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„Hinabgestiegen in das Reich des Todes“

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All dieses Kopfzerbrechen über das Schicksal der vor Christus Gestorbenen sollte in Augustinus zusammenfließen. Im Jahr 414 erhielt Augustinus einen Brief von einem alten Freund, dem Bischof Evodius von Uzalis. Er fragte Augustinus, wer genau diese Geister im Gefängnis waren, zu denen Christus nach seinem Tode ging und denen er predigte (1 Petr 3,19), woraufhin sie alle von Finsternis und Strafe erlöst wurden, so dass „seit der Zeit der Auferstehung des Herrn das Gericht erwartet wird, nachdem die Hölle vollständig geleert wurde“.98 Es war eine Frage, die auch Augustinus in Verlegenheit brachte, und seine Ansichten waren alles andere als definitiv.

Dennoch gab es eine Sache, die Augustinus nicht in Zweifel zog. Es steht außer Frage, so schrieb er, dass Christus nach seinem Tod in die Hölle (in infernum) hinabgestiegen war.99 Dass er dies getan hatte, war ein Gemeinplatz des christlichen Denkens seit dem ersten Jahrhundert. Im Jahr 359 wurde dies auf dem Konzil von Sirmium erstmals in ein Glaubensbekenntnis aufgenommen. In dem sogenannten „veralteten Glaubensbekenntnis“ heißt es, dass Christus in die Unterwelt hinabgestiegen sei und die Torhüter der Hölle geschaudert hätten.100 Auch Augustinus verstand Christi Höllenfahrt so, dass sie die Erlösung derjenigen einschloss, die sich dort befanden. Doch hielt er es für vermessen, sagen zu wollen, wer dies gewesen sei. Adam dazuzuzählen, war er gerne bereit. Auch hierin sei sich, schrieb er, „fast die gesamte Kirche einig“.101 Einige, so wusste er, wollten die Helden des Alten Testamentes dazugerechnet wissen. Und er war durchaus der Vorstellung zugeneigt, dass die tugendhaften Heiden errettet werden sollten, „denn sie können gerechterweise als Beispiele all der anderen Tugenden [mit Ausnahme der Verehrung eines Gottes] hochgehalten werden: der Genügsamkeit, Selbstzucht, Keuschheit, Besonnenheit“ und so weiter.102

Der Stein des Anstoßes war für Augustinus jedoch die neutestamentliche Parabel vom reichen Mann und Lazarus (Lk 16,19–31). Danach gab es einmal einen reichen Mann, der sich in Purpur und feine Stoffe kleidete und jeden Tag ein opulentes Mahl zu sich nahm. Vor seiner Tür lag ein armer Mann namens Lazarus, zu dem die Hunde kamen und dem sie die Wunden leckten. Er wollte nicht mehr, als sich von dem sättigen, was vom Tisch des Reichen fiele. Als dieser arme Mann starb, wurde er von Engeln in Abrahams Schoß getragen. Der Reiche aber starb ebenfalls, wurde begraben und gelangte in die Hölle. Als er dort Qualen erlitt, schaute er auf und sah in großer Ferne Abraham mit Lazarus an seiner Seite. Er rief: „Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, dass er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und meine Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.“ Abraham aber sagte:

Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und darüber hinaus ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, so dass diejenigen, die von hier zu euch hinabfahren wollten, es nicht könnten, und auch nicht vom Hades zu uns.

