Читать книгу Unter dem Strand - Petra Misovic - Страница 10
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ОглавлениеUnd da liegt sie auf einem großen Felsen und genießt den Blick über die Ebene. Hier und dort ein paar Bäume, schöne Akazien, das Gras ist gelblich und manchmal grün und dann sieht es sehr saftig aus. Kühle Morgenluft streicht ihr übers Gesicht, Tautropfen funkeln im Licht. Eine große Antilopenfamilie weidet in der Nähe, Frühstück. Barbara betrachtet sie neugierig, die Sonne steht noch tief, alles ist ruhig. Aufmerksam wenden sie die Hälse, spähen hierhin und dorthin, sie ahnen Gefahr und recken die Nasen um Witterung aufzunehmen, von einem ihrer vielen Feinde und sind sprungbereit, immer unter Spannung, ihre kleinen Stummelschwänzchen zappeln aufgeregt, Barbaras Blick streift umher und in der Ferne kann sie eine Löwin ausmachen, die mit ihrem gelben Fell gut getarnt ist in der Savanne und die völlig desinteressiert an den Antilopen zu sein scheint und Barbara liegt auf ihrem Felsen, seelenruhig, ihr droht keine Gefahr. Sie richtet sich auf, ein wenig wünscht sie sich ein Spektakel, sie hat Angst um die hübschen Antilopen und ist gleichzeitig auch auf Seiten der hungrigen Jägerin. Was ist nur in sie gefahren? Normalerweise hätte sie gerufen, geschrien, sie hätte die Antilopen gewarnt! Die Löwin startet jäh einen Angriff, sie sprintet und rast und verfolgt eine Antilope, die im Zickzack davonspringt und es schafft zu entkommen und die Löwin hat sofort ein neues Opfer und es geht so schnell. Ein gewaltiger Sprung und nichts ist zu hören, kein Wehlaut, kein schmerzhafter Schrei und die Aufruhr ist in diesem Moment vorbei. Die Löwin hat ihre Beute erlegt und in derselben Sekunde haben die Antilopen sich auch schon wieder beruhigt, stehen in der frühen Morgensonne und frühstücken, als wäre niemals eine von ihnen gerade verspeist worden. Allmählich verblaßt die Savanne und sie ist wieder zurück und es erstaunt sie, daß es schon dunkel ist.
Sie sucht nach dem Lichtschalter und schlüpft in ihr Kleid, hungrig, wie diese Löwin eben, will sie raus, will ans Büffet und prüft flüchtig im Spiegel, ob sie so unter die Leute kann und vom Kellner läßt sie sich ihren Platz zeigen, ist verwundert, wie viele Menschen hier anwesend sind, bestimmt hundert Tische umsäumen die Tanzfläche vor der Bühne. Die meisten Gäste sind schon beim Dessert, doch wirkt das Büffet, als ob noch weitere hundert Hungrige erwartet würden, von allem ist reichlich vorhanden, Salate und Braten, viele Sorten von Fisch, aber auch Pasta, Schweinshaxen, selbst Pommes und Pizza, Schilder erläutern die Zutaten der afrikanischen und indischen Spezialitäten, soviel Auswahl, daß Barbara ratlos davor steht.
Von ihrem Tisch hat sie einen guten Blick auf die Abendunterhaltung, junge attraktive Männer tanzen ausgelassen zu wilden Stammesrhythmen und ihre Oberkörper sind nackt und eingeölt, damit die auftrainierten Muskeln zur Geltung kommen. Immer wieder dazwischen drei reizende Mädchen, animieren sie die Gäste zum Mitsingen der Ferienhits aus Afrika, die sie später, Urlaubserinnerung auf CD gebrannt, ans Publikum verkaufen, während die Jungs, jetzt in neuen farbenprächtigen Kostümen, akrobatische Kunststücke vorführen. In Windeseile klettern ein paar auf die Schultern eines kräftigen jungen Mannes und bilden einen menschlichen Rhombus, auf dessen Spitze der Schmächtigste von ihnen, blitzschnell von vielen Armen und Händen nach oben gehievt, die Hand auf den kahlen Kopf seines Untermanns setzt, die Füße streckt er hoch in die Luft und Barbara vergißt für einen Moment zu atmen, fürchtet um die Gesundheit derer, die am Ende der Übung aus mehr als vier Metern Höhe auf den nackten Steinboden runterspringen würden und von irgendwoher kommt Kerstin an ihren Tisch, schreit ihr durch den Applaus eine Einladung zu, sie soll mitkommen, auf die andere Seite der Bühne, wo sie sie gerne mit Ruth und Dieter bekannt machen will, schon weil sie das beim Frühstück nicht so gut hingekriegt hat, und ohne den Blick von den Akrobaten zu wenden sagt Barbara ja, aber später, nach dem Dessert und applaudiert weiter, ist froh, daß sie diese Antwort parat hatte, denn sie möchte nichts lieber, als diesen Künstlern zuschauen, sie möchte nicht sprechen, schon gar nicht mit diesen Leuten, die Harald gekannt haben und die sie nur mitleidig anblicken würden, stets darauf bedacht, jetzt nichts Falsches zu sagen und dabei gleichzeitig lechzend, nach pikanten Details, und die Truppe verschwindet unter vielen Verbeugungen hinter der Bühne und zurück kehrt ein Mann, nur mit einem Leopardenfell bekleidet und sie erkennt ihn wieder und läßt ihn nicht aus den Augen und es scheint, als würde er nur für sie tanzen, seine akrobatischen Freunde schlagen, als Musiker jetzt, mit wirbelnden Armen und Stöcken auf ihre Trommeln ein und er tanzt wie ein Derwisch und sie weiß nicht, wie er es schafft, so lange in der Luft zu bleiben, es scheint, als würden die Gesetze der Schwerkraft für ihn nicht mehr gelten, solange die Trommeln ihn antreiben, zu immer schnelleren Schrittfolgen und als er erschöpft auf der Bühne zusammenbricht und die Trommeln für einen Moment schweigen, springt sie auf und will helfen, bis sie merkt, daß dies Teil der Darbietung ist und die Trommler ihn jetzt quälen und auffordern weiter zu tanzen, die Grenze zu überschreiten, die Erschöpfung zu überwinden und in Ekstase einfach weiter und weiter zu tanzen und als das Unterhaltungsprogramm mit dieser Nummer abgerundet zu Ende geht und alle Künstler einzeln vortreten und sich ihren Beifall abholen und er als letzter kommt und die Menge ihm zujubelt und einige aufstehen und bravo rufen, da folgt sie ihm ohne groß nachzudenken, wie unter Hypnose, hinter die Bühne und spricht ihn an auf der Treppe, wo sich die anderen hinter einem Vorhang, der dort für die Künstler angebracht wurde, umziehen, und sie muß es ihm sagen, daß sie von ihm geträumt hat, I was dreaming of you. - Oh really? Er scheint nicht überrascht zu sein, offensichtlich ist das für ihn nichts Ungewöhnliches, daß er anderen Leuten im Traum erscheint und er macht einen Vorschlag let me just finish this and then we’ll have a walk at the beach and we can talk.
