Читать книгу Unter dem Strand - Petra Misovic - Страница 9
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ОглавлениеNatürlich ignoriert sie Kerstins Hinweis und ist sofort im Gespräch mit einem jungen Rastamann, es scheint er habe vor dem Hotel auf sie gewartet, Jambo. Jambo means hello in swahili. Karibu Kenya, means welcome in Kenya. My name is Joseph. I am carving wood pieces. You want to see my shop? Barbara betrachtet die Sachen, die Joseph am Straßenrand in einem Verschlag aus Holz und Leinensäcken ausstellt, da sind Maassaikrieger, Nilpferde lümmeln und elegante Giraffen, stolze Löwen, wunderschön geschnitzt aus schwarzem Ebenholz, riesige Skulpturen aber auch kleine, und dann Bieruntersetzer aus Speckstein, liebevoll bemalt mit afrikanischen Tiermotiven, Ketten, Schlüsselanhänger, Portemonnaies aus Leder und Maassai-Gürtel und Maassai-Armbänder mit kleinen bunten Perlen bestickt. Und Gemälde, mit Sonnenuntergang und die eleganten Silhouetten der Hirten heben sich vom Erdbraun der Savanne und dem rotgoldenen Himmel ab, looking is free, madame, what is your name? - Barbara. - Hello Barbara, I am Joseph, er schüttelt freundlich ihre Hand und will ihr noch mehr zeigen, von den Schätzen, die er in seinem Shop anbietet. Nice necklace, I make you a good price. Where you from? Germany? Joseph ist darüber eigenartigerweise hocherfreut und singt ein Hohelied auf ihre Heimat, Oh, ich mag Deutschland, Deutsche sind immer sehr nett, sehr gute Leute. Sehr freundlich! Welche Stadt? Berlin? Hauptstadt, ja? Sehr große Stadt. Ich möchte auch gerne mal nach Berlin verreisen. Muß ich ein bißchen sparsam sein. Lange sparen und sein Deutsch ist dabei erstaunlich gut, und abrupt wechselt er das Thema: Wo ist Deine Papa? Barbara ist irritiert. Mein Papa ist gestorben. - Tot? - Ja, tot. Die Pause ist kurz und Joseph schaut mitleidig drein, und hat sofort eine Idee. Brauchst Du eine neue Papa, ja? Barbara ist nicht ganz klar, worauf dieses Gespräch jetzt hinausläuft. Ein neuer Papa. Joseph ist jünger als sie, jedenfalls kein geeigneter Adoptivvater.
Sie verabschiedet sich höflich von Joseph und der nimmt ihr das Versprechen ab, this time you just looking, but next time, when you come, you buy presents for family from me, o.k.? Und Barbara verspricht es gern und geht weiter, zum Supermarkt, entlang an vielen solcher „Shops“, wo sie immer wieder angesprochen wird, von den Händlerinnen und Händlern, come visit, looking is free, madame, please!
Es war beinahe schon Tradition, daß Barbara den Dienst über die Feiertage im Tierheim alleine tat. Sie schlief dann auch dort und bemühte sich, ihren Schützlingen eine schöne Weihnacht und ein entspanntes Silvester zu bieten. Im Internet hatte sie herausgefunden, daß die Tiere der ganzen Knallerei zum Jahreswechsel etwas gelassener entgegen sehen konnten, wenn man ihnen Drogen verabreichte, Marihuana, und da war es dann irgendwie hilfreich, wenn Harald nicht in der Nähe war, sondern Skifahren, weil sie dann Hundekekse buk für ihre vierbeinigen Freunde. Ein ehemaliger Zivildienstleistender versorgte sie immer noch mit dem Zeug. Und diesmal würde sie vielleicht gar nicht da sein.
Und sie nimmt sich vor, nachher sofort Mandizha anzurufen, um zu fragen, was er glaubt, wann sie nachhause fahren kann. Und das Tierheim. Aber da müßte sie noch überlegen, was sie denen erzählt. Und was nicht. Wo war sie denn jetzt? In Österreich, in Afrika?
Im Supermarkt kauft Barbara Sonnencreme, Faktor 50. Sie will nicht braungebrannt von wo her auch immer in Berlin aufkreuzen. Außerdem Postkarten (an wen soll sie die schicken?), Wasser und eine Schachtel Zigaretten. Der freundliche Inder hinter dem Tresen wird ihr gegen eine kleine Anzahlung jede gewünschte Menge an Katzenfutter besorgen.
Auf dem Rückweg winkt ihr Joseph aufmunternd zu, die Wachmänner, die das Tor für sie öffnen begrüßen sie so freundlich, wie sie sie vor weniger als einer halben Stunde wortreich verabschiedet haben. Afrika scheint ihr gewogen und beschwingt läuft sie über den Parkplatz. Vor der Lobby biegt sie ab, auf den Weg runter zu den Bungalows und freut sich an exotischen Büschen und Blumen, mit ihren aberwitzig opulenten und farbenfrohen Blüten, bewundert den Baobab, der groß wie ein Haus ist, und den sie stehengelassen haben damals, als sie das Hotel gebaut haben, weil er bestimmt mehr als hundert Jahre alt war und plötzlich ein Frösteln, weil Harald vor wenigen Tagen genau auf diesem Weg unterwegs war, zum Parkplatz, an dem Tag nämlich, als er für immer mit dem Boot rausfuhr. Für ein paar Minuten hat sie tatsächlich vergessen, was mit ihm passiert war und weshalb sie jetzt hier ist und für einen kurzen Moment ist es, als wären all ihre Gefühle für Harald vor langer Zeit schon erloschen. So kühl und so unbeteiligt ist sie.
