Читать книгу Unter dem Strand - Petra Misovic - Страница 11

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Sie bestellt das Frühstück aufs Zimmer, verzichtet gern auf die Auswahl, auf das liebevoll arrangierte Büffet, wenn sie nur keine ungebetenen Ratschläge entgegen nehmen muß, außerdem würde sie diese mitleidigen Blicke heute noch schlechter ertragen als sonst. Die Scham, sie sitzt tief und immer wieder hört sie sich zu dem Fremden sagen I was dreaming of you, und was mag er gedacht haben, der Fremde? Daß sie ihn attraktiv findet und sich ein paar nette Stunden machen will, mit ihm. Ganz offensichtlich, daß er auf ihren Vorschlag eingehen wollte, und wie er sich verhalten hat, ganz unaufgeregt, fast professionell, falls dieses Wort der Situation angemessen ist, schließlich ist er im Hauptberuf Künstler und trotzdem die Gewißheit, daß es nicht das erste Mal war, daß ihm solch eine Offerte gemacht wurde. Daß er sich für so was bezahlen ließ.

Als das Telefon klingelt ist es Mandizha der wissen will, wie es ihr geht. Schwierig. Es geht ihr beschissen. Sie sitzt da mit einem Stapel Papiere, die sie nicht versteht, weil sie auf englisch sind, die ihr nichts nützen, weil nichts drin steht, was ihr weiterhilft. Sie hat kein Geld, um hier bleiben zu können. Sie hat niemanden, mit dem sie reden kann, über das, was passiert ist. Ihr ist zum Heulen aber das wird den Polizisten nicht interessieren. I am ok sagt sie und how are you? - Oh, me I am fine, thank you. I would like to talk to you soon. Are you comming to the consulate the other day? - Oh, I don’t know. - You should go there, I am sure they will help you with all the papers, you know. Maybe things will be easier, if you find someone, who will take care of you and translate. Sie soll sich ans Konsulat wenden, die würden ihr helfen. Do you need the telephone number? - Thank you. - Maybe we can meet there? Or should I come and pick you up at the hotel? Wenn er sie abholen würde? I don’t know. - So I call again tomorrow. - Ok. Bye-bye.

Sie legt auf. Starrt auf das Telefon.

Was, wenn sie ihn nochmals anriefe. Seine Nummer steht auf seiner Karte, die hat sie in ihrem Beutel verstaut und sie könnte ihn fragen, was er denkt, wie lange sie noch hier bleiben muß. Sie könnte fragen, was mit Haralds Sachen geschehen ist, ob sie die zurückhaben kann. Oder ob Bargeld im Safe war, das wäre sowieso weg, wahrscheinlich. Ob er sie zum Konsulat bringen kann. Und kriegt es nicht hin, wenigstens nach der Visitenkarte könnte sie suchen. Und sitzt vor dem Telefon und traut sich das nicht.

Es klopft an der Tür, der junge Mann möchte das Zimmer machen und sie hält das nicht aus, wenn er da ist und putzt und läuft raus aus dem Zimmer, sie weiß nicht recht, wohin sie denn soll. Überall hellblaue hilfreiche Geister, wie sie Wäscheberge davontragen und den Müll, Wege werden gefegt, Laub wird geharkt, mit einer Zwille vertreibt einer die Affen, die sich zu nah heranwagen. Es wird ihr zuviel und kein Ort, an dem sie sich sicher und wohl fühlt. Von fern die aufmunternden Anweisungen einer attraktiven Animatorin, Wassergymnastik im Pool. Dort wird zur hiesigen Popmusik eifrig geplanscht. Ältere Damen, junge Männer haken sich unter und bewegen im Rhythmus Bauch, Beine und Po. Sie muß dort vorbei, wenn sie an den Strand will und die Animatorin versucht, Barbara in den Pool zu locken, sie soll mitmachen, das tut nämlich gut. Barbara sträubt sich. Sie ist nicht im Urlaub.

