Читать книгу Die Grüne Feder - Petra Teufl - Страница 8
4.
ОглавлениеDie folgenden Tage verbrachten Tante Edith, Vater und ich in einem ausgesprochenen Ausnahmezustand. Wir machten Urlaub! Wir nahmen uns frei von der komplizierten Situation, die uns zusammengebracht hatte. Bis zum Schulanfang waren es noch ein paar Tage hin, und ich wurde immer gespannter auf meine neue Schule, meine Lehrer und Mitschüler. Mein Vater ließ seinen Laptop ausgeschaltet in einer Schublade liegen. Das hatte ich noch nie erlebt. Wenn er dann aber doch einen kurzen Blick auf sein Smartphone warf, um seine Nachrichten zu checken, schimpfte Tante Edith wie eine Oberlehrerin.
„Thomas!“
„Edith, bitte, ich schau nur schnell nach, was in der Arbeit so läuft“, antwortete Vater.
„Du weißt, ich kann diese Dinger nicht leiden. Schon gar nicht in meiner Gegenwart.“
„Schon gut, ich schalte es wieder aus und lege es weg.“ Vater drückte demonstrativ auf den Knopf an der Seite des Smartphones und legte es weg.
„Danke“, sagte Tante Edith und widmete sich wieder ihrer Tätigkeit.
„Hast du Angst vor den Strahlungen der Smartphones, Tante?“, fragte ich.
„Nein, Lara“, antwortete Tante Edith und sah mich ernst an. „Aber ich will mich ungestört mit euch unterhalten und nicht mit Charles Braxton.“
„Wie meinst du das?“
„Deine Tante meint“, platzte Vater dazwischen, „Charles Braxton würde jedes elektronische Gerät überwachen, das mit seinem Betriebssystem Doors läuft. Edith, das ist lächerlich.“
„Ist es nicht, Thomas und das weißt du genau!“, erwiderte Tante Edith genervt. Papa hob die Hände in die Höhe und ergab sich, die Augen rollend, ihrem Wunsch. Ich lächelte über diesen Streit. Er erschien mir wie die typische Auseinandersetzung zwischen einem Technikfreak und einer alten Dame, die moderne Geräte für Teufelswerk hielt. Mein Eindruck bestätigte sich, nachdem ich einmal einen Blick in Tante Ediths Zimmer werfen durfte. Sie verschloss es in der Regel sorgfältig und hatte mir eingeschärft, dass ich in ihrem Reich nichts zu suchen hätte. Das ist nur fair, dachte ich, solange sie es genauso mit meinem Zimmer hält. Als sie die Tür öffnete und mich hereinbat, stockte mir der Atem. Tante Ediths Leidenschaft war offensichtlich: Stöbern in alten Büchern, Studieren seltsamer Schriften und Rätseln über die Bedeutung von Symbolen. Der Raum war vollgestellt mit überquellenden Bücherregalen, einem riesigen, mit Papieren und Büchern beladenem Schreibtisch, einem Glasschrank, in dem vergilbte Papyrusrollen und Pergamente lagerten, und Tischchen, die als Ablage für verschiedene Schreibinstrumente, Mappen und Ordner dienten. In der Ecke standen ein schmales Bett und ein eintüriger Kleiderschrank. Das waren die einzigen Zeichen dafür, dass Tante Edith hier auch wohnte und nicht nur forschte. Während ich neugierig durch das Zimmer ging, zupfte sie an Papieren herum und rückte einen Stiftebecher hin und her. „Normalerweise verschwinde ich für Tage in diesem Durcheinander. Da ich allein lebte, hat das niemanden gestört. Aber ich werde mich bemühen, rechtzeitig rauszukommen, wenn du mich brauchst, Lara“, gestand sie verlegen.
„Und ich werde mich bemühen, dich nicht zu stören. Dein Zimmer ist ja der Wahnsinn. Zeigst du mir mal, was du hier alles rumstehen hast?“, fragte ich neugierig und strich mit den Fingern leicht über eine Pergamentrolle, die ich am liebsten sofort ausgerollt hätte, um zu sehen, was darauf zu entdecken war. „So wie früher, Tante Edith, da hast du mir oft aus alten Büchern vorgelesen, erinnerst du dich?“
„Natürlich, Lara. Dass du das noch weißt, freut mich.“ Sie lotste mich wieder auf den Flur, als könnten meine Blicke ihre undurchschaubare Ordnung durcheinanderbringen.
