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1.1.1.3Umgang mit kulturellen Ansprüchen

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Jugendliche sind in ihrer Entwicklung nicht nur mit Veränderungen in Bezug auf ihren Körper bzw. ihre sozialen Beziehungen konfrontiert. Sie müssen sich auch mit sehr konkreten Aufgaben auseinandersetzen, die die Gesellschaft vermehrt an sie heranträgt. Diese erwartet von ihnen, dass sie einen Schulabschluss machen, der sie dazu befähigt, eine Lehrstelle anzutreten oder zu studieren, um später einen Beruf zu ergreifen und ihre Existenz selbstständig zu bestreiten. Sie sollen sich so weit allgemein-bilden, dass sie sich in einer immer unübersichtlicheren Welt zurechtfinden und diese in Verantwortung für sich und für das Gemeinwohl mitgestalten. Die Entwicklungsaufgabe, die es zu bewältigen gilt, zielt auf einen selbstbewussten und eigenständigen Umgang mit Leistung, Ethik und Kultur.

Umgang mit Schule und Umbau der Leistungsbereitschaft: Jeder Schüler kennt das Sprichwort: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ In den höheren Klassen nimmt diese Volksweisheit immer plastischere Züge an, wenn dem Heranwachsenden bewusst wird, dass er sich mit seinen schulischen Leistungen und mit zu erwerbenden Fähigkeiten auf seinen Ausbildungs- und Berufsweg vorbereitet oder sich diesen eben verbaut. Dass schulische Ziele sich allerdings darin nicht erschöpfen, zeigt das Seneca-Zitat im Original: „Non vitae, sed scholae discimus.“ Vielleicht liegt in diesem Widerspruch ein kleines Körnchen dialektischer Wahrheit, dass Schule nicht allein eine Vorbereitungszeit auf das „Eigentliche“ ist, sondern zugleich ein Lernort, der einen Wert an sich hat und der Gelerntes nicht nur einübt, sondern auch ausübt und anwendet.

Zu den internen Rahmenbedingungen beim Umgang mit Schule und dem Umbau der Leistungsbereitschaft gehört neben den kognitiven Leistungskapazitäten eine Bedürfnisdynamik allgemein-menschlichen Handelns, die auch für das Lernen gilt: Der junge Mensch will lernen, will etwas können und Leistung erbringen, er strebt danach, immer selbstständiger und kompetenter zu werden. Kontextuell eingebettet ist die Entwicklungsaufgabe darin, dass Schule zu der Lebenswelt der Jugendphase geworden ist, in der Jugendliche nicht nur sehr viel Zeit verbringen und im Wesentlichen ihr Beziehungsnetz aufbauen, sondern in der sie lernen, diszipliniert zu arbeiten, sich Fähigkeiten anzueignen, Potentiale auszuschöpfen und Leistung zu erbringen, sich mit anderen zu vergleichen, bewertet zu werden und nicht zuletzt miteinander zu konkurrieren. Am Ende steht Schule also nicht nur im Kontext von Möglichkeiten und Einschränkungen produktiver Entwicklung, sondern vielmehr unter dem Druck der Selektion hinsichtlich des zukünftigen beruflichen Anspruchsniveaus.

Dennoch, auch der Schule ist ein Heranwachsender nicht wehrlos ausgeliefert, sondern er hat Möglichkeiten, die eigenen Lernprozesse aktiv zu beeinflussen und zu gestalten. Er steht vor der Aufgabe, schulische Lernangebote zunehmend selbstständiger, engagierter und effektiver zu nutzen. Selbstbestimmtes Lernen muss internalisiert werden; dazu bedarf es der Disziplin und der Fähigkeit, das eigene Potential zu reflektieren. Das Modell selbstregulierten Lernens zeigt, dass Lernverhalten bzw. schulische Aufgabenbewältigung von drei Faktoren abhängen: von Motivationen15, Attribuierungen16 und Lernstrategien17 der Schüler. Indem diese Faktoren zusammenspielen, berühren sie das Motivationssystem der sozialen und der individuellen Motivation. Entwicklungspsychologisch signifikant ist eine Wandlung der motivationalen Strukturen bei Heranwachsenden: Bis Klasse 5/6 kann man feststellen, dass Kinder allgemein Freude an Aktivität und am Lernen haben und ein Bedürfnis, dadurch auch sozial akzeptiert zu werden. Ab Klasse 6/7 verändern sich parallel zum Umbau der sozialen Beziehungen und zur Verringerung von Außenlenkungen auch die Einstellungen gegenüber schulischen Erwartungen und hinsichtlich der Lernorientierung.18 In dem Maße, wie Schüler eigenständiger werden (sollen), werden sie auch (selbst-)kritischer, wählerischer, differenzierter in ihren Interessen (in Bezug auf Lerninhalte sowie auf Lehrpersonen) und gegenüber allem Schulischen distanzierter. Diesen Umbauprozess müssen Heranwachsende als Entwicklungsaufgabe der Jugendphase annehmen und aktiv gestalten, indem sie sich zunehmend eigenverantwortlicher zeigen und sich selber regulieren, sich mit der Schule nicht mehr total identifizieren, Leistungsrückmeldungen ins eigene Selbst integrieren, schulischen (Miss-)Erfolg mit Selbstakzeptanz und Integrität zusammenbringen; indem sie weiterhin persönlichen Leistungseinsatz mit sozialen Haltungen in Einklang bringen, ihr konturierter werdendes Selbstbild zu einer Zielperspektive hin entwickeln, Interessenschwerpunkte setzen (mit Blick auf Berufsentscheidungen) sowie schulische Erfahrungen mit persönlicher Sinnorientierung verknüpfen.