Am Strand geht es friedlicher zu. Ein krummbeiniger alter Mann schleppt eine Auflage für die Strandliege heran, rückt sie unter den Sonnenschirm aus Stroh und drapiert das Handtuch für sie. Barbara hat kein Trinkgeld dabei. Hakuna matata. No problem. Sie bedankt sich, streift sich die Schuhe von den Füßen, schaut aufs Meer. Der weiße Strand, die Sonne glitzert auf dem Wasser. Ich brauche eine Sonnenbrille. Und einen Hut.

Nach einer Weile zieht sie das T-Shirt aus und die Shorts und fühlt sich unbehaglich und schutzlos in ihrem aus der Mode geratenen Badeanzug und ihre winterweiße Haut verrät jedem, daß sie hier neu ist und es ist ihr, als hätten Ruth und Dieter, die unweit auf Strandliegen rösten, sie mit dem jungen Mann gesehen, letzte Nacht, und sie merkt, wie sich ihre Wangen röten, wie sie wütend wird, auf sich und auf Dieter und Ruth. Ein Kellner kommt, so how are you today? - I’m fine and you? Very well, thank you, und es interessiert sie nicht die Bohne, wie es ihm geht und sie gibt sich Mühe, ihre Wut zu unterdrücken, schließlich hat er kein Leopardenfell an und außerdem ist er sehr freundlich, what would you like to drink, madame? We have nice fresh juices and also fresh cocktails. Er zaubert eine Karte hervor, auf der die Getränke abgebildet sind. Where you from? Germany? Ich kann ihren Akzent erkennen. Ihre Augen sagen mir, daß ich recht habe. Und schon schrillen Alarmglocken. Sie wird einsilbig, will nicht plaudern und ertappt sich, wie es sie doch interessiert, warum er so gut deutsch spricht und sie verkneift sich die Frage. Ich empfehle ihnen heute unseren wunderbaren Ananasshake mit banana and mango and yoghurt. Na? Einverstanden?

Das Paar neben ihr will zum Wasser. Keine zehn Schritte von der Liege entfernt und sie werden von einem Maassai-Krieger mit geflochtener Mähne gestellt. Der bietet feil, was er am Leib trägt, mehrere Gürtel, mit Perlen bestickt, das Schild, den Speer, alles Handarbeit und sie wimmeln ihn ab. Und der Nächste, der ihnen den Weg zum Wasser abschneidet. Er hat im Schatten des Felsens gelauert und sich wie die Löwin in Bewegung gesetzt, kaum hat sich die Beute vom bewachten Terrain der Hotelliegen fort Richtung Wasser bewegt. Er hält aufgeklappt eine Mappe, deutet auf Fotos darin, versucht Schritt zu halten neben ihnen im Sand und sie beachten ihn kaum, streben ins Meer, fast auf der Flucht. Was er verkaufen will? Barbara weiß es nicht. Er trägt Schuhe, die sollen nicht naß werden, und sie erreichen das Wasser und sind ihn los, balgen wie junge Hunde, planschen und küssen sich im flachen Wasser, das ihnen zu den Schenkeln reicht und er steht dort, am Rande des Ozeans, in seiner ausgeleierten Anzughose, sein kanariengelbes Hemd leuchtet in der Sonne, ein trauriger Papagei. Eine Weile noch hält er Ausschau nach Kundschaft, dann trottet er verzagt zurück in den Schatten.