Beim Essen erzählte Tante Edith dann von ihren Forschungen an den verschiedenen Universitäten in der ganzen Welt. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie diese Frau in ihrem Kostüm afrikanische Studenten in Timbuktu unterrichtete. Da passte sie schon eher in die Archive der großen Bibliotheken deutscher Klöster.
„Als ich an den Ausgrabungen in der Donauebene in Rumänien teilgenommen habe, konnte ich es nicht fassen“, erzählte sie. „Da haben wir Grabbeigaben gefunden, in die eindeutig Schriftzeichen geritzt waren. Die Gegenstände sind um einiges älter als die Keilschrifttafeln aus Mesopotamien! Eindeutig! Aber was sagen die Kollegen der Fachwelt dazu?“ Tante Edith sah uns an, als forderte sie uns zum Duell heraus. „Gar nichts! Das sei keine Schrift, sagen diese bornierten Wissenschaftler!“, schimpfte sie. „Aber denen werde ich beweisen, dass ich recht habe!“
Papa und ich lachten zwar über ihre Aufregung und Wut. Doch sie meinte es bitterernst. Tantes Leidenschaft für ihr Fachgebiet hatte ich schon als Kind bewundert. Jetzt merkte ich, dass ich meiner Großtante in Bezug auf diese sprühende Energie ziemlich ähnlich war.
Das alte Haus, in dem wir wohnten, lag mitten in der Altstadt und in der Nähe der Donau. Von hier aus führte Tante Edith uns wie eine geübte Stadtführerin durch die Gassen und über die Plätze der Stadt. Sie wusste unendlich viele geschichtliche Daten zu den Gebäuden und erzählte von den berühmten Menschen, die hier einmal gelebt hatten. Über die Schreiber der Stadt redete sie besonders lang. Diese hatten vor dreihundertfünfzig Jahren eine wichtige Stellung inne, als Kaiser, Könige und die verschiedenen Reichsfürsten ihre Angelegenheiten im Reichstag zu Regensburg verhandelten. Die hohen Herren kamen nur selten persönlich. Lieber schickten sie Vertreter und ließen sich von Boten über die Entwicklungen informieren. Die Schreiber führten Protokoll über die Sitzungen, versandten wichtige Informationen und fertigten Verträge und Gesetzestexte an. „Eine äußerst mächtige Stellung“, sagte Tante Edith. „Wer weiß, wie oft die Schreiber in ihren Dokumenten gelogen haben, um die Geschehnisse zu beeinflussen.“
„Fake News im 17. Jahrhundert!“, lachte Papa.
Mir ging etwas anderes durch den Kopf. Mama hätte aus dem, was Tante Edith erzählte, einen dicken, spannenden Roman schreiben können. Zu jedem alten Haus und Turm, zu jeder Brücke wären ihr Geschichten eingefallen. Dieser Gedanke schmerzte und deshalb sprach ich ihn nicht aus. Ich wollte die unbeschwerte Stimmung, in der wir uns durch diese Tage bewegt hatten, nicht zerstören. Das übernahm wenig später ein Anruf von Vaters Assistent Herr Späth. Als Papas Handy klingelte, standen wir gerade in einem Laden. Papa und ich probierten Pullover und Jacken an, um unsere Indien-Sommerkleidung mit wärmeren Klamotten zu ergänzen. Papa nahm das Gespräch an und ging damit vor die Tür, um in Ruhe telefonieren zu können. Zu Tante Edith, die ihn missbilligend ansah, flüsterte er eine Entschuldigung. Ich nahm den Stapel Jeans, Shirts und Jacken und verzog mich in die Umkleidekabine. Nach dem dritten Outfit, mit dem ich mich vor dem Spiegel gedreht hatte, stöhnte Tante Edith ungeduldig auf. „Ist doch egal, was du nimmst, Lara. Sieht doch alles irgendwie gleich aus.“ „Das ist gar nicht egal“, erwiderte ich empört. Obwohl ich mir sonst nicht so viel Gedanken um meine Kleidung machte, war ich nervös. Was trugen meine zukünftigen Mitschüler? Was war in und was war out? Ich wollte an meinem ersten Schultag auf keinen Fall durch Klamotten auffallen, die von gestern waren oder einfach keinen Stil hatten. Als ich mich endlich für zwei verschiedene Jeans und drei Shirts entschieden hatte, trug ich meine Ausbeute zu Tante Edith und Vater, die die Köpfe zusammensteckten.
