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Belohnungen und Strafen

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Somit war, mit wenigen Ausnahmen – sei es im Griechenland des siebten Jahrhunderts vor Christus oder im alten Israel desselben Zeitraums –, das Schicksal der Toten das gleiche: ein Halbleben im Reich der Schatten. Da alle, unabhängig davon, wie sie ihr Leben gelebt hatten, das gleiche Schicksal erwartete, lieferte es keinerlei Anreize für ein bestimmtes Verhalten, ein gutes oder schlechtes, diesseits des Grabes. Später begannen die Texte des Alten Testamentes darauf aufmerksam zu werden, dass auch diesseits des Todes wenig dadurch zu gewinnen schien, dass man ein Leben im Dienste Gottes und im Gehorsam gegen ihn führte. Um es vereinfacht auszudrücken: Böse Dinge stießen guten Menschen zu, und umgekehrt. So zeigt sich beispielsweise im Buch Maleachi (um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr.), dem letzten Buch des Alten Testaments, Unzufriedenheit mit dem Resultat eines Gott hingegebenen Lebens:

Es ist umsonst, dass man Gott dient; und was nützt es, dass wir sein Gebot halten und ein hartes Leben vor dem Herr Zebaoth führen? Darum preisen wir die Verächter; denn die Gottlosen nehmen zu; sie versuchen Gott, und alles geht ihnen wohl aus. (Mal 3,14–15)

Der Autor des Buches Kohelet (aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.) war der Überzeugung, dass es Gerechtigkeit weder auf dieser noch auf der anderen Seite des Todes gebe. „Es ist eine Eitelkeit, die auf Erden geschieht“, erklärte er, „es sind Gerechte, denen geht es, als hätten sie Werke der Gottlosen, und sind Gottlose, denen geht es, als hätten sie Werke der Gerechten“ (Koh 8,14) getan. Und dennoch: „Es begegnet dasselbe einem wie dem andern: dem Gerechten wie dem Gottlosen, dem Guten und Reinen wie dem Unreinen […]. Das ist ein böses Ding unter allem, was unter der Sonne geschieht, dass es einem geht wie dem andern“ (Koh 9,2–3). Es war dies eine Geisteshaltung, die derjenigen des Buches Hiob (vielleicht aus dem 6. Jahrhundert v. Chr.) verwandt war, einem Buch, in dessen Zentrum das Thema der ungerechten Leiden der Tugendhaften steht: „Dieser stirbt frisch und gesund in allem Reichtum und voller Genüge, […], jener aber stirbt mit betrübter Seele und hat nie mit Freuden gegessen; und liegen gleich miteinander in der Erde, und Würmer decken sie zu“ (Hiob 21,23–26).

Die beste Lösung für die Ungerechtigkeit diesseits des Grabes bestand in ihrem Ausgleich auf seiner anderen Seite. Das früheste Beispiel hierfür findet sich in der Beschreibung des Totenreichs im ersten Buch von Henoch, einer jüdischen religiösen Schrift, die nicht zum Alten Testament gehört, in einem Abschnitt des Textes, der auf das dritte Jahrhundert vor Christus datiert werden kann. Hier wurde erstmals eine Unterscheidung zwischen dem Schicksal der Gerechten und dem der Ungerechten getroffen. Hades war zu einem in vier Räume unterteilten Ort geworden, in denen vier verschiedene Gruppen der Toten sich bis zum Tag des Jüngsten Gerichts (wir werden darauf zurückkommen) befanden. Dies waren nicht nur Wartezimmer für künftige Belohnungen und Strafen: Die Belohnungen und Strafen hatten bereits begonnen.

Nach dem Text zeigt der Engel Raphael Henoch einen hohen Berg im Westen, in dem sich vier tiefe „Hohlräume“ befanden. Drei von ihnen waren dunkel, während einer hell war. In seiner Mitte befand sich ein Springbrunnen mit Wasser. Rafael sagt Henoch, dass diese „Hohlräume dafür bestimmt sind, die Geister der Seelen der Toten aufzunehmen“. Die Toten wurden entsprechend ihres moralischen Wertes getrennt und entsprechend belohnt oder bestraft. Die erste dieser Kammern, ein Ort mit Licht und Leben, war für die Gerechten bestimmt. In der zweiten von ihnen lebten Sünder, deren Bosheit während ihres Lebens ungestraft geblieben war und die jetzt „diese große Qual“ erlitten. Es ist weniger klar, wer sich in der nächsten Kammer befand. Sicher ist, dass es Mordopfer waren, obwohl ihr Aufenthalt an einem Ort der Dunkelheit die Vermutung nahelegt, dass nicht alle unbedingt nur unschuldig waren. In der vierten, letzten Kammer befand sich eine andere Gruppe von Sündern, die – im Gegensatz zu denen in der zweiten Kammer – weder nach dem Tod noch nach dem Jüngsten Gericht Qualen zu erleiden schienen, wahrscheinlich weil sie ihre Strafe während ihrer Lebenszeit empfangen hatten.15