Damit Jugendliche die Entwicklungsaufgabe Umgang mit Schule und Umbau der Leistungsbereitschaft positiv bewältigen können, ist es für die Stabilisierung der Anstrengungsbereitschaft pädagogisch hilfreich, wenn zwischen ihnen und ihren Eltern ein positives Verhältnis besteht, ihre Leistung reflektiert wertgeschätzt wird, in der Altersgruppe schulfreundliche Normen den Ton angeben, Lehrer ein hohes Schulengagement an den Tag legen und Schüler regelmäßig faktische Lernerfolge erzielen. Umgekehrt sind es am ehesten interpersonale Erwartungen und Haltungen, die den Aufbau eines positiven Selbstbildes der Leistungsfähigkeit und Begabungen beeinträchtigen können; wenn z. B. die Leistungsansprüche in einer Schule überhöht sind, die Lehrerschaft sich vorwiegend kühl-distanzierend verhält und Eltern mit den Leistungen ihrer Kinder permanent unzufrieden sind.19 Schließlich bleibt wiederholt anzumerken, dass es in der Schule nicht nur um Leistungen des Einzelnen geht, sondern auch um komplexe Interaktionen einer Schulklasse, die je nach ihrer Normstruktur Schulerfolge sozial entweder achten oder ächten kann. Genau aus diesem Grund müssen Jugendliche sich darum bemühen, das Verhältnis von Erwartungen der Mitschüler und Erwartungen der Schule immer wieder auszubalancieren.

Berufswahl: „Arbeite und lerne und du kannst gar nicht verhindern, dass du etwas wirst.“ Diese vielleicht etwas zu optimistische, jedoch weit verbreitete Einschätzung zeigt, wie eng Schule und Lernen mit Beruf und Arbeiten zusammenhängen. Insofern sich Heranwachsende in der Schule mit ihren Interessen und ihren Leistungen auseinandersetzen, bereiten sie sich auf eine individuelle Berufsentscheidung vor. Dabei besteht ein unübersehbarer Zusammenhang zwischen der besuchten Schulart bzw. dem erreichten Schulabschluss und dem Niveau zukünftiger Ausbildungs- und Berufswege. Obwohl moderne Gesellschaften jedem Individuum die freie Berufswahl zugestehen, finden sich auf dem Weg dazu nach wie vor viele erschwerende Zugangsbeschränkungen: Zum einen sind es die Weichenstellungen nach Klasse 4/6 bzw. 9/10, die in gewissem Maße Vorentscheidungen treffen, „was aus einem mal wird“, zum anderen spielt die Herkunftsfamilie bei der Berufswahl eine maßgebliche Rolle.

Die interne Entwicklung von Berufswünschen ist altersabhängig und wird gegen Ende der Schulzeit virulent. Welcher Art die Berufswünsche sind, ist dazu schularten- und noch mehr geschlechtsabhängig. Gegen Ende der Adoleszenz sind Jugendliche damit konfrontiert, ihren Berufswunsch in eine Berufsentscheidung zu transformieren und aktiv an der Umsetzung zu arbeiten. Dies geschieht idealtypisch in mehreren Schleifen: Abtasten von Präferenzen, Abschätzen persönlicher Ressourcen und Prüfen von Chancen und Angeboten. Hilfreich sind dabei ko-konstruktive Prozesse, also die Einbeziehung von Eltern, Freunden, Lehrern oder Berufsberatern. Indem Jugendliche diese Entwicklungsaufgabe zunehmend bewältigen, bahnen sie eine berufsbezogene Identitätsarbeit an, die sie noch länger begleiten wird.