„Was ist los?“, fragte ich.
„Morgen muss ich in die Firma“, antwortete Papa ernst.
„Wenn das so ist, wird es Zeit, einen Kaffee im Schloss trinken zu gehen“, stellte Tante Edith fest.
„Edith, muss das jetzt sein?“, stöhnte Vater gequält.
„Ich kann mit Lara allein gehen, wenn es dir zu schwer fällt“, antwortete Tante Edith.
„Nein, ich will dabei sein.“
„Was ist denn los?“, fragte ich, während ich Papa, dem Mann mit der Kreditkarte, die Klamotten in die Arme drückte. „Nichts weiter“, antwortete Tante Edith. „Wir müssen dir nur etwas über deine Mutter erzählen. Und über dich.“
Tante Ediths Worte wirkten wie ein kleines Loch in einem Luftballon. Spürbar und stetig wich die unbeschwerte Laune. Was würde Tante Edith mir über meine Mutter erzählen? Was musste sie so gewichtig ankündigen? So entschlossen und ernst, wie Tante Edith meinen Vater ansah, würde es nicht um „Nichts“ gehen, wie sie behauptet hatte. Vor sieben Jahren, mit dem Umzug nach Indien, hatte ich meine ganze Traurigkeit und Sehnsucht nach meiner Mutter innerlich in eine Kiste gepackt. Ich befürchtete, dass Tante Edith heute ihre Hand auf den Deckel dieser Kiste legen würde, um sie zu öffnen.
Während mein Vater Edith die Tür zum Café aufhielt, das in einem ehemaligen Lagergebäude des Schlosses untergebracht war, kam der Kellner lächelnd auf uns zu. „Schön, dass Sie uns wieder einmal beehren, Frau von Schelling“, sagte er.
Da wurde ich hellhörig. „Warst du schon öfter hier, Tante Edith? Hast du hier schon geforscht? Die haben sicher eine riesige Bibliothek, oder?“, fragte ich, als ich ihr zu einem Tisch folgte.
„Ich bin praktisch Stammgast hier“, antwortete Tante Edith und bestellte für uns. Als wir schweigend in unseren Cappuccini rührten, platzte mir dann irgendwann doch der Kragen. Mir ging diese ganze Geheimnistuerei mächtig auf den Senkel und dass ich alles nur häppchenweise zu hören bekam, hatte mich schon auf dem Flug mit meinem Vater fast in den Wahnsinn getrieben.
„Was wollt ihr mir erzählen? Ihr seht so düster aus, wie auf einer Beerdigung“, platze es unüberlegt aus mir heraus.
„Edith und ich haben beschlossen, dir so viel von unserer Situation in dieser Stadt zu erzählen, wie möglich. Du sollst nicht in die Schule gehen, ohne zu wissen, was los ist“, sagte Papa.
„Du hast doch schon erklärt, dass du Nachforschungen zu Mamas Unfall anstellen willst.“
„Es ist alles komplizierter, als du denkst“, stammelte Papa und sah Tante Edith eindringlich an.
„Lara, hast du das Schild vorne am Tor gesehen?“, fragte Tante Edith und übernahm das Gespräch.