Es war unvermeidlich, dass solche feinen Unterschiede im Totenreich zu zwei Orten vereinfacht werden würden – einem für die Gerechten und einem für die Ungerechten. Wie wir später noch sehen werden, war es eine Vereinfachung, die ein Großteil der folgenden Theorien über das Jenseits zu vermeiden versuchen würde. Wie es sich damit im Einzelnen auch verhalten mag: Es ist jedenfalls so, dass um die Zeit, zu der ein anderer nichtbiblischer jüdischer Text verfasst wurde, der als zweite Apokalypse von Baruch (ca. 110 n. Chr.) bekannt ist, aus den vier Orten des ersten Buches von Henoch zwei geworden waren. Im Unterschied zum ersten Buch von Henoch sind diese beiden Orte im Hades nun allerdings keine der Belohnung oder Strafe als vielmehr Warteräume für das, was nach dem Ende der Welt kommen wird:

Zu jener Zeit geschieht es: da öffnen sich die Kammern, worin der frommen Seelen Zahl verwahrt ist; […]. Der Frevler Seelen schwinden hin in Angst, wenn sie dies alles schauen. Sie wissen ja, dass ihre Peinigung sie jetzt erreicht und dass ihr Untergang herbeigekommen ist.16

Das vierte Buch Esra (um das Jahr 100 n. Chr.), ein apokryphes christliches Werk, hatte eine größere historische Bedeutung, und zwar aufgrund seiner „Beweise“, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorstand. Als im Jahre 1726 eine Frau aus Godalming in Surrey, Mary Toft, angeblich lebende Kaninchen zur Welt brachte, glaubte zum Beispiel William Whiston (1667–1752), Isaac Newtons Nachfolger auf dem Lucasianischen Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Cambridge, dass dies die Erfüllung der Prophezeiung im vierten Buch von Ezra sei, dass „gebärfähige Frauen Monster zur Welt bringen“ würden.17 Doch dieses Buch gab auch eine umfangreiche Beschreibung des Schicksals der Verstorbenen unmittelbar nach dem Tod. In Antwort auf Ezras Frage, ob die Geister der Toten bis zum Ende der Welt ruhen würden oder ob es unmittelbare Qualen geben werde, erzählte der Engel Ezra, dass die Toten sieben Tage lang frei sein würden und dass die Gerechten in dieser Zeit die Belohnungen sehen würden, die auf sie warteten, und die Ungerechten die Qualen, die ihnen bevorstanden. Am Ende der sieben Tage würden die Gerechten in freudiger Erwartung der Wonnen, die auf sie warteten, „in tiefer Ruhe“ in von Engeln bewachten Kammern versammelt. Die Ungerechten waren dazu verurteilt, weiter umherzuwandern, ständig betrübt und traurig über das, was auf sie zukam.18 Nach dem endgültigen Richterspruch würden die Ungerechten in das Feuer der Hölle gelangen, die Gerechten in das Paradies der Freude.19 In einer frühen Version dessen, was man später als „die abscheuliche Fantasie“ bezeichnete, würden die Leiden der Ungerechten dadurch vergrößert, dass sie von den Freuden der Gerechten wussten – und die Freuden der Geretteten, dass sie um den ziellosen Wandel der Gottlosen und ihre endgültige Strafe wussten.

All dies bringt uns zu Abrahams Schoß und Josephus’ Diskurs zu den Griechen über Hades. Traditionellerweise wird dieser Text dem jüdischen Historiker Josephus (ca. 37–ca. 100 n. Chr.) zugeschrieben, man nimmt heute jedoch an, dass der Text von dem römischen Christen Hippolyt verfasst wurde (ca. 170–ca. 236 n. Chr.). Nach Hippolyt war Hades ein unterirdischer Ort, zu dem das Licht der Sonne nicht vordrang und an dem daher vollkommene Dunkelheit herrschte. Es war ein Ort, an dem Seelen von Engeln bewacht wurden. Innerhalb des Hades gab es noch einen weiteren separaten Ort, „einen See unauslöschlichen Feuers“, in den noch niemand hineingeworfen wurde, obwohl er bereitstand, die Sünder nach dem Tag des Gerichts aufzunehmen.20 Sowohl die Gerechten als auch die Ungerechten befanden sich im Hades, wenn auch nicht im selben Teil desselben.