Von diesem Text ausgehend wollte Augustinus zwischen Abrahams Schoß und Hades unterscheiden. Er konnte nicht verstehen, wie sowohl Abraham als auch Lazarus an einem Ort des Schmerzes und des Leidens sein konnten. Außerdem hielt er es für absurd, dass nur Abraham und Lazarus „in diesem Schoß wundersamer Ruhe“ waren, bevor Christus in das Reich des Todes hinabgestiegen war. Überdies hielt er es für wahrscheinlich, dass sich die Propheten und Patriarchen ebenfalls dort befanden, obwohl er zugab, dass er nicht verstand, welche Wohltat Christus ihnen dadurch erwies, als er die Bande der Hölle löste. Daher zog er, weil Abraham gesagt hatte, dass „eine große Kluft befestigt“ sei, den Schluss, dass „der Schoß jenes herrlichen Unglücks kein wesentlicher Bestandteil der Hölle“ sei. Stattdessen wünschte er sich, die Heilige Schrift hätte berichtet, dass Christus dorthin gegangen sei: „Wenn die Heilige Schrift gesagt hätte, ohne die Hölle und ihre Schmerzen zu erwähnen, dass Christus nach seinem Tode zu Abrahams Schoß gegangen ist, so frage ich mich, ob es irgendjemand gewagt haben würde zu sagen, dass er ‚in die Hölle hinabgestiegen« ist“.103 Dennoch werden die Hölle und ihre Qualen, wie Augustinus zugibt, in der Bibel erwähnt, und es gibt keinen anderen Grund, anzunehmen, dass Christus in die Hölle hinabgestiegen ist, als seinen Wunsch, diejenigen zu erretten, die sich dort befanden. Augustinus war sich trotzdem unsicher, ob Christus „alle errettete, die er vorfand, […] oder einige, die er dieser Wohltat für würdig hielt“.104 In einem Punkt stand Augustinus’ Ansicht allerdings fest: Diejenigen, die seit der Auferstehung Christi gestorben waren und die die Chance zur Erlösung in diesem Leben nicht ergriffen hatten, würden nach ihrem Tod keine Gelegenheit mehr dazu haben. Das ewige Schicksal wurde zum Zeitpunkt des Todes festgelegt.

Gleichwohl hat Augustinus seine Position in einem Brief an Dardanus, einen hohen Beamten in Gallien, um das Jahr 417 präzisiert, denn nunmehr war er der Überzeugung, dass es keinen tiefen Graben zwischen Abrahams Schoß und dem Hades gebe, sondern stattdessen zwei Bereiche der Hölle: „einen für das Leiden und einen Ruheort für die Seelen“.105 Abrahams Schoß war nun zu einem Teil der Hölle geworden, und Christus war nur zu Abrahams Schoß hinabgestiegen, „um diejenigen zu retten, die sich dort befanden, um gerettet zu werden“.106 Darüber hinaus setzte Augustinus jetzt Abrahams Schoß mit dem Paradies gleich, in das der reumütige Dieb am selben Tag, an dem Christus starb, aufgenommen wurde. Augustinus wurde jetzt auch wesentlich eindeutiger hinsichtlich der Frage, wer als Folge von Christi Abstieg in einen Bereich, der jetzt zu einer oberen Region der Hölle geworden war, errettet wurde. Zu denjenigen, die sich dort befanden, um gerettet werden zu können, gehörten die Heldengestalten des Alten Testaments. Sie „sollten auch durch denselben Glauben gerettet werden, der zur rechten Zeit offenbart werden sollte“.107 Indem er also Abrahams Schoß von einem durch eine tiefe Kluft vom Hades getrennten Ort zu einem Teil des Hades neu konzipiert hatte, besaß Augustinus jetzt einen echten Grund für Christi Abstieg in das Reich des Todes, nämlich um diejenigen zu retten, die sich in ihrem oberen Teil befanden, die Seelen in der Todesruhe, und nicht um denen zur Hilfe zu kommen, die im unteren Teil der Hölle litten. Sie wurden ihrem Schicksal überlassen. In seinem letzten Werk De haeresibus (Über Häresien) ging Augustinus sogar so weit, dass er es für eine Häresie erklärte, zu glauben, dass bei Christi Abstieg in die Hölle (ad infernos) die Ungläubigen zum Glauben gekommen seien und dass alle errettet (liberatos) wurden, die sich dort befanden.108 Als Christus in das Reich des Todes hinabstieg, wurden demnach nur diejenigen gerettet, die sich in Abrahams Schoß befanden, aus dem später die Vorhölle der Väter wurde.

Obwohl Augustinus’ Sichtweise zur dominierenden Position wurde, fand man die Tradition, dass aufgrund von Christi Höllenfahrt alle errettet wurden, selbst noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts. So schrieb etwa Papst Gregor der Große an zwei Kleriker der Kirche in Konstantinopel bezüglich ihrer Predigt, dass Christus bei seinem Abstieg in das Reich des Todes alle diejenigen errettet und von ihren verdienten Qualen erlöst hatte, die ihn als Gott anerkannten. Er wiederholte Augustinus’ Ansicht, dass dies als eine Häresie anzusehen sei, und forderte sie auf, anders hierüber zu denken. „Glaubt an nichts“, erklärte er,

als an dasjenige, was der wahre Glaube durch die katholische Kirche lehrt: dass nämlich der Herr durch seinen Abstieg in die Hölle nur diejenigen von den Höllenqualen errettet hat, die er zu Lebzeiten durch seine Gnade im Glauben bewahrt und bei tugendhaftem Wandel erhalten hat.109

