Читать книгу Die Gesundheitsformel der 100-Jährigen - Prof. Dr. Ingo Froböse - Страница 13
Оглавление„Gute“ Gene für ein langes Leben?
Der Großvater wurde 89, die Mutter 93 und ihr Bruder hat gerade seinen 90. Geburtstag gefeiert – wer aus einer solchen Familie mit vielen Alten kommt, hat doch „gute“ Gene geerbt und wird sicher auch alt. Der Gedanke liegt nahe und ist weitverbreitet, aber stimmt es tatsächlich, dass unsere individuelle Lebenszeit genetisch vorbestimmt ist?
Bei der Entschlüsselung der DNA hoffen die Genetiker bis heute, Erbfaktoren zu finden, die für das Altern und sogar für die Langlebigkeit verantwortlich sein könnten. Das wäre eine gute Grundlage, um neue Strategien und vor allem gut verkäufliche Mittel gegen das Altern und zur Förderung der Langlebigkeit zu entwickeln. Bis jetzt ist das aber nicht gelungen, im Gegenteil: Die Entdeckung der sogenannten Methusalem-Gene war eine der peinlichsten Falschmeldungen in der Genetik überhaupt (siehe Kasten).
Umwelt und Lebensstil wichtiger als Gene
Mit den Genen konnten wir uns immer schön rausreden – bis 2018 eine Studie mit ganz anderen Ergebnissen erschien: Die Analyse der Daten von 400 Millionen Menschen aus dem 19. und 20. Jahrhundert ergab, dass die Gene wahrscheinlich höchstens 7 Prozent ausmachen im Hinblick auf unsere Lebenserwartung! Ihr Einfluss bleibt damit weit zurück hinter dem von Umweltfaktoren und vor allem unserem Lebensstil.
Prof. Graham Ruby aus San Francisco versucht mit seinen Kollegen seit vielen Jahren, den Schlüssel für Langlebigkeit zu finden. Mithilfe statistischer Verfahren hat er die historischen Daten dieser Vielzahl von Menschen auf Lebensdauer, Verwandtschaftsgrad und auch soziokulturelle Faktoren untersucht. Ruby hält es sogar für möglich, dass der genetische Einfluss auf unser Alter noch geringer ist. Blickt man auf jene Blue Zones, in denen die moderne Welt Einzug gehalten hat und wo seitdem die Langlebigkeit zurückgeht, spricht tatsächlich viel für den Lebensstil als Hauptaspekt.
ALS FAKENEWS ENTLARVT: DIE METHUSALEM-GENE
Vor rund zehn Jahren trat der US-Mediziner Prof. Thomas Perls mit einem weltweit stark beachteten Forschungsergebnis an die Öffentlichkeit: Er hatte das Blut von Menschen im Alter zwischen 95 und 119 Jahren in Neuengland untersucht und dabei ein genetisches Muster gefunden, das für langes Leben verantwortlich sei. Die Entdeckung der Methusalem-Gene wurde im anerkannten Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht. Doch dann deckten andere Forscher Fehler um Fehler in den Datenanalysen auf, sodass Perls die Veröffentlichung zurückziehen musste. „Retraction“ heißt dieser Vorgang – die Höchststrafe im Wissenschaftsbetrieb. Perls korrigierte seine Daten und interpretierte sie danach deutlich „seriöser“. Er veröffentlichte die modifizierten Ergebnisse erneut, allerdings in einem weniger bekannten Fachjournal. Nun war keine Rede mehr von Methusalem-Genen, im Gegenteil: Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass ein einzelnes oder selbst einige wenige Gene einen Überlebensvorteil oder sogar eine Langlebigkeit verursachen, lautete sein aktuelles Resümee.
Das bestätigt auch eine Untersuchung darüber, in welchem Ausmaß Gene und Lebensstil zur Verkalkung der Herzkranzgefäße – also zur gefürchteten Atherosklerose – beitragen. Prof. Amit Khera und sein Team analysierten die Daten von mehr als 55 000 Menschen. Das bemerkenswerte Ergebnis: Egal, ob die Menschen eher eine „gute“ oder „schlechte“ genetische Ausstattung hatten – durch einen gesunden Lebensstil konnten sie das individuelle Krankheitsrisiko positiv beeinflussen und nahezu halbieren. Was der Kardiologe unter einem gesunden Lebensstil versteht, definierte er sehr klar. Mindestens drei von vier Punkten müssen erfüllt werden:
• nicht rauchen,
• nicht übergewichtig (adipös) sein,
• sich regelmäßig körperlich bewegen und
• sich ausgewogen ernähren.
