Читать книгу Ignatianische Schulpastoral - Philipp Görtz - Страница 16

1.2.1Religiöse Entwicklung der Person

Оглавление

Endogene Erklärungen gehen davon aus, dass auch die religiöse Entwicklung des Menschen in erheblichem Umfang Teil eines immanenten Planes ist und idealtypischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen.

Der Theologe und Entwicklungspsychologe James FOWLER entwirft eine ganzheitliche Theorie von sechs aufeinander aufbauenden Stufen des Glaubens. Eine Vorstufe bildet demnach der undifferenzierte Glaube von Kleinkindern, die in einer wechselseitigen Beziehung zu ihren Eltern stehen; auf dieser Vorstufe entwickeln sich im Menschen das Urvertrauen sowie Formen von Selbstständigkeit, Hoffnung und Mut. Im Vorschulalter produziert die Vorstellungskraft des Kindes in einer ersten Selbst-Bewusstheit eine langlebige Bilder- und Gefühlswelt, weswegen man in diesem Alter von einem intuitiv-projektiven Glauben spricht. Grundschulkinder werden durch ihr konkret-operationales Denken dazu befähigt, eigene Erfahrungen narrativ auszudrücken sowie Geschichten und Glaubensinhalte zu übernehmen; dadurch zeigen sie an, dass sie einer bestimmten Gemeinschaft zugehören. Weil Geschichten und Symbole in diesem Alter eindimensional verstanden und wörtlich interpretiert werden, Handlungsträger anthropomorph sind und die Welt wahrgenommen wird als eine, die allein auf Reziprozität beruht, bezeichnet man diese Stufe als mythisch-wörtlichen Glauben. Ab der Pubertät ist es das einsetzende formal-operative Denken, das den Jugendlichen implizite Widersprüche in den „stories“ entdecken lässt und das ihm ermöglicht, durch wechselseitige Perspektivenübernahme neue Formen von Zwischenmenschlichkeit einzugehen. Da unterschiedliche Werte und Informationen meist in einem konformistischen Rückgriff auf anerkannte Autoritäten zu einer Weltanschauung synthetisiert werden, ist hier die Rede vom synthetisch-konventionellen Glauben. Ab etwa 20 Jahren führen Konflikte mit bedeutenden Autoritäten, die Erfahrung der Relativität von Glaubensinhalten, der Abschied vom Elternhaus und das nun voll entfaltete formal-operationale Denken häufig zu Spannungen, die der Heranwachsende mit Hilfe seiner kritischen Vernunft zu lösen versucht, was sich in Bezug auf den Glauben meist entmythologisierend auswirkt; wird diese Stufe erreicht, so kann man vom individuierend-reflektierenden Glauben sprechen. Erst viel später – wenn überhaupt – drängt die Einsicht in die Komplexität des Lebens Menschen zur dialektischen Auseinandersetzung mit den zentralen Lebenswahrheiten und Fragen nach den letzten Dingen, mit den eigenen Überzeugungen und den Positionen anderer, wobei die Relationierung unterschiedlicher Traditionen dazu beiträgt, Gegensätze zu vereinen und einen verbindenden Glauben zu entwickeln. Obwohl empirisch nicht überprüfbar, können Menschen in seltenen Fällen zu einem universalisierenden Glauben finden, indem sie nach einer alles umfassenden Gemeinschaft streben. Solche Menschen sind bereit zu einem radikalen Einsatz für Gerechtigkeit und Liebe und setzen sich selbstlos und leidenschaftlich für eine Welt ein, die in göttlicher und transzendenter Absicht zu verwandeln ist. Obwohl diese Stufentheorie auch ihre Schwächen hat, kann sie helfen, allgemeine Aspekte der Glaubensentwicklung zu verstehen und Prozesse, in denen diese mit der Persönlichkeitsentwicklung einhergeht, in der Seelsorgepraxis zu begleiten und zu fördern.

