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KAPITEL 1 SPÄT DRAN

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Liebe Leserin, lieber Leser, ich freue mich, dass Sie sich die Zeit nehmen, mich auf eine Reise zu begleiten. Ich verspreche Ihnen, es wird sich lohnen. Es geht um Medizin und Gesundheit, aber um weit mehr als das. Es geht um die weltweit nächste große gesellschaftliche und wirtschaftliche Revolution, an deren Anfang wir jetzt stehen. Und diese Revolution hat sogar schon begonnen, ist unmittelbar für Sie relevant. Große Worte, denken Sie sich vielleicht. Was kann damit gemeint sein?

Es geht mir um etwas von der Dimension, wie sie der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew in der bekanntesten Theorie zu Konjunkturzyklen mit den sogenannten Kondratjew-Wellen beobachtet hat. Historische Wachstums- und Entwicklungsphasen unserer Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert lassen sich oft mit Schlüsseltechnologien und Krisen, die diese erforderlich machten, erklären. Große Erfindungen verändern die Welt: das Rad, die Dampfmaschine, die Glühbirne, das Internet. Wie sähe unser Leben ohne sie aus? Große Erfindungen brauchen Zeit; manchmal beflügelt erst eine massive Krise die Einführung einer Innovation. Doch danach ist alles anders.

So war es zum Beispiel bei der ersten Kondratjew-Welle, der Erfindung der Dampfmaschine. Was folgte, war die sogenannte industrielle Revolution mit dem Bau riesiger Fabriken. Ein neues Zeitalter brach an.

Dies war jedoch auch das Ende der bis dahin einzigen Form kommerzieller Schifffahrt, nämlich der mit Segelschiffen. Dampfschifffahrt war schneller. Die Einführung maschineller Arbeit auf See bedeutete zudem eine so große und langfristige Effizienzsteigerung, dass sie die Expansion des Reedereigeschäfts ermöglichte. Dessen Ausweitung durch englische, bremische, holländische und belgische Reedereien machte Segelschiffe schließlich nicht länger konkurrenzfähig.

Doch so leicht gaben sich die Anhänger der Segelschifffahrt nicht geschlagen. Konzepte, von denen Menschen dachten, sie seien für die Ewigkeit, lassen sich nicht so einfach verdrängen. So wie im 20. Jahrhundert einige die Ansicht vertraten, kein Privathaushalt bräuchte einen Computer und das Internet werde eine Episode bleiben oder bestenfalls ein zweitrangiges Hilfsmittel für die analoge Welt. Der deutsche Physiker Max Planck schrieb in seiner „Wissenschaftlichen Selbstbiographie“: „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“ Genauso bezweifelten Anhänger der Segelschifffahrt noch lange, dass das Segelschiff von gestern sei.1

Ähnlich epochal waren die drei weiteren sozioökonomischen Revolutionen, die Kondratjew noch selbst definierte: die Einführung der Stahlgewinnung und der Eisenbahnen, dann der Elektrotechnik und der Chemie, schließlich des Automobils und der Atomkraft. Sogar die Erfindung der Glühlampe war keine schrittweise Weiterentwicklung einer Kerze, sondern etwas komplett Neues. Kerzenbeleuchtung war fortan nur noch Dekoration, Nostalgie.


Abb. 1: Die fünf Kondratjew’schen Wellen sozioökonomischer Revolutionen durch Innovationen, die unsere Gesellschaft nachhaltig beeinflusst haben – typischerweise im Abstand von circa zwei Generationen und immer auf eine schwere Krise folgend. Was wird die sechste Welle sein?

Und seitdem? Die fünfte Welle? Zwar hat diese nicht mehr Kondratjew selbst definiert, aber ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass die letzte große Revolution dieser Art, die wir erlebt haben, die Einführung der Informationstechnologie war: Computer, Internet und Smartphone. Ermöglicht wurde dies durch die rasante Geschwindigkeit, mit der Mikroprozessoren schneller und kleiner wurden. Aber nun stehen wir am Ende dieser Revolution. Mit Google, Amazon, Apple und anderen sind mittlerweile sieben von zehn der weltweit wertvollsten Unternehmen keine linearen Industrien mehr, die ein Produkt entwickeln, produzieren und weltweit vertreiben, sondern sogenannte Plattformen, die im Prinzip alles machen können. Darauf komme ich später noch einmal zurück …

Und jetzt? Wenn Sie den Titel des Buches nicht schon gelesen hätten, könnten Sie meinen, Industrie 4.0, erneuerbare Energien und Klimakatastrophe kennzeichnen die weiteren Wellen. Doch diese Stichworte stehen meiner Meinung nach nicht für die nächste große Revolution. Industrie 4.0 ist eine recht bescheidene Innovation; meist wird das Gleiche wie vorher gemacht, nur digitaler. Erneuerbare Energien und die Techniken dafür, um die Klimakatastrophe abzumildern, sind prinzipiell längst vorhanden. Sie müssen nur eingesetzt werden, der Rest ist Management.

Ich hätte dieses Buch nicht geschrieben und auch meine gesamte wissenschaftliche Arbeit nicht komplett umgekrempelt, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass die sechste Kondratjew-Welle eine komplette Neudefinition von Gesundheit, Krankheit, Vorsorge, Behandlung und Heilung sein wird und dies auf eine maximal demokratische, kostensparende Weise; das bedeutet auch, dass die so entstehende neue Medizin keine Luxusmedizin der reichen Industrienationen und ihrer Bürger sein wird, sondern allen Menschen zugutekommen kann.

Aber wie bei allen Kondratjew-Wellen wird all dies nicht passieren, nur weil neue Technologien aufgekommen sind, sondern weil uns die gewaltige Krise der gegenwärtigen Medizin und unseres Gesundheitssystems gar keine andere Wahl lässt. Auch werden große Widerstände zu überwinden sein, so wie dies Max Planck beschrieben hat. Sie mögen sich jetzt fragen: „Krise? Welche Krise?“ Lesen Sie weiter …

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