Neben Politik und Wirtschaft, die die nötigen Rahmenbedingungen für deutlich mehr Lehrstellen und Arbeitsplätze schaffen müssen, sind Eltern, Lehrer, Berufsberater und die Arbeitsagentur gefordert, Heranwachsende auf vielerlei Weise zu unterstützen, mit ihnen entsprechende Ausbildungswege einzuschlagen bzw. sie in den Arbeitsprozess zu integrieren, ohne sie davon zu entbinden, bei der Suche und Umsetzung selbstverantwortlich zu bleiben und Eigeninitiative zu zeigen. Gute Ansätze dazu liefern z. B. berufsorientierende Schulpraktika sowie Informationsveranstaltungen bzw. persönliche Beratungen in Berufsinformationszentren.

Bildung: „Sich mitzuteilen ist Natur; Mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung“ (s. GOETHE, Die Wahlverwandtschaften). In dieser Aussage kann man eine Entwicklung erkennen, die ihren Ausgang darin nimmt, die eigenen Erfahrungen und Anschauungen unmittelbar zu kommunizieren, wie es Jugendliche unter Ihresgleichen gerne tun, indem sie sich etwa per iPhone und über facebook ständig mitteilen, wo sie gerade sind, was sie tun, wer bei ihnen ist, wie es ihnen geht und wie sie sich fühlen. „Von der Natur zur Kultur“, so definiert GOETHE das Ziel menschlicher Entwicklung; der Mensch soll zur Kulturfähigkeit heranwachsen, indem er lernt, reflektierte und tradierte Erfahrungen aufzunehmen. Dabei ist Bildung mehr als Faktenwissen und mehr als Kommunikation. Sie geschieht vielmehr in einem Vermittlungs-/Aneignungs-/Verarbeitungs- und Artikulationsprozess und gipfelt in der allgemeinen Urteilskraft eines Menschen. Sie ist die Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und Ersteres ernst zu nehmen. Erst dies hilft dem Heranwachsenden, sich in dieser Welt zurechtzufinden, sie zu interpretieren und sie letztlich selber mitzugestalten.

Als Kontext von Bildungsprozessen gilt für Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch ein „Kanon kultureller Traditionen des Abendlandes“, wobei heftig gestritten wird, was Letzteres eigentlich ausmacht. Wichtige Linien kann man von jüdisch-christlichen Wurzeln über den Humanismus und die Aufklärung bis hin zur Postmoderne ziehen, zu deren Kennzeichen gehört, dass sie sich vor allem an der Vernunft orientieren und daran, dass ein friedliches Zusammenleben auf Toleranz und Konsens angewiesen ist. Die Auseinandersetzung mit Werken, Einsichten und Theorien, die daraus hervorgegangen sind, ermöglicht Jugendlichen, persönliche Daseinserfahrungen und individuelle Sinnsuche auch stellvertretend zu erleben. Obwohl die abendländische Kultur im europäischen Kontext der Bildungsvermittlung nach wie vor den Referenzpunkt darstellt, sind Heranwachsende heutzutage auch auf interkulturelles bzw. multikulturelles Lernen angewiesen, um sich in der weiten Welt bzw. im „global village“ zurechtzufinden.

Kulturvermittlung geschieht in einem ko-konstruktiven Prozess: Jugendliche stehen vor der Aufgabe, sich durch Impulse von außen bilden zu lassen, indem sie mittels Traditionen gegenwärtige Strömungen zu interpretieren und einzuordnen lernen, um so zu zukunftsfähigen und nachhaltigen Lösungen bzw. verantwortlichem Verhalten zu gelangen. Zugleich müssen sie sich Bildung persönlich aneignen, indem sie die Bildungsinhalte und -methoden mit sich selber in Bezug setzen, denn Bildung „meint die Gewinnung des Selbstbezugs durch Weltbezug; die Bewährung des Subjektiven durch Sich-Abarbeiten am Objektiven“ (FROST 1994, 452).