Im Gegensatz zu Augustinus unterschied Gregor keine verschiedenen Bereiche der Hölle, und ebenso wenig schloss er zumindest einige der tugendhaften Heiden, die gute Werke getan hatten, von der Erlösung aus. In der Mitte des achten Jahrhunderts wurde Clemens der Schotte, trotz der Autorität von Augustinus und Gregor, durch eine Synode in Rom dafür verurteilt, dass er ihre Autorität missachtet habe, indem er behauptete, „dass Christus in die Unterwelt hinabgestiegen sei, um alle zu befreien, die dort gefangen gehalten wurden, Gläubige und Ungläubige, diejenigen, die Gott verehrten und die Anbeter von Götzen“.110

Dennoch ließ sich fragen: Wenn nicht alle errettet wurden, wie stand es dann um die Erlösung einiger Heiden, zumindest derjenigen, die ein besonders tugendhaftes Leben geführt hatten? Die Tradition, dass tugendhafte Heiden durch Christi Abstieg in das Reich des Todes errettet worden waren, blieb in der mittelalterlichen Theologie lebendig, auch wenn sie nur von einer Minderheit vertreten wurde. So erzählt zum Beispiel im späten siebten Jahrhundert Anastasios von Sinai von einer Tradition, dass ein Gelehrter, der Platon herabgewürdigt hatte, von ihm in einem Traum besucht wurde. Platon forderte ihn auf, mit der Verunglimpfung seiner Person aufzuhören, denn „dass ich ein sündiger Mensch gewesen bin, bestreite ich nicht, aber als Christus in das Reich des Todes hinabstieg, glaubte niemand eher an ihn als ich“.111 Mit dem zunehmenden Interesse an den klassischen Traditionen im zwölften Jahrhundert und der erneuten Auseinandersetzung der christlichen Theologie mit den Traditionen der griechischen Philosophie kehrte die Frage der Erlösung der tugendhaften Heiden auf die theologische Tagesordnung zurück. Dies war insbesondere das Ergebnis der von Peter Abelard eingeleiteten Diskussion.

Im frühen zwölften Jahrhundert fasste Peter Abelard in seinem Werk Sic et non (Ja und Nein) den allgemein akzeptierten Stand der Diskussion zu einer Reihe von Fragen zusammen, die mit dem Schicksal der vorchristlichen Gerechten zu tun hatten. In einem Kapitel diskutierte er die Frage der Erlösung Adams. Er fand keinerlei Quellen, die die Erlösung des ersten Menschen bestritten. Bezüglich der Frage, ob Christus bei seinem Abstieg in die Hölle alle Seelen befreit hatte, die er dort vorfand, zitierte er ein Werk von Origenes, der sich dahingehend äußerte, dass Christus alle befreit habe. Und er fügte diesem Zitat eine ähnliche Behauptung aus einem Kommentar des vierten Jahrhunderts zu Paulus» Römerbrief hinzu, den er Ambrosius (ca. 339–97) zuschrieb: „Menschen haben wahrhaftig gesündigt, Juden so viel wie Griechen, aus welchem Grund der Tod Christi ein Gewinn für alle war; und dass er zu diesem Zeitpunkt, dies muss geglaubt und beachtet werden, alle lehrte und alle aus der Hölle befreite [et de inferno eripuit].“112 Dennoch stellte Abelard fest, dass eine große Mehrheit der Autoritäten der Auffassung, dass Christus alle aus dem Reich des Todes befreit habe, widersprach und stattdessen die Ansicht vertrat, dass Christus nur diejenigen errettet habe, die gehofft und geglaubt hatten, er werde kommen, um die Erlösung zu bringen.

Abelard war jedoch nicht bereit, es damit auf sich beruhen zu lassen. Er hatte keinen Zweifel daran, dass die tugendhaften Heiden erlöst worden waren. So behauptete er zum Beispiel in seiner Theologia Christiana (Christliche Theologie), dass die tugendhaften Heiden, und insbesondere Platon und seine Nachfolger in der Schule des Neuplatonismus im dritten Jahrhundert, die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes allein durch den Gebrauch der natürlichen Vernunft erreicht hatten.113 Für Bernhard von Clairvaux (1090–1153) ging dies einen Schritt zu weit. Für ihn beruhte das Wissen um die Trinität auf der Offenbarung und nicht der Vernunft. Er wirkte darauf hin, dass Abelards Ansichten auf dem Konzil von Sens im Jahre 1141 verworfen wurden.