Auf ihrer Veranda sitzt Marlene und neckt die Katze. Barbara weicht instinktiv zurück, geht hinter Sträuchern in Deckung, ist erleichtert, denn Marlene hat sie nicht bemerkt und verstimmt beobachtet sie noch eine Weile, wie vertraut Marlene mit ihrer Katze spielt und ergreift dann die Flucht, nimmt den Weg zurück über den Parkplatz, macht einen ausgedehnten Spaziergang durch die Gärten der Hotelanlage. Jetzt in der Mittagshitze haben sich alle in den Schatten verkrochen und beachten sie nicht und vorbei am Pool und weiter Richtung Lobby, wo sie in einer Nische die Aushänge der Reiseveranstalter entdeckt, und sie vertieft sich in Kataloge, die dort auf einem langen Brett an der Wand ausliegen. Reizvolle Tagestouren kann man mitmachen, in die Altstadt von Mombasa oder nach Gedi, das ist eine vor langer Zeit im Dschungel versunkene Stadt, außerdem Safaris in die Serengeti mit dem Jeep, dem Flugzeug, dem Heißluftballon, es gibt Golfkurse und Tennis (bei der Hitze!), man kann Tauchen lernen, Schnorcheln und Segeln. Und immer wieder sieht sie sich verstohlen um, ob jemand sie beachtet oder ob Marlene daher kommt, und findet einen verschlungenen Weg, der zwischen tropischen Pflanzen über eine Steintreppe und um einen stattlichen Wasserfall herum nach unten führt und unter der Lobby der Wellnessbereich: hinter großen Scheiben werden in klimatisierten Räumen an Fitnessgeräten Körper geformt und der Trainer gibt ein phantastisches Bild, athletisch und gut gebaut ist er fleischgewordener Ansporn für seine Schützlinge. Nebenan widmen sich junge Frauen in weißen Kittelschürzen der äußeren Optimierung ihrer Kundschaft, ausgelaugte Haare, müde Füße und verspannte Körperpartien werden durch vielerlei Wellnesstechniken wieder in Ordnung gebracht. Eine der Angestellten sucht ihren Blick über einen Wandschirm hinweg, you have an appointement? Sie kommt nach vorn, reicht Barbara eine bunte Broschüre. No, no. I was just looking. - So if you need any treatment, you just call here, sie zeigt Barbara, wo sie anrufen soll und verschwindet wieder in der Kabine, wo sie mit einer Kundin beschäftigt ist. Barbara betrachtet die Broschüre, es ist kalt hier und sie hofft, daß Marlene jetzt nicht mehr dort oben wartet, daß sie zurück kann, in ihr Häuschen.
Die Frau an der Rezeption ruft ihren Namen hinter ihr her durch die Halle, erwischt, und wie eine Sünderin fährt sie zusammen, hält inne, schaut sich vorsichtig um, niemand, nur die Dame hinter dem Tresen. Freundlich will sie wissen, wie es ihr geht und reicht ihr einen Zettel von Marlene: Wir müssen sprechen, ruf mich bitte an! und auf der Veranda wartet die Katze, rollt sich zu Barbaras Füßen zutraulich auf den Rücken, will gekrault werden.
Hilflos blättert Barbara in den Unterlagen von Uwe. Der Vertrag mit dem Bootsverleiher, der, wenn sie es richtig versteht, jegliches Haftungsrisiko ausschließt und die (ziemlich hohe) Kaution einbehält, wenn das Boot nicht zurückkommt. Der Inhalt von Haralds Safe ist bei der Polizei gelandet. Sie muß das Tierheim anrufen. Das Ladegerät vom Handy hat sie endlich gefunden, aber der Stecker paßt nicht. Sie muß das Konsulat anrufen. Irgendjemand muß das hier bezahlen. Das Zimmer hatte Harald im Voraus beglichen, pauschal mit Flug und Transfer, und es waren noch etwa zehn Tage, die ihr hier blieben, wenn die vom Hotel keinen Aufpreis von ihr verlangten. Die Telefonate (die meisten davon hat sie noch nicht mal geführt). Ihre Auslagen. Ihr Konto im Minus, der übliche Zustand. Auf Haralds Konto hatte sie (erstmal) keinen Zugriff. Mit wem könnte sie reden? Sie kannte niemanden, der Geld übrig hatte, um eben mal auszuhelfen. Die Schwester anrufen? doch die würde sagen, daß sie es schon immer gewußt hat, daß Harald ein Vollidiot ist. Würde sie ihr Geld leihen? Sie ist sich nicht sicher. Haralds Kollegen. Wer von denen? Sie kannte die alle nur flüchtig. Der einzige, den sie angerufen hätte, wäre Uwe gewesen und der hatte sich schnellstmöglichst davongemacht.