Читать книгу Unter dem Strand - Petra Misovic - Страница 3
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ОглавлениеDie Bootsversicherung. Harald war nicht reiseversichert und es war überhaupt nicht klar, wie sie Haralds Leiche, die in mehr als hundert Metern Tiefe auf dem Grunde des indischen Ozeans lag, jemals wieder ans Tageslicht befördern sollten. Möglicherweise, daß die Versicherung des Bootsverleihers die Yacht bergen wollte, um dem Eigentümer eine Schuld nachzuweisen. Und die Erben (es gab keine Erben) bekämen eine kleine Entschädigung. Barbara legt auf die Entschädigung keinen Wert. Sie findet es auch nicht tragisch, daß Harald auf dem Meeresgrund in einer Yacht aus Plastik seine womöglich letzte Ruhestätte gefunden hat. Er würde dort nach kurzer Zeit von kleinen Wassertierchen genauso zernagt und zerfressen sein, wie in einem kühlen Grab in der Heimat. Wo sollte die auch sein? Sie weiß nicht, wo Haralds Eltern beigesetzt sind und sie, würde sie Haralds Grab besuchen wollen?
Bei den Eingeborenen gab es den Brauch, die Leiche am Lieblingsplatz des Verstorbenen auszulegen, um die wilden Tiere zu einem Festmahl einzuladen. Das Ansehen stieg unter den Hinterbliebenen, wenn sich zum Beispiel ein Löwe höchstpersönlich zur Beseitigung der sterblichen Überreste herabließ. Heute machen sie das natürlich nicht mehr, wegen der Hygiene, so ist es zu lesen im Journal der Fluglinie, die sie hierher gebracht hat.
Barbara sitzt auf einer zu großen Couch in der riesigen Lobby, Regen trommelt aufs Palmendach, Wind kommt auf und das Meer verschwindet hinter einem Schleier aus Gischt, die an großen Schiebefenstern leckt. Unten kommt es durch, Regenpfützen sammeln sich, einige Gäste flüchten ins Trockene, nehmen lauthals Aufstellung an der Bar. Angestellte sichern im Garten die Möbel vor einem aufkommenden Sturm. Good morning, what can I do for you? Was darf ich ihnen bringen? Eine sehr junge, sehr hübsche Kellnerin beugt sich Barbara entgegen. Die bestellt Tee mit viel Zucker und blättert wieder in ihrem Heft, auch weil sie dem Blick ausweichen muß, den Kerstin vom Nachbartisch aus probeweise herüberwirft. Unverhohlen lauert sie dort, eine dicke, fleischige Frau mit praktischem Kurzhaar, verbringt sie Jahr für Jahr jeden Winter hier am Äquator und verbreitet mit rheinischer Mitteilsamkeit ungefragt ihr Wissen und ihre Erkenntnisse unter den winterbleichen Neuankömmlingen.
Eine hungrige Katze schleicht zwischen den Tischen und reibt sich dann sanft an Barbaras Beinen. Sie bietet ihr Milch von ihrem Tablett und einen Keks an, den die Katze dankbar verschlingt. Na komm mal her. Du bist hungrig, was? Mit einer sanften Stimme, von der sie selbst überrascht ist, lockt sie die Katze und muß immer noch diesem Blick standhalten, der auf ein Zeichen der Hilflosigkeit wartet, um einzuspringen und Ratschläge auszuteilen.
In der Mitte des Raums stehen kniehoch Ochs und Esel unter der Palme vor dem Stall von Bethlehem. Neben der Krippe ein Rentier aus Stoffresten kunstvoll zusammengenäht, mit einem Schlitten, in dem sitzt Father Christmas im colaroten Rock, mit Zipfelmütze, weißem Wattebart und verdächtig roten Wangen, dazu Rocking around the Christmas Tree, jetzt Stille Nacht in allen Sprachen und es erinnert sie an die Geschwister, mit denen sie ungeduldig unterm Weihnachtsbaum ausharren mußte, bis die Platte zuende war, Freue Dich ’s Christkind kommt bald, und endlich die Geschenke freigegeben wurden. Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Gegen sentimentale Weihnachtsstimmung ist Barbara immun. Weihnachten war immer nur ein leidiges Fest gewesen, bei dem sich alle aus der Familie in die Haare kriegten, das niemals so wurde, wie es sich alle gewünscht hatten, harmonisch und friedlich und obwohl sie sich die allergrößte Mühe gegeben hatten, ist es ihnen nie gelungen, die Katastrophe wenigstens mit einigem Abstand zu umschiffen, in seichten Gewässern zu kentern.