Zum Zeitpunkt des Todes fuhren alle Seelen zum Hades hinab, dessen Eingangstor von Engeln bewacht wurde. Nachdem sie dieses Tor durchschritten hatten, wurden die Toten aufgeteilt. Die Gerechten wurden im Licht nach rechts geführt, bis sie an einen lichtdurchfluteten Ort gelangten, der weder heiß noch kalt war noch Schmerzen bereitete. Dort genossen sie den Anblick der ihnen bereits sichtbaren Himmelsgeschenke, in Erwartung der noch ausstehenden Freuden. Man sah die Gerechten und die Väter dort ununterbrochen lächeln, „während sie auf die Ruhe und ewige Wiederbelebung im Himmel warten, die auf diesen Ort folgt“.21 Dieser Ort war, so wird uns gesagt, „unter dem Namen Abrahams Schoß bekannt“.22

Die Ungerechten hingegen wurden als Gefangene gegen ihren Willen von Engeln, die die Strafen austeilten, nach links gezogen und in die unteren Teile hinabgezwungen, bis an den Rand der Hölle (γέεννα, Gehenna). Dort „erschaudern sie vor Schrecken in Erwartung des künftigen Richterspruchs, (so als) fühlten sie bereits die Schwere ihrer Strafe“.23 Ein tiefer, riesiger Abgrund liegt zwischen diesen beiden Orten im Hades, „so dass weder irgendeiner der Gerechten daran denken kann, ihn aus Mitleid zu überqueren, noch irgendeiner der Ungerechten dies wagen kann“.24 Dort blieben sie alle bis zum Tag des Gerichts. Für Hippolyt blieb der Hades der Bestimmungsort aller Toten, wenn sie auch nach Aufenthaltsorten für die Guten und Bösen getrennt wurden. Zudem ist klar, dass Hippolyt noch eine weitere Unterscheidung im Hades traf, nämlich dass es darin noch einen weiteren, tieferen Ort gab: Gehenna, an dem sich zwar noch niemand befand, der aber dennoch der letzte Bestimmungsort der Bösen nach dem Endgericht sein würde.

Es ist sehr wohl möglich, dass Hippolyt von seinem Zeitgenossen Tertullian (ca. 160–ca. 220 n. Chr.) beeinflusst worden ist. Ebenso wie Hippolyt hielt Tertullian Hades für den Bestimmungsort sämtlicher Toten (mit Ausnahme der christlichen Märtyrer), unabhängig davon, ob sie vor oder nach Christus gelebt hatten. Dort blieben sie bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Hades war „ein ungeheurer Raum im Abgrunde der Erde in der Tiefe“ und „ein innerstes […] Verlies, das noch in der Erde selbst verborgen […] und mit noch tieferen Abgründen überbaut“ war.25 Denjenigen, die sich darüber beklagten, es sei unfair, dass die Guten und die Bösen an denselben Ort gelangten, antwortete Tertullian, dass sowohl die Strafen als auch die Tröstungen dort bereits erfahren wurden, entweder in Abrahams Schoß oder im Feuer. Die Seele würde unmittelbar nach dem Tod belohnt oder bestraft, „ohne Vorwegnahme des vollen Hergangs der Auferstehung, wenn die Belohnung zusätzlich durch das Fleisch ausgeteilt wird“.26 Dennoch war selbst Tertullian sich bezüglich des Orts von Abrahams Schoß innerhalb der Unterwelt gelegentlich unsicher. Gleichwohl sah er sich dazu gedrängt, den tiefen Graben zwischen den beiden zu betonen. Obwohl er Abrahams Schoß nicht mit dem Himmel gleichsetzte, oder einem Teil des Himmels, wollte Tertullian ihm dennoch einen höheren Platz als der Unterwelt zuweisen (sublimiorem infernis) und ihn als analoges Gegenstück der elysischen Gefilde ansehen (obwohl er, im Gegensatz zu ihnen, sich vermutlich nicht auf Erden befand).27

Diese Ansicht, dass das Totenreich in zwei Teile zerfällt, in denen die Gerechten und Ungerechten vorweggenommene Belohnungen oder Bestrafungen erhielten, war – wie wir in Kapitel 2 noch sehen werden – eine Sicht der Dinge, der sich letztlich auch der heilige Augustinus von Hippo (353–430 n. Chr.) anschloss. Augustinus akzeptierte die Tradition, nach der Christus zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung in das Totenreich hinabgestiegen war, um den sich dort Befindenden zu predigen. Für Augustinus war es Abrahams Schoß, zu dem Christus hinabstieg, um die Edelsten zu retten, die vor seinem Erscheinen auf der Erde gelebt hatten. Doch im Gegensatz zu Tertullian und Hippolyt glaubte Augustinus, dass sich nach diesem Tag niemand mehr in Abrahams Schoß befinden würde und dass die Gerechten im Anschluss daran in das Paradies kamen statt in das Totenreich, einen Ort, der ihm entgegengesetzt war, statt ein Teil von ihm zu sein.

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