Читать книгу Die Gesundheitsformel der 100-Jährigen - Prof. Dr. Ingo Froböse - Страница 5
ОглавлениеGar nicht mehr so selten: 100 Jahre alt!
100 Jahre! Das klingt wie ein unerreichbares Ziel. Doch tatsächlich gibt es weltweit immer mehr Menschen, die diese Schallmauer erreichen und ihr Leben auch genießen, weil sowohl ihr Körper als auch ihr Geist noch fit und gesund sind. Gebrechlichkeit spielt für viele dieser Menschen keine Rolle – oder falls doch, höchstens in den letzten zwei bis drei Lebensjahren.
Die Wissenschaft schaut sich diese Menschen schon länger genau an: Von ihnen können wir lernen und Strategien ableiten, die jedem von uns helfen, lange und dabei auch vital zu leben – egal, ob es dann 100 oder „nur“ 90 Jahre werden. Tatsächlich stellen wir bei den 100-Jährigen der unterschiedlichen Kulturen dieser Welt viele Gemeinsamkeiten fest. Ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung und regelmäßige Regeneration sowie Entspannung, kombiniert mit sozialen Kontakten, Glück und Zufriedenheit, scheinen über alle Grenzen hinweg die Garanten für eine gute Lebensqualität bis ins höchste Alter zu sein.
LEBENSERWARTUNG IN JAHREN
Mittlere Lebenserwartung in Jahren für ausgewählte Länder
– Großbritannien – Deutschland – Japan – China – Russland
Quelle: Life Expectancy by Max Roser, Esteban Ortiz-Ospina and Hannah Ritchie, first published in 2013, last revised in October 2019
Hohes Alter: regional ungleich verteilt
Wie alt jemand heutzutage wird, hängt leider auch davon ab, in welcher Region er das Licht der Welt erblickt. 2015 hatten jene Kinder, die in den 29 wohlhabendsten Ländern dieser Welt geboren wurden, im Durchschnitt eine Lebenserwartung von mindestens 80 Jahren. Dagegen betrug die Lebenserwartung der Jungen und Mädchen, die in den 22 afrikanischen Ländern südlich der Sahara entbunden wurden, weniger als 60 Jahre. Aber auch für diese Region gibt es gute Nachrichten: In afrikanischen Ländern ist das Durchschnittsalter in den letzten 15 Jahren immerhin um 9,4 Jahre angestiegen – das sind die stärksten Wachstumsraten auf der ganzen Welt. Grund dafür ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO die immer bessere Bekämpfung von Malaria und die Beschränkung der Ausbreitung von HIV.
An der Spitze in puncto Lebenserwartung liegen seit Jahren die Frauen in Japan mit durchschnittlich etwa 87 Jahren. Bei den Männern liegt die Schweiz mit 81,3 Jahren vorn. Deutsche leben heute 81,2 Jahre (Frauen: 83,6; Männer: 78,7; Stand: 2016). Im Vergleich mit den europäischen Nachbarn schneidet Deutschland leider nicht so gut ab und liegt mit Platz 18 ziemlich weit hinter unseren Nachbarn (Quelle: Statista, 2018). Schweizer, Spanier und auch Italiener leben in Europa am längsten. In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die Lebenserwartung von 1990 bis heute durchschnittlich um mehr als sechs Jahre von 74 Jahren auf etwa 80,5 Jahre angestiegen. Außerdem nimmt die Lebenserwartung bei Neugeborenen jedes Jahr um etwa drei Monate zu.
Doch auch innerhalb Europas gibt es deutliche Unterschiede, wenn wir genau hinschauen: Die Menschen in Süd- und Westeuropa leben im Durchschnitt etwa acht Jahre länger als die Bewohner von Mittel- und Osteuropa. Unterschiedliche Standards in der Gesundheitsversorgung, Ernährung, klimatische und umweltbedingte Faktoren sowie das in den Ländern unterschiedlich ausgeprägte allgemeine Wohlbefinden vermutet der EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis als Ursache bei der Vorstellung des Europäischen Berichts zur Lebensqualität 2016.
Zoomen wir mit der Lupe noch näher heran und schauen nur auf Deutschland, finden wir wiederum klare Differenzen. Das Robert-Koch-Institut stellt in seinen jährlichen Berichten fest, dass die Ungleichheiten zwischen den sozialen Schichten nicht nur Einkommen und Bildung betreffen, sondern auch die Lebenserwartung: Gut gebildete und situierte Bürger werden älter. Diese Altersschere zwischen Arm und Reich scheint sich künftig sogar noch zu vergrößern, sofern wir nicht intensiv dagegen vorgehen.
LÄNGERES LEBEN NUR FÜR REICHE?
Mit einer höheren Lebenserwartung steigen auch die Gesundheitskosten. Das ist in unserem Gesundheitssystem schon seit Jahren zu beobachten. Mittel- und langfristig kann das dazu führen, dass der Wunsch nach mehr Lebenszeit nur einer kleinen Gruppe vorbehalten bleibt, die sich „Ersatzteile“ sowie lebenserleichternde Operationen und Behandlungen leisten kann. Genau dort sehe ich aktuell die Gefahr der zunehmenden Industrialisierung der Altersforschung, die gerade in den USA immer stärker auf lebensverlängernde Produkte abzielt.