Der Erziehungswissenschaftler Fritz OSER sowie der Philosoph und Theologe Paul GMÜNDER knüpfen an strukturgenetische Stufentheorien an und erweitern diese um eine Theorie des religiösen Urteils. Ihren Untersuchungsgegenstand, die Religiosität als Beziehung des Menschen zu einem Letztgültigen bzw. zu Gott, verstehen sie als eigenständige Dimension menschlichen Denkens und Handelns, die zwar eine gewisse Denkentwicklung und Sozialisation voraussetzt, sich jedoch nicht weiter reduzieren lässt, sondern Ausdruck einer anthropologisch verankerten religiösen Mutter-Struktur ist. Auf einer vorsprachlichen Stufe nehmen Kleinkinder eine „vorreligiöse Haltung“ ein und können lediglich unterscheiden, dass sie selber etwas tun oder von außen beeinflusst werden (Innen-Außen-Dichotomie). Vorschulkindern hingegen gelingt es, ein handelndes Letztgültiges von anderen Außenkräften zu unterscheiden. Gleichzeitig begreifen sie, dass dieses aktiv in die Welt eingreift und den Menschen in allem unmittelbar führt. Dieser wiederum erfährt sich als abhängig und reaktiv und steht unter dem Erwartungsdruck, sich im Sinne des Letztgültigen zu verhalten (Deus ex machina). Schulkinder entdecken, dass sie das Letztgültige beeinflussen können, da ihnen Mittel zur Verfügung stehen (etwa Riten oder Gebet), die, wenn man sie richtig einsetzt, sanktionsmildernd, begünstigend oder präventiv wirken. Sie können sich nun selber artikulieren und dem Erwartungsdruck des Letztgültigen widerstehen und widersprechen, was ihn zu ihrem Gegenpart macht (Do ut des). Jugendliche differenzieren zwischen einem Verantwortungsbereich des Letztgültigen und einem der Welt, in der man sich absolut autonom und frei von Gott erfährt. Zwischen Transzendenz und Immanenz gibt es keinerlei kausale Zusammenhänge. Das Letztgültige, das nur noch als kontrafaktische Größe betrachtet wird, mag die Welt zwar erschaffen haben, hat sich daraus allerdings zurückgezogen und greift nicht weiter darin ein (Deismus). Auf einer vierten Stufe bringt der Mensch sein entscheidungsträchtiges Selbst in einen Zusammenhang mit dem Letztgültigen, indem er Letzteres als Bedingungen der Möglichkeit von Autonomie und von Leben wahrnimmt. Der Mensch erfährt sich als frei durch Gott, betrachtet sich allerdings als Teil universeller Prinzipien, die in Form eines Heilsplans oder göttlicher Vorsehung angenommen werden und ihm Sinn und Orientierung geben (Korrelation und Heilsplan). Der Mensch nimmt eine universale Perspektive ein, von der her das Letztgültige in der unbedingten Intersubjektivität erfahren und als absolute Freiheit und Bedingung der Möglichkeit endlicher Freiheit betrachtet wird. Im verantwortlichen zwischenmenschlichen Handeln, das vom Letztgültigen durchdrungen und transzendiert wird, wird der Mensch frei für Gott und kann (Heils-)Geschichte mitgestalten (religiöse Autonomie durch unbedingte Intersubjektivität). Empirisch nicht zu belegen, aber systemlogisch unverzichtbar ist eine sechste Stufe, auf der ein Mensch erfährt, dass sich die eigene, intersubjektiv konstituierte Freiheit an universaler Kommunikation und Solidarität orientiert sowie an seiner Beziehung zum Letztgültigen. Er weiß, dass alles Fragmentarische voll integriert und er selbst vom Letztgültigen unbedingt angenommen ist (universale Kommunikation und Solidarität). Auch an dieses Modell lassen sich Fragen richten, seine Stärke besteht jedoch darin, zu zeigen, dass religiöses Lernen ein Operationsvorgang ist, der auf religiöse Autonomie zielt und der stimuliert werden kann. Grundsätzlich positiv zu würdigen ist die Erkenntnis, bei allen religiösen Lehr-Lern-Prozessen auf die Fähigkeiten und Kapazitäten des Lernenden zu achten und die Aufgabenschwierigkeit so anspruchsvoll anzulegen, dass sie weder unter- noch überfordert, sondern einen Anreiz darstellt, sich fortzubilden und weiterzuentwickeln. Für die Religionspädagogik entlastend ist die Erkenntnis und Einsicht, dass eine kritische Phase prinzipiell Bestandteil der religiösen Entwicklung sein kann und von Religionslehrern, Seelsorgern oder anderen nicht zu leichtfertig abgetan werden darf in dem Sinn, dass sie versuchen, Jugendliche möglichst schnell zur nächsthöheren Entwicklungsstufe „hinüberzuführen“. Theologisch beachtenswert ist auf den oberen Stufen die Betonung der Intersubjektivität und des Mitwirkens des Menschen an der Schöpfung und dem Reich Gottes, worin sich für religiöse Bildung und Erziehung eine Zielperspektive zeigt.

Ignatianische Schulpastoral

Подняться наверх