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Mehr Geld allein ist nicht die Lösung

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Nein, mehr Geld allein bedeutet nicht automatisch mehr Gesundheit. Die von Forschern der Beratungsfirma Boston Consulting Group anhand von Daten der Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank für das Weltwirtschaftsforum zusammengestellte Grafik (siehe Abbildung 7) zeigt die gesundheitsbereinigte Lebenserwartung, also die erwartete Zahl der Jahre, die ein Mensch krankheitsfrei lebt, weltweit für verschiedene Länder auf der y-Achse und die jährlichen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben auf der x-Achse.

Im Idealfall würden sich die Punkte der Länder alle im linken oberen Bereich der Grafik befinden, da hier die gesunde Lebenserwartung ohne einen wesentlichen Anstieg der Ausgaben zunimmt (als Ideallinie angedeutet). Viele auf dieser Linie, vor allem Entwicklungsländer (die weißen Kreise), erreichen offensichtlich mit relativ wenig Aufwand einen hohen gesundheitlichen Standard für ihre Bevölkerung. Aber diese Grafik zeigt auch, dass in weiten Teilen der Welt bei den Industrieländern (die schwarzen Kreise im oberen Bereich der Grafik) fast das Gegenteil eingetreten ist: Die gesunde Lebensspanne nimmt in diesen Ländern nicht weiter zu, obwohl bis zu zehnmal mehr Geld pro Einwohner für die Gesundheitsversorgung ausgegeben wird; weltweit jährlich rund acht Billionen Dollar sind es bei den angeblich entwickelten Nationen.

Abb. 7: Mehr Input bringt nicht mehr Output.9 Verteilung der Gesundheitsausgaben (in US-Dollar) pro Einwohner und der Effekt auf gesunde Lebensjahre (Stand 2015) in verschiedenen Ländern. Der wissenschaftliche Name lautet „Health-adjusted life expectancy“ (HALE) oder „gesundheitsbereinigte Lebenserwartung“ und ist ein umfassenderer Indikator als die Lebenserwartung, weil er über die bloße Lebenszeit hinaus auch Lebensqualität beurteilt. Es ist die Zahl der Jahre in voller Gesundheit, die ein Individuum unter den gegenwärtigen Bedingungen (Erkrankungshäufigkeit und Lebenserwartung) erwarten kann. Die einzelnen Kreise symbolisieren verschiedene Industrie- und Entwicklungsländer (die Position der USA ist markiert). Die Größe der Kreise zeigt die Gesundheitsausgaben in Prozent des Bruttosozialprodukts (Stand 2014).

Auffällig ist, dass die USA die höchsten Kosten pro Kopf und gemessen am Bruttosozialprodukt haben und dennoch von allen Industrienationen mit die niedrigste gesundheitsbereinigte Lebenserwartung. Amerikaner geben mehr als das Fünffache dessen aus, was zum Beispiel Chilenen ausgeben, obwohl die chilenische Bevölkerung tatsächlich länger lebt als die US-amerikanische.

Es gibt mehrere Aspekte, die dazu beitragen, dass die USA und Großbritannien (noch) Ausreißer im internationalen Vergleich sind, auch im Vergleich zu anderen reichen Ländern, gegenüber denen die USA dreimal so hohe Gesundheitsausgaben pro Kopf haben. Die Verwaltungskosten im Gesundheitssektor in den USA sind hoch. Auch große soziale Ungleichheiten bei den Gesundheitsausgaben scheinen ein Treiber zu sein. Eine wachsende Anzahl von Ausgaben wird nicht durch Krankenversicherungen abgedeckt, was dazu geführt hat, dass sich die Gesundheitsangebote stark auf die einkommensmäßig obersten fünf Prozent der Patienten konzentriert haben; diese machen fast die Hälfte der Ausgaben aus; die des obersten einen Prozents der Patienten fast 20 Prozent der Ausgaben.

Auch in Deutschland ist das Gesundheitssystem immer mehr von kommerziellen Interessen und Optimierungen getrieben. Zwar ist jeder krankenversichert und egal, ob privat oder gesetzlich, die Behandlung wird prinzipiell gleich gut sein. Dennoch gibt es falsche Anreize (siehe Kapitel 6) und entgegen allen Beteuerungen der Politik, dass dem nicht so sei, wächst die Bedeutung von Privatversicherten für die Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens immer weiter. Da jedoch für Privatversicherte die Behandlungskosten ohne Budgetgrenzen erstattet werden, zahlen sie für viele medizinische Leistungen höhere Honorare. Im Jahr 2017 flossen 36 Milliarden Euro durch Privatpatienten ins System. Wären sie gesetzlich versichert, hätte das System 13 Milliarden Euro, also über ein Drittel davon, verloren. Im ambulanten Bereich ist der Mehrumsatz besonders hoch. Die Arztpraxen würden ohne die private Krankenversicherung jährlich über sechs Milliarden Euro einbüßen. Umgerechnet sind das durchschnittlich mehr als 54.000 Euro pro Jahr, die pro Arztpraxis im Vergleich zu heute fehlen würden. Das entspricht zum Beispiel 1,75 Sprechstundenhilfen, die eine Praxis dann nicht mehr beschäftigen könnte. Viele niedergelassene Ärzte geben unumwunden zu, dass sie ohne Privatpatienten ihre Praxis nicht am Leben halten könnten und schließen müssten. Kein Wunder, dass Privatpatienten bevorzugt werden, ob dies nun öffentlich ausgesprochen oder als politisch inkorrekt verschwiegen wird; es ist Fakt. Und wer würde nicht die beste Kundschaft, die essenziell für das Überleben der Praxis ist, bevorzugt behandeln? Im Krankenhausbereich ist der Anteil des Mehrumsatzes übrigens viel niedriger, was daran liegt daran, dass hier privat und gesetzlich Versicherte nach demselben Vergütungssystem abgerechnet werden, außer eventuell durch eine Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer oder die Behandlung durch den Chefarzt – übrigens ein zweifelhafter Vorteil.

Geld allein macht also nicht gesund beziehungsweise zu wenig Geld erklärt nicht den hohen Anteil chronisch Kranker und den auch bei uns drohenden Verlust an gesunden Lebensjahren. Es bleibt festzuhalten, dass die Lebenserwartung der Menschen in den letzten 100 Jahren in vielen Teilen der Welt zugenommen hat, diese Zunahme aber nun stagniert und in einigen Industrieländern sich ins Gegenteil zu verkehren beginnt. Dabei wächst der Anteil der Lebenszeit, in der eine Person am Ende ihres Lebens mit Behinderung und Krankheit lebt, insbesondere bei Frauen. Betreiben wir also weiter Ursachenforschung …

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