„Meinst du das Wappen von dieser Fürstenfamilie aus dem Schloss?“
„Nein, das andere meine ich. Gilde der Schreiber steht darauf. Die Gilde hat in diesem Schloss ihren Hauptsitz und ich arbeite seit vielen Jahren für sie. Deine Mutter war Mitglied der Gilde. Als sie damals in Regensburg war, hat sie an einem Treffen der Gilden-Mitglieder teilgenommen. Genau von hier ist sie losgefahren, als sie ihren Unfall hatte.“
Auf einmal erschien mir die prunkvolle Fassade des Schlosses nicht mehr so strahlend.
„Mama hat damals gesagt, sie fahre zu einem Schriftsteller-Treffen“, sagte ich leise. Ich hatte bisher nie konkret über Mamas Unfall geredet. Es fiel mir schwer, zu atmen. Es fühlte sich an, als würde ich zwischen zwei Felsbrocken unaufhaltsam zerquetscht werden.
„Die Gilde kann man mit einem Berufsverband für schreibende Berufe vergleichen“, erklärte Tante Edith, wobei sie in ihre Tasse starrte, als lese sie dort ab, was sie sagen sollte. „Sie ist aber mehr. Wir beschützen verfolgte Journalisten und Blogger auf der ganzen Welt und fördern besondere Schreibtalente.“ Sie ließ ihren Blick durch das Café schweifen. „Sophie, deine Mutter, war eines dieser Talente. Es ist eine spezielle Art des Schreibens. Wir nennen es wahrhaftiges Schreiben. Man kann es nicht erlernen. Diejenigen, die dieses Talent haben, müssen geschult werden, damit sie die Gabe handhaben können. Denn die Texte von wahrhaftigen Schreibern sind so kraftvoll, dass sich deren Leser ihrem Inhalt nicht entziehen können. Die Texte haben quasi eine hypnotische Wirkung.“
Ich rührte mit regelmäßigen Bewegungen den Rest meines Kaffees in der Tasse zu einem Strudel, während mein Kopf versuchte, Tante Ediths Worte zu begreifen und Papas ernste Miene einzuordnen.
„Natürlich konnte Mama hypnotische Texte verfassen“, sagte ich. „Sie war aus gutem Grund eine erfolgreiche Schriftstellerin.“
Tante Edith beugte sich mit einem wissenden Lächeln über den Tisch zu mir herüber. „Es war mehr als das. Deine Mutter hätte hier und jetzt auf einen Zettel ein paar Worte schreiben können, die einen Gast am Nebentisch dazu auffordern, etwas für uns zu erledigen. Dann hätte sie diesen Zettel dem Gast gereicht. Der hätte ihn gelesen und wäre auf der Stelle losgegangen, um den aufgeschriebenen Wunsch zu erfüllen“, sagte Tante Edith mit dem Ausdruck eines schwärmerischen Fans. „Das ist wahrhaftiges Schreiben — und deine Mutter beherrschte es auf ganz besondere Weise.“
Ich sah meine Tante ungläubig an. Das konnte jetzt nicht aus dem Mund der Wissenschaftlerin Edith von Schelling mit ihrem rationalen, analytischen Verstand gekommen sein. Andererseits hatte sie auch diese irrationale Marotte in Bezug auf elektronische Geräte. Ich atmete bewusst ein und aus, um meine Miene zu kontrollieren. Ich wollte Tante Edith nicht beleidigen, indem ich lachte oder sie ungläubig anstarrte. Musste ich mir Sorgen um die alte Dame machen? Ich sah zu meinem Vater rüber, der ernst aus dem Fenster starrte, ohne auf Ediths Worte zu reagieren.
„Das ist sicher schwer für dich zu glauben, Lara“, stellte Edith sachlich fest.
„Ja, das klingt ziemlich absurd.“
Tante Edith schnaufte hörbar aus. „Thomas, willst du nicht auch etwas dazu sagen?“
„Nein. Ich denke, wir müssen Lara einfach nur etwas Zeit geben“, antwortete Papa und zog seinen Geldbeutel aus der Tasche, um zu zahlen.
„Moment“, protestierte Tante Edith. „Wir sind noch nicht fertig.“ Sie sah Vater eindringlich an, bis er sich wieder in seinen Stuhl zurücklehnte.
„Von mir aus, auch den Rest“, seufzte er.