Es kommen Kamele und tragen Touristen auf ihrem Rücken den Strand hinunter, der hagere Kameltreiber winkt Barbara fröhlich zu und sie winkt zurück. Der Kellner bringt das Getränk. Karibu. Genießen Sie ihren Cocktail, bitte. Das Paar im Wasser läßt sich von den Wellen schaukeln, Sex on the beach, so heißt ein anderer Cocktail, den sie hier verkaufen und die vielen Spaziergänger, die an ihr vorbeiziehen, alles weiße Touristen, manche die dabei so wirken, als wären sie auf Safari, es fehlte der Tropenhelm und die Botanisiertrommel. Und alle, ob Paare, ob Gruppen, manche waren auch allein unterwegs, egal ob Männer, ob Frauen, immer haben sie einen jungen Begleiter im Schlepptau, der auf sie einredet, ihnen alles erklärt. Meist reden sie eifrig und schnell, als stünde jemand mit einer Stoppuhr daneben, die Körperhaltung immer ein wenig geduckt, die Schultern lassen sie hängen, sie machen sich kleiner als die, die sie den Strand hinauf und hinunter begleiten und die ihren Ausführungen folgen sollen. Es gibt Ausländer, die sind interessiert und freundlich, andere wirken ungeduldig, als hätten sie wenig Zeit oder als hätten sie das, was da kommt, schon mehr als einmal gehört. Auch wenn die, die hier reden den Eindruck erwecken, es ginge um Völkerverständigung, um kulturellen Austausch, davon handeln diese Begegnungen auch, aber nur am Rande. Die Touristen wissen es selber, es geht um ihr Geld und das verleiht ihnen Macht. Wie die Einheimischen hier ihre Ware anbieten, manche stolz und gönnerhaft, andere wirken lächerlich oder verzweifelt und sie muß an die Obdachlosen in den Berliner U-Bahnen denken und ahnt nicht, daß hier in einer ganz anderen Liga gespielt wird. Hier arbeitet die Elite, wortgewandte und sprachbegabte Talente, die aus dem ganzen Land, ja aus ganz Ostafrika antreten, um es hier an der Küste zu einigem Wohlstand zu bringen, indem sie die reichen Touristen auf phantasievolle Weise ein klein wenig um das viele Geld erleichtern, das denen aus allen Ritzen quillt.

Und die Hitze wird jetzt unerträglich. Barbara muß an den Biologieunterricht denken, an den Frosch, der auf kleiner Flamme unmerklich dem Siedepunkt entgegen gart und es nicht merkt und deswegen stirbt und sie läßt ihren Drink stehen. Durch den glühend heißen Sand eilt sie runter zum Wasser und schafft es unbehelligt, keiner der sie im Visier hat, alle sind jetzt beschäftigt. Das Wasser ist warm, so warm hatte sie es nicht erwartet, keine Abkühlung. Barbara legt sich auf den Rücken, breitet die Arme aus, sie schließt die Augen und läßt sich treiben, belauscht ihren Atem. Es ist nicht zu fassen. Zuhause ist es kalt und hier ist es so heiß und das Meer ist wärmer, als jedes Meer, das sie kennt, äquatorwarm. Sie läßt sich in den Wellen treiben, atmet ein, atmet aus, summt vor sich hin, keine Melodie, mehr so ein wohliges Seufzen, wie das Schnurren einer Katze, ein geräuschvolles Ausatmen. Sie könnte einfach so bleiben.

Neben ihr ein Geräusch, ihr Arm stößt an etwas Festes und sie erschrickt. Jambo. Barbara hat die Orientierung verloren, weiß nicht, wie lange sie im Wasser gelegen hat. Ein junger Mann sitzt in einem Holzboot, einer Art Einbaum mit Auslegern. Er lacht sie an. Sorry, I don’t want to scare you. I was worried if you are o.k. und sie kann ihn beruhigen, I am ok. - Good. My name is Digo. Karibu Kenya. Karibu means welcome in Kenya. Und sie kann es gar nicht mehr zählen, wie oft sie diesen Satz schon gehört hat und jeder spricht ihn auf eine Weise, als würde der Fremden ein unerhörtes Geheimnis offenbart. Yes. Thank you. Und dann sagt er etwas, das Barbara irritiert. I can see, you don’t want to talk. Er ist der erste, dem es auffällt: dieser ewig sich wiederholende Smalltalk, der einem irgendwann auf die Nerven fällt. You are right. I don’t want to talk. – O.k., see you the other day. Enjoy. Er richtet sich auf, greift nach einer langen Stange, die im Boot liegt und setzt seinen Einbaum in Bewegung. Er trägt eine Shorts, kein Gramm Fett an seinem Körper, alles Muskeln. Seine Bewegungen sind sparsam und doch hat sich das Boot schnell entfernt. Aus seinem Haarschopf steht in der Mitte ein kleines Rastazöpfchen nach oben, wie eine Antenne. Barbara wünscht sich, er würde sich nochmal zu ihr umdrehen.

Unter dem Strand

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