Sie betrachtet die hungrige Katze. Ich weiß, Du hasts auch nicht leicht. Dreaming of a White Christmas, die ganze Zeit diese Weihnachtslieder und die meisten passen gar nicht hierher in die Tropen, aber die Gäste scheint das nicht zu irritieren, nur für Barbara fühlt es sich falsch an, seltsam unwirklich, weiße Weihnacht, Glöckchen am Rentierschlitten von Father Chrismas und man sitzt dazu leicht bekleidet in der Lobby eines komfortablen Hotels und bestellt ganz selbstverständlich am späten Vormittag schon spirituelle Getränke. Niemand hatte ihr gesagt, daß es hier regnen würde. Barbara fröstelt, sie hat nur ein dünnes Kleid an. Sie nimmt die Katze auf ihre Knie, damit sie sie wärmen mag, gegen den Kater, der ihr Hirn immer noch lahm legt. Sie mag nicht auf ihr Zimmer gehen. Sie mag die Unterlagen nicht durchsehen, die Uwe ihr hingelegt hat. Sie will noch warten. Außerdem hat sie ein Sandwich bestellt.
Durchs Fenster beobachtet Barbara wie Marlene näher kommt, geradewegs aus dem Wasser scheint sie zu kommen, das Badetuch klebt an ihren Hüften, ihre dunklen Locken kleben an ihrem Kopf, den Regen bemerkt sie gar nicht. Unter einem Sonnenschirm gibt ihr der Wachmann ein trockenes Handtuch, sie nimmt es und rubbelt ihre Haare ein wenig damit. Sie lacht mit dem Wachmann, dann holt sie aus einer schwarzen Plastiktüte ein Päckchen mit Zigaretten, bietet dem Wachmann eine an, der will nicht. Sie redet auf ihn ein, schließlich steckt er zwei ein, dann begleitet er sie mit dem Schirm bis an die Schiebetür, öffnet diese einen Spalt breit durch den Marlene in die Lobby schlüpft und schließt die Tür schnell, bevor noch mehr Wasser reinkommt. Dann geht er weiter.
Barbara weiß nicht, ob sie froh ist, Marlene zu sehen, die schöne, hochgewachsene Marlene, sonnengebadet und ein freundliches Lächeln um die Lippen, schreitet sie durch den Saal, als würde der und das ganze Hotel ihr gehören, und Barbara denkt, daß sie jetzt gerne unsichtbar wäre, sie würde unter den Tisch kriechen, das Hirn ablenken, mit einem Weihnachtslied oder einem Getränk von der Bar und könnte den Abgrund vergessen, der sich vor ihr befindet, den gestrigen Abend und die Scham darüber, daß sie sich an fast gar nichts erinnert.
Und Marlene steuert unerbittlich auf Barbara zu, Na? Was macht die Leiche? Und spricht von Barbara und nicht von Harald. Von der verkaterten Barbara, die gestern Abend die Kontrolle verloren hat und die sich jetzt mit Vorwürfen quält. Marlene bemerkt den Fauxpas, Barbara nicht, aber es tut gut, als Marlene sich ernsthaft dafür entschuldigt.
Nach dem Abendessen hat Marlene sich ganz selbstverständlich zu Uwe und Barbara an den Tisch gesetzt. Sie wußte, daß Uwe und Barbara kein Paar sind, sie hatte auch Harald gekannt. Und sie war diejenige, die endlich aussprach, was beim Abendessen in der Luft lag. Es tut mir sehr leid, das mit Deinem Mann.
Marlene will sich nicht setzen, sie ist naß. Sie spricht mit einem Angestellten kisuaheli, er bringt ihr was zu schreiben und sie kritzelt ihre Nummer auf einen Block. Weißt Du schon, ob du hier bleiben kannst? Wir haben nämlich Hochsaison gerade. Haben die ein Zimmer für dich? Hier ist meine Nummer, wenn du reden willst oder wenn du Hilfe brauchst. Barbara steckt die Nummer ein und muß sich überwinden: Hast du Harald gut gekannt? Und Uwe? Marlene überlegt einen kleinen Moment. Ja. Schon.