Zur Entwicklungsaufgabe Umgang mit Bildung gehört neben der politischen auch die religiöse Bildung. Bei der Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens stößt der Heranwachsende an die Grenzen menschlichen Denkens. Fragen nach den ersten und letzten Dingen werden von Jugendlichen unterschiedlich beantwortet und interpretiert: religiös, besonders wenn die Eltern ihre religiöse Überzeugung glaubwürdig vermitteln, theistisch bzw. „säkular-religiös“, indem die Existenz einer höheren Macht angenommen wird. Die meisten Jugendlichen sind allerdings von rein innerweltlichen Erklärungen überzeugt und beantworten existentielle Fragen ausschließlich immanent. Das Fundament der politischen Orientierung bildet in der westlichen Gesellschaft ein Konsens hinsichtlich demokratischer Strukturen, die dazu beitragen, das gesellschaftliche Miteinander zu ermöglichen, es zu erhalten und weiterzuentwickeln. Obwohl der Konsens im Großen und Ganzen nach wie vor besteht, wird auch von Jugendlichen bemerkt, dass dieser mehrfach gefährdet ist; die vielfach vorhandene Interesselosigkeit an Politik und der Rückzug ins Private tragen dazu genauso bei wie Arbeitslosigkeit und soziale Ungerechtigkeit sowie Umweltbelastungen, Fundamentalismus, Kriminalität, Terrorismus und die Angst vor Kriegen. Dazu kommt, dass das weite Thema Sicherheit sowie das Gefühl der Ohnmacht angesichts globaler Finanzkrisen in den letzten Jahren überproportional an Bedeutung gewonnen hat.

Wer den Menschen als „zoon politikon“ bezeichnet, begreift den mündigen Bürger nicht als reines „Naturprodukt“; lange Lernprozesse ergänzen die Natur. Selbstständige Meinungsbildung geschieht dabei nicht im luftleeren Raum, sondern stets im sozialgeschichtlichen Kontext des politischen Systems, in dem einer aufwächst. Sie ist beeinflusst von politischen Bildungsanstrengungen des Elternhauses, von der Schule und den Parteien. Dennoch kann man auch von inneren Rahmenbedingungen der politischen Bildung in der Phase der Adoleszenz sprechen, wenn man einige Strukturmerkmale jugendlichen Denkens in Bezug auf die Politik beachtet: Jugendliche tendieren zu idealistischen, utopischen und radikalen Einstellungen, zeigen Widerwillen vor Vereinnahmung und neigen zu Selbstbezogenheit anstelle von Dienstbarkeit. Dazu kommt, dass sie im Rahmen ihrer kognitiven Reifung erstmals systematisch in Möglichkeitsräumen denken, dass sie abstrahieren und Hypothesen bilden können. Und schließlich fangen sie nicht bei null an, sondern sind zumeist von zu Hause her durch politische Präferenzen emotional geprägt.

Zur Entwicklungsaufgabe der politischen Bildung gehört, dass der Heranwachsende mündig wird, indem er demokratische Normen (besonders das Grundgesetz) kennenlernt und die Grundwerte unserer Verfassung (Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit) akzeptiert. Er soll zunehmend über die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland Bescheid wissen und sich ein eigenes politisches Urteilsvermögen aneignen, um selber politisch handlungsfähig zu werden und für demokratische Werte sowie eine Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse aktiv eintreten zu können. Ein geeignetes Übungsfeld dafür stellen neben Formen sozialen Engagements schulische Mitbestimmungsprozesse und außerschulische Beteiligungsformen dar, in denen Jugendliche lernen, wie mühsam sich Zusammenleben zuweilen gestaltet, welchen Einsatz es braucht, um Schwierigkeiten zu überwinden, und wie wichtig es ist, faire Kompromisse zu schließen. Als Letztes geht es bei der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe darum, nicht in Extreme abzugleiten, indem Jugendliche politischen Fragen und Anforderungen ganz aus dem Weg gehen („Null-Bock-Mentalität“ und Desinteresse) oder indem sie sich radikalisieren und zu Gewaltbereitschaft neigen (Rechtsradikalismus, Linksextremismus und Ausländerfeindlichkeit), sondern den Willen aufzubringen, Politik konstruktiv und gesellschaftsfördernd mitzugestalten.

Auf dem Weg zum mündigen Bürger müssen Heranwachsende unterstützt werden. Nicht allein den Familien, den Medien oder der Politik fällt die Aufgabe zu, die grundlegenden Infrastrukturen unserer Zivilgesellschaft zu sichern. Auch Schule und Jugendarbeit können einen je eigenen Beitrag dazu leisten, indem sie Wissen vermitteln und Haltungen einüben. Noch wichtiger scheint allerdings die Erfahrung Jugendlicher, dass sie in unserer Gesellschaft gebraucht und in ihr aufgenommen werden, dass sie dort einen Platz finden und diesen mitgestalten können.

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