100, 120, 150 Jahre – gibt es eine Obergrenze?
Allein in Deutschland hat sich die Lebenserwartung in den vergangenen 100 bis 150 Jahren im Durchschnitt nahezu verdoppelt, und zwar von etwa 43 Jahren auf 81,2 Jahre. Möglicherweise wurden aktuell sogar bereits Menschen geboren, die 150 Jahre alt werden können, vermuten manche Forscher. Ist 100 also in den nächsten Jahren nicht mehr die Schallmauer, sondern verschieben wir diese zunehmend weiter nach hinten? Wissenschaftler des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung beschäftigen sich mit diesem Phänomen und werten dazu kontinuierlich die neuesten wissenschaftlichen Arbeiten zur globalen, aber auch zur regionalen Lebenserwartung aus.
Alles andere als rekordverdächtig: Bei der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt Deutschland leider nur auf Platz 18.
„Es gibt ein Plateau von gut 100 Jahren, darüber gibt es nicht mehr viel Luft nach oben“, sagt Reiner Klingholz, der Leiter des Berlin-Instituts. Umfassende statistische Analysen deuten darauf hin, dass irgendwo zwischen 115 und 120 Jahren ein biologisches Limit, also ein Höchstalter liegt, über das hinaus niemand altern kann. Nur in Einzelfällen, so Klingholz, sei es möglich, diese Grenze nach oben zu verschieben. Das sehen manche US-amerikanische Wissenschaftler wie Prof. David Sinclair von der Harvard Medical School in Boston anders. Für ihn ist Altern kein natürliches Geschehen mehr, sondern eine Krankheit, der man mit entsprechenden Maßnahmen und biomedizinischen Interventionen begegnen kann. Die Forschung wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen, ob es wirklich gelingen kann, durch genetische und operative Eingriffe sowie Arzneimittel die Obergrenze des Alters noch viel weiter nach hinten zu verschieben – und das zugleich auch ethisch und moralisch vertretbar.
Vorsicht: kürzere Lebenserwartung durch schlechten Lebensstil!
Forscher gehen heute davon aus, dass in einigen Industrieländern in den Geburtsjahrgängen ab dem Jahr 2000 mindestens die Hälfte der Menschen bereits 100 Jahre und älter wird. Ob es wirklich dazu kommt, ist jedoch längst nicht ausgemacht: In den USA sank beispielsweise die mittlere Lebenserwartung 2015 gegenüber dem Vorjahr erstmals um fünf Wochen. Darüber spricht kaum jemand, weil es wenig spektakulär klingt. Doch es sollte uns hellhörig machen, denn es zeigt eindrucksvoll, dass der Trend zum höheren Alter kein Selbstläufer ist. Jene durch den Lebensstil verursachten Krankheiten wie Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs bremsen die Langlebigkeit massiv aus.
Dieses Phänomen wurde nicht nur in den USA beobachtet, sondern es wirkt sich mittlerweile auch in vielen anderen Regionen dieser Welt negativ aus, sogar in den sogenannten Blue Zones.
HEALTHSPANNER ODER IMMORTALIST: ZWEI WEGE ZU HÖHEREM ALTER
In den vergangenen Jahren investierten zahlreiche Unternehmen im Silicon Valley in regenerative Medizin und Langlebigkeit in der Hoffnung, die Endlichkeit des Lebens und damit den Tod zu besiegen oder zumindest weit nach hinten zu schieben. Dabei lassen sich die Wissenschaftler grundsätzlich in zwei verschiedene Strömungen aufteilen.
Die „Healthspanner“ haben primär im Fokus, die Qualität des Lebens und besonders den vollen Besitz der körperlichen und geistigen Kräfte so lange wie möglich zu gewährleisten. Sie setzen dabei hauptsächlich auf Veränderungen des Lebensstils, die sich positiv auf die Vitalität auswirken. Das entspricht etwa meiner persönlichen Denkweise und auch den Inhalten dieses Buchs.
Die andere Gruppe sind die „Immortalists“, Unsterblichkeitsvisionäre, die davon überzeugt sind, dass das menschliche Leben so lange wie möglich dauern soll und ihm kein definitives Ende gesetzt werden darf. Dieser Idee hängt auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg an, der 600 Millionen US-Dollar für ein eigenes Forschungszentrum ausgab.
Der Körper ist für Immortalisten eher eine Maschine, die repariert werden kann und bei der alles Verbrauchte oder Kaputte einfach ausgetauscht wird. Sie hoffen auf die Manipulation von Genen und auf die Verknüpfung des Körpers mit künstlicher Intelligenz. Völlig neue digitale Produkte sollen den uralten Menschheitstraum von Langlebigkeit endlich erfüllen. Selbst vor der Verbindung ihres Gehirns mit einer Cloud schrecken manche nicht zurück.
Im Tierversuch klappt schon einiges. Eine Studie der Mayo-Klinik zeigt zum Beispiel, dass Mäuse länger leben, wenn man bei ihnen regelmäßig bestimmte Zellen austauscht. Diese sogenannten seneszierenden Zellen werden für schnelleres Altern mitverantwortlich gemacht, weil sie negative Signale aussenden.