Читать книгу Ignatianische Schulpastoral - Philipp Görtz - Страница 17
1.2.2Religiöse Entwicklungskontexte
ОглавлениеIn den letzten Jahren waren es insbesondere exogene Erklärungen, die versuchten, die religiöse Entwicklung des Menschen soziologisch einzuholen. Ausgehend von der sozial-kognitiven Lerntheorie Albert BANDURAS, deren Grundthese lautet, dass der Mensch lernt, indem er das Verhalten anderer beobachtet, dieses kognitiv verarbeitet und schließlich in sein Handlungskonzept einbaut, erkannte man, dass Modell- bzw. Beobachtungslernen mit zunehmendem Alter nicht einfach durch „trial and error“ geschieht, sondern durch Beobachtungseindrücke und Nachahmungshandlungen, die wiederum eingebettet sind in kognitive und verbale Verarbeitungsprozesse. Lernen – so die zentrale Erkenntnis – geschieht immer in einem sozialen Kontext. Das bedeutet, auch individuelles Lernen stellt einen Sozialisationsprozess dar, weswegen es im Bereich religiöser Bildung von grundlegender Bedeutung ist, die sozial-religiösen Bedingungen (etwa Lernorte der Glaubensvermittlung, aber auch materielle, geschichtliche und kulturelle Kontexte religiöser Erziehung) in Betracht zu ziehen. Bernhard GROM geht davon aus, dass Glauben-Lernen nachhaltig nur gelingt, wenn religiöse Fremdsozialisation eine entwicklungsfördernde Selbstsozialisation anregt und beide sich wechselseitig bedingen. Fremdsozialisation geschieht durch Lernen am Modell, durch Unterweisung sowie durch Fremdverstärkung und soziale Bestätigung. Aufgabe jeder Form von Fremdsozialisation muss es sein, die Selbstsozialisation Jugendlicher anzuregen, wodurch Glaubenswissen, Glaubenspraxis und eine Gottesbeziehung fester verankert und tiefer verwurzelt werden. Selbstsozialisation geschieht, wenn Heranwachsende durch Einsicht lernen, durch Selbstverstärkung und nicht zuletzt dadurch, dass sie sich selber als Handelnde erfahren.
Soziologische Studien zur Jugendreligiosität analysieren das Wertesystem Jugendlicher und stellen fest, dass dieses in den letzten Jahren recht stabil geblieben ist. Jugendliche orientieren sich wieder vermehrt an „traditionellen“ Werten, vereinbaren dieses Streben aber zugleich mit einer Orientierung an „modernen“ Selbstentfaltungswerten – der Gottesglaube als Wertorientierung spielt bei der Lebensgestaltung Jugendlicher eine untergeordnete Rolle. Obwohl das Wertesystem Jugendlicher heutzutage vorrangig säkular ausgerichtet ist und Glaube sich weniger in Glaubensüberzeugungen oder einer religiösen Praxis als vielmehr in einem Glauben an Werte und Ideale und an sich selbst ausdrückt, gibt es dennoch Berührungspunkte und Verknüpfungen mit expliziter Religiosität. Kirchennah gläubige Jugendliche vertreten häufig soziale Werte, sind familien- und traditionsorientierter sowie eher bereit, sich freiwillig bzw. ehrenamtlich zu engagieren. Jugendliche, die sich zum Glauben an einen persönlichen Gott bekennen, heben sich mit ihrem Wertesystem durch ein charakteristisches Profil deutlich aus der breiten Masse der heutigen Jugend heraus.
Die in den vergangenen Jahren häufig zitierte Sinus-Milieu-Studie beschäftigt sich mit der Frage, wie Kirche mit ihrer Botschaft die unterschiedlichen Milieus in unserer zunehmend segmentierten Gesellschaft erreichen kann. Obwohl Kirche einen hundertprozentigen Bekanntheitsgrad hat, haftet ihr ein negatives Image an, das sich mit konservativ, nicht mehr zeitgemäß, rigide und fern von den Bedürfnissen der Menschen charakterisieren lässt. Entsprechend rückläufig ist die Akzeptanz selbst in denjenigen Milieus, in denen Kirche noch stark vertreten ist und zu denen sie einigermaßen Zugang hat. Versteht man die verschiedenen Milieus als Kontexte religiöser Entwicklung für Kinder und Jugendliche, so ist Zweierlei zu beachten: 1. Kinder wachsen in einem bestimmten Elternhaus auf, werden also von einem speziellen elterlichen Milieu geprägt und diesem zugeordnet. Es ist offensichtlich, dass einige Milieus mehr Wert auf eine bewusste Glaubensweitergabe legen als andere und dass der Glaube in gewissen Milieus selbstverständlicher gelebt wird sowie gegenüber Kirche ein zugewandteres Verhältnis besteht als bei anderen. Trotzdem lässt sich daraus nicht schließen, dass hier automatisch die Reproduktion einer positiven Einstellung zur Religion geschieht. 2. Die „Milieustudie U27“ spricht bei Jugendlichen auf vorsichtige Weise von „Milieuorientierung“ mit einer gewissen Milieulogik (wie man sich etwa gegenüber Glaube, Religion und Kirche positioniert). Katholische Schul- und Jugendpastoral gelingt es immerhin, mit bestimmten Angeboten einen Zugang zu einem Teil der traditionellen, bürgerlichen, postmateriellen und experimentalistischen Jugendlichen sowie zu den sogenannten Performer-Jugendlichen zu erschließen. In Zukunft wird es darauf ankommen, die Kommunikation mit den unterschiedlichen Milieus zu fördern, was voraussetzt, die jeweiligen Bedürfnisse genau zu kennen.