Das sind doch gute Perspektiven, denn jeden dieser vier Aspekte können Sie ziemlich einfach selbst beeinflussen – wenn Sie es wirklich wollen.
Assortative Paarung: Gleich und gleich gesellt sich gern
Die Gene sind also nicht dafür verantwortlich, dass der Großvater 89, die Mutter 93 und ihr Bruder 90 wurde. Trotzdem ist eine derartige „Häufung“ von alten Menschen innerhalb einer Familie auffällig und kommt immer wieder vor. Wie erklärt die Wissenschaft das dann? Hier kommt die Verhaltensbiologie ins Spiel und sieht das Prinzip der assortativen Paarung als Ursache: Nicht nur Tiere, auch wir Menschen neigen dazu, Partner auszuwählen – und damit auch deren Familien –, die uns ähneln und die ähnlich leben. Faktoren wie vergleichbare soziokulturelle oder auch ökonomische Hintergründe, also Bildung, Interessen, Einkommen, die Herkunft aus der gleichen Gegend oder sogar eine bestimmte Körperstatur sind oft für die Auswahl der Partner entscheidend. Die Partner treffen sich auf Augenhöhe und gestalten ihr Leben auf die gleiche Weise, das kann vital und aktiv sein genauso wie daddelnd am Handy und snackend vor der Glotze. Entsprechend ähnlich sind dann auch die Folgen dieses Lebensstils und seine Auswirkungen auf die Lebenserwartung.
Epigenetik: die Gene an- oder ausschalten
Während sich die Genetik mit der Zusammensetzung unserer Erbanlagen beschäftigt, erforscht das noch recht neue Wissenschaftsfeld der Epigenetik die molekularbiologischen Veränderungen der einzelnen Gene. Diese Forschungen sind für die Frage nach der Langlebigkeit viel interessanter, weil sie erklären, wie wir mit unserem alltäglichen Tun unsere Gene aktivieren oder deaktivieren und dadurch unseren Alterungsprozess verlangsamen oder beschleunigen. Klingt kompliziert? Ist es auch, aber die Beschäftigung damit lohnt, weil sich dadurch viele Vorgänge in unserem Körper erklären.
Stellen Sie sich Ihren Gensatz als Lexikon vor. Sie lesen nicht das ganze Buch, sondern nur die Informationen, die Sie interessieren. Alle anderen sind zwar vorhanden, aber Sie ignorieren sie. So funktioniert auch die Zelle: Sie nutzt nur jene Infos, die sie wirklich braucht. Die anderen werden durch biochemische Prozesse abgeschaltet: Nicht benötigten Genen wird zum Beispiel eine sogenannte Methylgruppe angehängt. Je mehr Methylgruppen an ein Gen geheftet werden, desto schlechter können seine Informationen abgelesen werden – der „überflüssige“ Text wird quasi durchgestrichen und unlesbar gemacht. Das ist einer von bisher vier bekannten Mechanismen zur Abschaltung von Genen.
Grundsätzlich gilt, dass nur jene Gene abgelesen werden, die der Organismus für das Leben, das wir aktuell führen, auch benötigt. Verändern wir unseren Lebensstil, wirkt sich das auf unsere Erbanlagen aus! Das können wir für uns nutzen und den genetischen Schalter auf den Modus „vitales Altern“ umlegen.
Wie lange unsere Lebensuhr läuft, können wir zu großen Teilen mit unserem Lebensstil beeinflussen.
DIE HORVATH-UHR
Prof. Steve Horvath von der University of California in Los Angeles hat sein wissenschaftliches Leben der Altersforschung verschrieben. Er entwickelte die Horvath-Uhr, die mittlerweile zum Standardinstrument der Altersforschung geworden ist. Horvath konnte zeigen, dass die sogenannte Methylierung, also das An- oder Abschalten von Genen, altersabhängig geschieht. Als seine Forschergruppe das herausfand, suchte sie weiter und fand letztlich 353 Orte in der DNA, deren Methylierung direkte Auskunft über das Alter eines Menschen geben kann. Im Innern all unserer Zellen wird die verstrichene Lebenszeit aufgezeichnet, erstaunlicherweise in jedem Gewebe und jeder Zelle unseres Körpers nahezu im Gleichtakt – sowohl in der Haut als auch in der Leber. Die Abweichungen der Altersangabe liegen nur zwischen einem und drei Jahren. Für die kriminalistische Forensik ist die Uhr schon jetzt ein gutes Instrument zur Altersbestimmung von Toten. Für die Altersforschung ist sie womöglich ein Baustein auf dem Weg, die Dauer des Lebens anhand unserer Zellen vorherzusagen.