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ОглавлениеEinführung
Ignatius von Loyola saß in Rom nachts oft draußen und betrachtete den Sternenhimmel. Vielleicht tat er dies in Erinnerung an den Anfang seines geistlichen Weges, als er sich in der Heimat auf dem Krankenlager befand. Damals war es für ihn überaus trostreich, „den Himmel zu schauen und die Sterne. Dies tat er viele Male und über lange Zeit; denn dadurch verspürte er in sich einen sehr großen Eifer, Gott unserem Herrn zu dienen. Er dachte viele Male an seinen Vorsatz und wünschte, bereits ganz gesund zu sein, um sich auf den Weg zu machen“ (BP 11). Es waren allerdings nicht so sehr die unendlichen Weiten des Universums oder die Schönheit der Sterne, die ihn beeindruckten. Ignatius war vielmehr erfüllt von der Größe und Schönheit sowie von der Liebe und Fürsorge dessen, der all das erschaffen und so wohl geordnet hatte. Von ihm, seinem Herrn und Gott, wollte er sich führen lassen, in seine Schule wollte er gehen und von seiner Pädagogik wollte er lernen, um ihm je besser zu dienen und den Menschen je mehr zu helfen.
Wer immer pädagogisch und seelsorglich mit jungen Menschen zu tun hat und will, dass Kinder und Jugendliche in Freiheit wachsen und reifen und ihren je eigenen Weg finden, muss an sie „glauben und sie ermutigen, nach den Sternen zu greifen“. In jedem Heranwachsenden liegt ein Potential, das geweckt und gefördert werden will: Junge Menschen sind offen dafür und neugierig darauf, nach den Quellen des Lebens zu suchen. Sie haben „Interesse an existentiellen Fragen“ und lassen sich ansprechen „von Visionen, wie es einmal sein könnte“. Die eindringlichste und zugleich zurückhaltendste Form der Ermutigung besteht im Vorleben der eigenen Vision vom Leben und in der Bereitschaft, davon Zeugnis zu geben und einladend darüber zu sprechen. Die Vision, welche die Gesellschaft Jesu für die Schülerinnen und Schüler an ihren Schulen hat, zielt darauf, dass diese „ein tiefes und allgemeines Mitgefühl für die Nöte ihrer Mitmenschen“ erwerben und dass sie sich selber bilden und sich bilden lassen „zu Männern und Frauen für Frieden und Gerechtigkeit“, die aus dem Glauben heraus ganz konkret am Aufbau des Reiches Gottes mitarbeiten (s. KOLVENBACH 1993, 123).
Die Vision, dass junge Menschen zu ermutigen sind, nach den Sternen zu greifen, steht am Anfang aller Überlegungen zu einer Konzeption ignatianischer Schul- und Jugendpastoral und beinhaltet etwa folgende Fragen: Wie muss ignatianische Schulpastoral konzipiert sein, dass Heranwachsende nach den Sternen greifen und über sich hinauswachsen können? Was gehört in eine Konzeption von Schulpastoral, die sich der Jesuitenorden als Träger mehrerer Kollegien und Einrichtungen der Jugendarbeit zu eigen machen sollte? Welche schul-/jugendpastoralen Konzepte dienen Jugendlichen und anderen Adressaten für ihr menschliches, geistiges und geistliches Wachstum? Und welche schul- und jugendpastoralen Angebote und Maßnahmen tragen dazu bei, dass ein Kolleg bzw. eine jugendpastorale Einrichtung der Gesellschaft Jesu humaner, sozialer und gerechter wird sowie offener für die Frage nach Gott?
Hintergründe
Dem Kern nach sind das keine neuen Fragen. Schon kurz nach der Ordensgründung (1540) ging es den ersten an Schulen und Kollegien arbeitenden Jesuiten neben intellektueller immer auch um religiöse Bildung und darum, den Seelen zu helfen. Sie wollten immer zugleich Seelsorger für die ihnen anvertrauten Menschen sein. Im Dienste dieses iuvare animas und im Sinne der Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola (1491–1556) fragten sie: Was hilft den Menschen, den Willen Gottes für sich und ihr Leben zu finden, und was hilft ihnen, Gott je mehr zu lieben und ihm je besser zu dienen? Juan Alphonso de POLANCO (1512–1576) war der Meinung, dass es „allgemein gesehen in der Gesellschaft Jesu zwei Weisen gibt, den Nächsten zu helfen: die eine besteht darin, in den Kollegien die Jugend in Literatur, Lernen und christlichem Leben zu erziehen, und die zweite darin, an jedem Ort jeder Art von Personen durch Predigen, Beichthören und andere Mittel zu helfen, entsprechend unserer üblichen Weise des Vorangehens“1. Den Menschen helfen zu wollen, war für Ignatius deswegen so wichtig, weil er während seiner Zeit in Manresa (1522) selber Hilfe erfahren hatte, als Gott ihn auf eine Weise geführt hatte (s. BP 27), die es ihm ermöglichte, Jesus persönlich nachzufolgen. Die ihm gewährten geistlichen Einsichten und befreienden Erfahrungen wollte er weitergeben, weswegen er zunächst Einzelne zu Exerzitien2 anleitete und sich später mit seinen ersten Gefährten besonders der Katechese für Kinder und einfache Leute zuwandte.