Wie dem auch sei: Thomas von Aquin stimmte Bernhard seinerseits gegen Abelard darin zu, dass die Lehre von der Trinität eine Sache der Offenbarung und nicht der Vernunft sei. Doch wie Abelard lag ihm das Schicksal der tugendhaften Heiden am Herzen. An Christi Abstieg in das Reich des Todes hatte er keine Zweifel. In seinem Compendium theologiae (Leitfaden der Theologie) erklärte er, dass – ebenso wie Christi Leib in der Erde begraben worden sei – „auch seine Seele in die Hölle hinabgefahren ist“, allerdings nicht, um dort Strafen zu erdulden. Christus sei in die Hölle hinabgestiegen, um diejenigen von Strafen zu befreien, die dort wegen Adam, „unserem ersten Vater“, festgehalten wurden. Dies bedeutete, dass er nur diejenigen befreite, auf die sich die Erbsünde übertragen hatte. Diejenigen, „die aufgrund ihrer eigenen Sünden Strafen erdulden mussten“, ließ er dort zurück.114

In seiner früher verfassten Summa theologiae (Summe der Theologie) ist klar formuliert, dass diejenigen, die errettet und diejenigen, die zurückgelassen wurden, sich in unterschiedlichen Bereichen der Hölle befanden. Nach Thomas von Aquin ruhten die Heiligen in Abrahams Schoß, wo sie keinerlei Strafen erlitten, bevor Christus erschien. Dennoch gab es dort keine vollständige Ruhe, da die Ruhe derer, die sich dort befanden, unvollkommen war, da sie Gott nicht gesehen hatten. In diesem Sinne konnte der Ort als Hölle bezeichnet werden.115 Vor dem Erscheinen Christi war Abrahams Schoß auch die Vorhölle der Väter. Er war vom unteren Teil der Hölle nicht nur dadurch unterschieden, dass es nur ein vorübergehender und kein ewiger Bestimmungsort war, sondern auch dadurch, dass es kein Ort körperlicher Strafen war:

Denn diejenigen, die sich in der Hölle befinden, empfangen verschiedene Strafen gemäß der Verschiedenheit ihrer Schuld, so dass die Verurteilten je nach der Schwere der Sünden, die sie begangen haben, in dunklere und tiefere Bereiche der Hölle verbannt werden, und den heiligen Vätern, die die am wenigsten schweren Sünden begangen hatten, folglich ein höherer und weniger dunkler Bereich zugewiesen wurde als denjenigen, die zur Strafe verurteilt waren.116

Nach der Ankunft Christi wurde die Ruhe der Heiligen durch ihre Schau Gottes vervollständigt. Dieser Ort der Ruhe wird immer noch Abrahams Schoß genannt, erklärte Thomas von Aquin, obwohl er nicht mehr als Teil der Hölle oder als Vorhölle der Väter angesehen werden konnte. Während die getrennte Vorhölle der Kinder nach dem Tod Christi als Ruhestätte für diejenigen erhalten blieb, die ohne Taufe in der Erbsünde gestorben waren, wurde die Vorhölle der Väter von Christus leer gemacht, als er dorthin hinabgestiegen war. Doch wer genau war nach Thomas’ Ansicht in der Vorhölle der Väter und wartete auf die Erlösung, die von Christus angeboten wurde? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns Thomas’ Schrift De veritate (Von der Wahrheit) und seiner Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Glauben zuwenden.