Und wie in Trance steigt sie die Treppen nach unten und setzt sich dort auf ein Mäuerchen, das den Hotelgrund vom Strand trennt und wartet. Sie wartet eine Weile auf ihn und allmählich kehrt ihr Verstand zurück und sie fragt sich, über was sie mit ihm sprechen soll, mit ihm, einem jungen Tänzer und Akrobaten, nur weil er bei seinem Auftritt zufällig ein Leopardenfell um die Hüften trägt und zu gerne möchte sie diese Begegnung vertagen, verschieben, sich schnell aus dem Staub machen, als sie hört, wie er die Treppe runterkommt, er trägt Schuhe jetzt, elegante schwarze Straßenschuhe, eine Anzughose, ein weißes Hemd und eine Fliege und jetzt fällt es ihr schwer, sich den Mann im Leopardenfell vorzustellen und er bleibt vor ihr stehen, nimmt ihre beiden Hände in seine und zieht sie nach oben, ganz nah an sich ran, daß sie unter seinem Hemd seine warme Brust spürt und sie riecht seinen Schweiß, er hat nicht geduscht, wo hätte er duschen sollen hier? und es klingt nicht sonderlich interessiert, als er sie fragt so you were dreaming of me, right? Did you see my show last weekend? Und sie muß nicht überlegen, sie hat noch niemals eine solche Show gesehen, weder in Afrika noch dort, wo sie herkommt und bevor sie antworten kann, legt er seine Arme um ihre Schultern, er schiebt seinen Unterleib an ihren Bauch, er ist größer als sie und sein Kopf beugt sich zu ihr herunter, fast flüstert er seine Frage und sein Kinn berührt dabei ihre Schulter How much you pay?
Man kann nicht sagen, daß Barbara gleich versteht, um welchen Handel es hier geht, als würden Schleusen in ihrem Kopf geöffnet fluten Gedanken ihr Hirn, für was soll ich zahlen? was kann er mir geben? hat er irgendwelche Informationen für mich? kannte er Harald? und bereitwillig folgt sie ihm über den Strand und erst als sie neben ihm sitzt, auf dem Boden im Sand, seinen Arm um ihre Schulter, greift er nach ihrer Hand und legt sie in seinen Schoß und sie spürt seinen Penis durch den dünnen Stoff, wie er steif wird und wächst und erst da schießt ihr das Blut ins Gesicht. Sie springt auf, sucht nach ihren Schuhen und rennt über den Strand auf eine Laterne zu, die ihr den sicheren Weg nach oben weist und sie hört ihn wie er ihr hinterher ruft hey, what's wrong with you? und rennt einfach weiter durch den Garten, vorbei an dem Wachmann, der sie freundlich grüßt, und erst am Pool hält sie inne, sie zwingt sich, normal zu gehen, klopft sich den Sand vom Kleid und geht unauffällig zurück zu ihrem Bungalow.
In der Minibar findet sie Haralds Flachmann, den hat er vergessen, und sie setzt sich nach draußen zur Katze, die hier auf ihre Gönnerin wartet. Barbara fühlt sich beschmutzt und erniedrigt.
Als das Telefon klingelt, eine Panik, die ihr in die Gedärme fährt, durch den Magen, immer weiter nach oben, ihr den Hals abschnürt und der Atem wird knapp, weil sie ahnt, der Leopardenmensch ist am anderen Ende der Leitung und es klingelt und klingelt. Und hört wieder auf. Ganz allmählich nur kehrt der Verstand zurück und dabei hilft auch der Whiskey, Medizin.
Er kann es nicht sein, woher soll er denn wissen, wer Barbara ist, wo sie wohnt. Die Zikaden, das melodische Schnurren der Katze auf ihrem Bauch, die weiche, warme Nacht, die sie umfängt und beim nächsten Schrillen des Telefons bleibt sie einfach so sitzen und es ist, als ob sie gar nicht gemeint ist.
Als es aufhört holt sie das Kopfkissen unter dem Moskitonetz hervor und legt es aufs Telefon, daneben eine dicke Mappe, die ihr Interesse weckt, mit Informationen über das Hotel, Fernsehprogramme, Wäscheservice und Wellness, Frühstück aufs Zimmer und sie verliert sich in den Abbildungen von Landschaft und wilden Tieren, die Werbung machen für Ausflüge in die Umgebung.