Seltsamer kann es nicht werden, dachte ich und war erleichtert, weil das bisher Gesagte für mich nichts mit Mama zu tun hatte, sondern eher mit Tante Edith.
„Es ist so“, begann Tante Edith, „dass das Talent des wahrhaftigen Schreibens vererbt werden kann. Da deine Mutter diese Gabe in einem ausgeprägten Maß besaß, kann es sein, dass du ebenso veranlagt bist. Du bist in einem Alter, in dem sich dieses Talent zeigt, wenn es vorhanden ist.“ Ich wollte etwas sagen, doch Tante Edith fasste über den Tisch nach meiner Hand und schüttelte den Kopf. „Warte. Ich bin noch nicht fertig. In einigen Wochen führt die Gilde ein Testschreiben durch. Daran dürfen die Menschen teilnehmen, von denen angenommen wird, dass sie begabt sind. Dein Vater und ich wollen, dass du auch daran teilnimmst.“
„An einem Schreibwettbewerb? Ihr werdet enttäuscht sein“, antwortete ich kopfschüttelnd und konnte den ganzen Irrsinn überhaupt nicht fassen.
„Nein, nicht an einem Schreibwettbewerb“, korrigierte Tante Edith. „Du nimmst an dem Testschreiben der Gilde teil, damit du erfährst, ob du das Talent deiner Mutter geerbt hast. Wenn du wahrhaftig schreiben kannst, muss deine Gabe geschult werden.“
Ich sah zu Papa und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum er meiner Tante dieses Gerede einfach so durchgehen ließ. „Willst du auch, dass ich da mitmache?“
Er beugte sich vor, den Blick auf die Tischplatte gerichtet, und nickte. „Ja. Vor allem deshalb bist du hier. Ich will nicht, dass du Sophies Eigenschaft geerbt hast. Im Gegenteil, ich hoffe, du versagst bei diesem Test.“
Das hörte sich so an, als sollte ich bei einem medizinischen Test mitmachen, um zu erfahren, ob ich schwerkrank war.
„Kein Problem, dann mache ich da mit. Wenn das der eigentliche Grund für meinen Umzug war, kann ich dann gleich nach dem Test zurück nach Indien?“, fragte ich hoffnungsvoll. Ich beschloss, diesem wirren Gerede Glauben zu schenken, solange das für mich bedeuten könnte, dass ich früher nach Indien zurückkam. Doch Vater schüttelte sofort den Kopf. „Das Argument mit der Vater-Tochter-Fernbeziehung gilt ja weiterhin.“
„Ok. War nur so ein Versuch. Ich will dich nicht im Stich lassen“, erklärte ich. Mit einem Mal hellte sich die Stimmung wieder auf, als hätten die beiden mir ein schweres Vergehen gebeichtet. Erst auf dem Weg nach Hause merkte ich, dass es eine entscheidende Frage gab, die ich dringend beantwortet haben wollte. Tante Edith stieg vor mir die Haustreppe hoch, schloss die Wohnungstür auf und trat ein. Da drehte ich mich zu Papa um und fragte: „Warum erst jetzt? Warum hast du mir nicht früher davon erzählt?“
Er vergrub seine Hände in den Taschen und überlegte kurz. „Ich wollte, dass du solange wie möglich unbehelligt von dem Talent deiner Mutter und allem, was damit zusammenhängt, aufwachsen kannst. Ich wollte und musste dich schützen.“
Ich sah ihn erstaunt an. „Eigentlich habe ich nach der Sache mit dem Testschreiben gefragt. Dass du mich wegen dem hierher geschleppt hast. Das mit der komischen Schreiberei ...“
„Ach so“, fiel mir Papa ins Wort. „Du glaubst, deine Tante hat wirres Zeug geredet?“
„Eindeutig, ja. Du glaubst doch nicht etwa, Mama war so etwas wie eine wahrhaftige Schreiberin?“
Papa nahm meine Hände in seine und sah mich ernst an. „Ich weiß vor allem eines, Lara. Ich habe Sophie sehr geliebt. So wie sie war.“ Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. In die Stille platzte Tante Ediths Frage, ob wir unser Gespräch nicht in der Wohnung weiterführen wollten.