Obwohl die ersten Gefährten frei sein wollten von Institutionen, die sie binden und in ihrer Mobilität behindern würden, waren sie bereit, jede Art von Mitteln anzuwenden, um den Menschen zu helfen. So entsprach Ignatius bereits 1548 der Bitte der Stadtväter von Messina, dort ein erstes Kolleg zu gründen, an dem Jesuiten junge männliche Laien unterrichteten. Bis zu seinem Tod (1556) unterhielt der Orden 40 Kollegien, die nach Maßgabe der Satzungen geführt wurden. Ihre Ausrichtung bestand darin, „den eigenen Seelen und denen der Nächsten zu helfen, das letzte Ziel zu erreichen, für das sie geschaffen worden sind“, wozu „außer dem Beispiel des Lebens Lehre und eine Weise, sie vorzulegen, notwendig sind“ (Sa 307). Dadurch war die Gesellschaft Jesu früh zu einem Orden geworden, der Bildungsarbeit als apostolische und seelsorgliche Arbeit verstand.
Im Jahr 1599 wurde die Ratio Studiorum veröffentlicht, eine sehr allgemein gehaltene Studienordnung, die die Erziehungs- und Bildungsarbeit an den Kollegien regelte. Der Unterricht in den verschiedenen Wissenschaften orientierte sich am modus parisiensis, der mittels Übungen, Disputationen und Repetitionen die Schüler dazu anhielt, den Lehrstoff häufig und auf vielfältige Weise zu wiederholen und zu verinnerlichen und der nicht zuletzt auf die Erziehung und Bildung von christlichen Persönlichkeiten zielte. Daneben waren die Unterweisung in geistlichen Dingen sowie die seelsorgliche Begleitung von Anfang an fester Bestandteil des christlich-humanistischen Curriculums. Zum spirituellen Programm gehörten neben häufiger Beichte und Kommunion sowie täglichem Gebet und regelmäßiger Gewissenserforschung, dass Schüler Teile der Geistlichen Übungen machten und sich – ihrem Alter entsprechend – in Werken der Barmherzigkeit übten. Neue seelsorgliche Akzente setzte Johannes LEUNIS (1535–1584), als er 1563 seine besten Schüler um sich sammelte und sie außerhalb des Unterrichts dazu ermutigte, sich auf den Gebieten der Frömmigkeit, der künstlerisch-musischen Bildung und des apostolischen Einsatzes zu engagieren. Die Marianischen Kongregationen, die daraus entstanden, nahmen in ihrer ganzheitlichen Ausrichtung das vorweg, was später als Schülerseelsorge bzw. als Jugendarbeit bezeichnet wurde.
Über die Jahrhunderte wandelte sich die Art der Seelsorgstätigkeit an den Schulen. In den 1950/60ern wurde versucht, einzelne Schüler für Exerzitien im strengeren Sinne zu gewinnen, ganze Klassen dagegen für eher niederschwellige Besinnungstage. In Bezug auf die Entwicklung „von der Schülerseelsorge zur Schulseelsorge“ spielten Alfonso PEREIRA (1917–1991) und Clemente PEREIRA (1911–1990) eine wichtige Rolle. Mit zahlreichen Schriften erfüllten sie das Gebetsapostolat mit neuem Leben und wollten in den sogenannten Religiösen Schul-Wochen „nicht nur einzelne Schüler, sondern alle Schüler in ihrem ‚Milieu‘ in einer außerordentlichen Schulung zur Erneuerung“ anregen. In Form der Werktagsheiligung sollte „die ganze Schule erfasst werden, damit der Geist der Schule religiöser und die Atmosphäre reiner werde“ (PEREIRA, Clemente 1960, 226).
Schaut man heute in die Jesuitenkollegien, so trifft man dort auf eine breite Vielfalt schulseelsorglicher Angebote und schulpastoraler Maßnahmen. Die Marianischen Kongregationen sind abgelöst durch Jugendverbände (J-GCL, KSJ etc.), die vor allem auf dem Sektor der Freizeitbetreuung Kinder- und Jugendgruppen anbieten, worin durchaus ein konkreter schulpastoraler Dienst gesehen werden kann. Aus den Religiösen Schul-Wochen wurden Besinnungstage bzw. Tage religiöser Orientierung. Exerzitienähnliche Angebote oder Exerzitien für Einsteiger gibt es meist in der Oberstufe, vor dem Abitur bzw. um den Überstieg in die Zeit nach der Schule „ins Gebet zu nehmen“. Nachdem in den vergangenen Jahren im Bereich der Schulpastoral vielfältige Anstrengungen in Theorie und Praxis unternommen wurden, scheint es angebracht, danach zu fragen, wie sich ignatianische Schulpastoral heutzutage gestalten sollte, wovon sie profitieren und was sie selber von ihrem Proprium in die allgemeine Diskussion um Schul- und Jugendpastoral einbringen kann.