Matrosen, immer wieder Abschied nehmen und diejenigen, die er liebte, zurücklassen zu müssen. Dabei ging es ihm vor allem darum, die Aufmerksamkeit einer jungen Frau mit einem traurigen Gesicht, trotzig geschürzten Lippen, dicken kastanienbrauen Haaren und langen gelenkigen Fingern auf sich zu ziehen, deren Blick, das bemerkte er wohl, immer wieder auf ihn fiel und länger und länger auf ihm verweilte und die ihn am Abend, als sie sich in Mannheim voneinander verabschiedeten, zögerlich anlächelte, zuerst mit geschlossenen Lippen, dann blitzten sogar ihre schönen weißen Zähne hervor. Sie verschwand, bevor er sie hätte fragen können, wo sie wohnte. Er wusste nur, dass sie Helene hieß, dass sie gerade die Meisterprüfung als Schneiderin bestanden hatte, aber erst mit 24 würde sie auch die Anerkennung der Kammer erhalten, so lange müsste sie warten und als Verkäuferin arbeiten. Sie hatte eine Stimme wie Samt und Seide, sang jedes seiner Lieder mit, mühelos fand sie eine zweite Stimme, über der Melodie, unter der Melodie, so etwas hatte er noch nie erlebt. Solch ein Zusammenklang! Einer im anderen geborgen, einer um den anderen herumverschlungen, verbunden, dann sich schwebend wieder entfernend, aber doch immer einer nicht ohne den anderen komplett. Er wusste, er musste sie wiedersehen und er würde sie finden, auch wenn er alle Läden Mannheims nach ihr absuchen müsste.

Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick

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