Nach Thomas müssen die Gläubigen jedes Zeitalters glauben, dass Gott existiert und dass er seine Vorsehung über die menschlichen Angelegenheiten walten lässt. Doch waren nicht alle verpflichtet, in jedem Zeitalter alles explizit zu glauben, sondern nur diejenigen, die zu Lehrern in solchen Fragen berufen waren. Selbst die Lehrer waren nicht verpflichtet, in jedem Zeitalter alles explizit zu glauben, denn es gab in der Menschheit einen allmählichen Fortschritt im Glauben. Seit der Menschwerdung Christi waren die Führer im Glauben verpflichtet, sämtliche Dinge des Glaubens explizit zu glauben. Bevor die Sünde in die Welt gekommen war, war es jedoch nicht notwendig, an einen Erlöser zu glauben, der noch kommen sollte, da es zum damaligen Zeitpunkt noch keine Notwendigkeit für eine solche Gestalt gab. Vor und nach dem Sündenfall war es erforderlich, dass die Führer im Glauben einen expliziten Glauben an die Dreieinigkeit besaßen. Die gewöhnlichen Menschen unter den Juden benötigten jedoch nur einen impliziten Glauben, der entweder in ihrem Glauben an die Patriarchen und Propheten enthalten war oder in ihrem Glauben an die göttliche Vorsehung. Während die Heldengestalten des Alten Testaments zu den Lehrern zählten, gab es keine derartigen Lehrer unter den tugendhaften Heiden. Folglich zählten die Heiden nur als gewöhnliche Menschen. Daher war es, erklärte Thomas, „für sie ausreichend, einen impliziten Glauben an den Erlöser zu haben“.117 Dennoch gab es vielleicht Fälle von explizitem Glauben, denn, fuhr er fort, „es ist wahrscheinlich, dass das Geheimnis unserer Erlösung vielen Heiden vor der Ankunft Christi offenbart wurde.“118 Für Thomas war nach dieser Interpretation Abrahams Schoß vor der Menschwerdung Christi alles andere als leer, da sich sowohl Juden als auch Heiden dort befanden, und zu den letzteren gehörten die gelehrten Griechen und die tugendhaften Heiden.

Anders als Dante, für den die Väter und die ungetauften Kinder sich eine Vorhölle teilten, setzte Thomas von Aquin das Fegefeuer zwischen die Vorhölle der Väter, die sich darüber befand, und die Vorhölle der Kinder unter dem Fegefeuer. Trotz ihrer Tugenden ließ Dante die tugendhaften Heiden der Vorhölle nicht entkommen. Ihnen fehlte das, was Thomas als expliziten Glauben bezeichnet hätte. Wie Vergil feststellte: „Ich bin Virgil. – Des Himmels Eingang wehrt mir Glaubensmangel nur, nicht andre Sünde“.119 Im Gegensatz dazu war die Vorhölle für Thomas von Aquin leer. Der implizite Glaube der dort Gefangengehaltenen war für ihre Erlösung ausreichend, als Christus zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung in diesen Bereich der Hölle hinabstieg.

Folglich gab es zur Zeit Thomas von Aquins, mit Ausnahme von Dante, eine allgemeine Übereinstimmung bezüglich des Schicksals derjenigen, die vor Christus gelebt hatten. Sie bestand darin, dass allen von ihnen die Vorhölle der Väter zugewiesen und dass dieser unterirdische Ort leer gemacht worden war. Der Grund hierfür war, dass entweder alle, die sich dort befanden – als Folge von Christi Abstieg in die Hölle –, gerettet worden waren oder dass einige von ihnen gerettet worden waren, die übrigen aber die Vorhölle verlassen hatten und in den noch tiefer liegenden Bereich bzw. die noch tiefer liegenden Bereiche der Hölle abgestiegen waren. In beiden Fällen gab es eine allgemeine Übereinstimmung darin, dass Adam und die Gerechten des Alten Testaments gerettet worden waren.

Bezüglich des Schicksals der tugendhaften Heiden bestand allerdings wesentlich weniger Klarheit. Alle waren sich darin einig, dass sie aufgrund ihrer tugendhaften Werke der Erlösung mehr als würdig waren. Doch reichten gute Werke aus, oder war der Glaube an Jesus Christus zur Erlösung notwendig? Und wenn der Glaube zur Erlösung notwendig war, reichte – statt eines expliziten Glaubens – ein impliziter Glaube dafür aus? In dieser Frage blieben die Meinungen geteilt. Schließlich wurden daraus Fragen, die im 16. Jahrhundert für die protestantische Reformation zentrale Bedeutung erlangten. Zu dieser Zeit hatte sich die ursprüngliche Frage so weiterentwickelt, dass in ihrem Zentrum nun nicht mehr das Schicksal derjenigen stand, die ohne Taufe oder vor Christus gestorben waren, sondern das Schicksal derer, die seither – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche – gelebt hatten, sowie der Grund, dem sie ihre Erlösung verdankten: dem Glauben oder den Werken. Zwischenzeitlich wurde parallel zu der Frage, welche Personen erlöst und welche verdammt werden, die Frage erörtert, welche Teile dieser Personen gerettet oder verdammt werden – ihre Körper, ihre Seelen, ihre Körper und Seelen oder weder ihre Körper noch ihre Seelen?

Jenseits

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