Читать книгу Geheilt statt behandelt - Prof. Dr. Harald Prof. Dr. Schmidt - Страница 25
Check-ups beim Hausarzt nutzlos
ОглавлениеDie sind überraschenderweise nutzlos. Aber von vorne. Gesundheits-Checks müssen, um sinnvoll zu sein, Krankheitsraten senken und das Leben verlängern. Man möchte meinen, dies sei selbstverständlich, gibt es doch viele theoretische Vorteile. So müsste doch die Erkennung erhöhter Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Cholesterol durch Behandlung zu einer Verringerung der Morbidität und Mortalität führen (na ja, wir hatten ja eigentlich schon besprochen, wie wirksam das ist). Einige Tests können Vorläufer von Krankheiten wie zum Beispiel Krebsvorstufen am Gebärmutterhals aufdecken, deren Behandlung die Entstehung von Krebs verhindern kann. Generell müsste es vorteilhaft sein, Anzeichen oder Symptome einer manifesten Krankheit zu erkennen, die die Person nicht wahrgenommen oder nicht für wichtig erachtet hatte. Manche Menschen verbessern möglicherweise aufgrund von Testergebnissen und Beratung ihren Lebensstil und gesunde Menschen könnten sich beruhigt fühlen.
Aber wie immer ist es besser, man hat Daten. 2012 veröffentlichte die Nordic Cochrane Collaboration eine Meta-Analyse hierzu.5 Es wurden 17 verschiedene Studien mit insgesamt 251.891 nach Zufallsmethoden ausgewählten beziehungsweise zugeordneten Teilnehmern eingeschlossen, in denen Erwachsene mit und ohne Check-ups verglichen wurden. Studien an sehr alten Patienten wurden nicht berücksichtigt, da ja Vorsorge und nicht Nachsorge untersucht werden sollte. Als Gesundheits-Check wurde ein Screening definiert, das sich auf mehr als eine Krankheit oder einen Risikofaktor in mehr als einem Organsystem bezieht – so wie es in der Regel beim Hausarzt abläuft. Das erstaunliche, aber kaum kommunizierte Ergebnis war, dass Gesundheits-Checks nur geringe oder keine Auswirkungen auf die Gesamtmortalität oder die Krebssterblichkeit haben und wahrscheinlich nur geringe oder keine Auswirkungen auf die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit (also tödlicher Herzinfarkt oder Schlaganfall). Daher sind allgemeine Check-ups, jedenfalls so, wie sie heutzutage mit den vorhandenen Mitteln durchgeführt werden, wahrscheinlich nicht von Vorteil. Sie sind also mehr ein Ritual zur Gewissensberuhigung.
Ein Kritikpunkt an dieser sehr großen Analyse war, dass sie einen großen Zeitraum abdeckte und daher alte Daten aus Zeiten, als im Anschluss an die Check-ups eventuell inzwischen veraltete und wenig wirksame Arzneimittel verschrieben wurden, die Aussagen verfälschten. Daher wurde anschließend noch die „Inter99“-Studie über die Wirkung von Gesundheits-Checks in einem modernen Umfeld durchgeführt. Hier wurden Check-ups zusätzlich mit einem individuell zugeschnittenen Interventionsprogramm, Screening auf das Risiko für eine Herzerkrankung und Lebensstilintervention über fünf Jahre kombiniert. Ergebnis nach zehn Jahren: keinerlei Einfluss auf Herzerkrankungen, Schlaganfall oder Sterblichkeit.6
Was könnten die Gründe sein? Sehr wahrscheinlich ist, dass die Menschen, die überhaupt eine Einladung zu einem Gesundheits-Check annehmen, gesundheitsbewusster sind, tendenziell einen höheren sozioökonomischen Status, ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und eine geringere Sterblichkeit haben. Systematische Gesundheits-Checks erreichen daher möglicherweise diejenigen, die am meisten Prävention benötigen, überhaupt nicht; ein Phänomen, das als „inverse Versorgung“ bezeichnet wird, das heißt, diejenigen, die die Versorgung benötigen, nutzen sie nicht, und diejenigen, die diese kaum benötigen, nutzen sie.7
Insofern ist große Skepsis gegenüber der jetzigen Check-up-Praxis angesagt. Zudem sind die Möglichkeiten, Messwerte zu erzeugen, fast unbegrenzt: Stoffwechsel-, Hormon-, Ganzkörper-Scans und vieles mehr stehen technisch zur Verfügung, werden angepriesen und durchgeführt, inzwischen auch als durchaus lukrative „Individuelle Gesundheitsleistungen“ – kurz IGeL. Das sind Leistungen, für welche die Krankenkassen in der Bundesrepublik nicht leistungspflichtig sind, die also privat gezahlt werden. Wären sie evidenzbasiert und hätten einen klaren Nutzen, müssten sie von den Krankenkassen übernommen werden. Die allerwenigsten dieser Maßnahmen erfahren eine wissenschaftliche Begleitung und ein Benefit für die Untersuchungsteilnehmer ist häufig – vorsichtig ausgedrückt – unklar.
Die Tatsache, dass allgemeinärztliche Routine-Check-ups, zumindest für die ohnehin schon gesundheitsbewusste Patientengruppe, die diese gegenwärtig in Anspruch nimmt, keinen deutlichen Nutzen haben, heißt natürlich nicht, dass Ärzte generell Tests und Vorsorgemaßnahmen einstellen sollten, wenn ein Verdacht auf eine Erkrankung besteht. Ein Grund für den fehlenden Nutzen regelmäßiger Check-ups könnte sein, dass gesundheitsbewusste Patienten schon bei den ersten Anzeichen einer Erkrankung den Arzt aufsuchen und deshalb bei einem späteren Check-up nichts mehr Neues zu finden ist.
Eine Arztgruppe muss aber noch separat erwähnt werden, da diese eigene Check-ups anbietet: die Zahnärzte. Sie als Leser und auch ich hätten hier erwartet, dass diese Form von Check-up beim Zahnarzt über jeden Zweifel erhaben ist. Doch Sie werden so überrascht sein wie ich, als ich zum ersten Mal die Studien hierzu las, die das scheinbar Selbstverständliche sicherheitshalber überprüfen wollten.