Читать книгу Die Gesundheitsformel der 100-Jährigen - Prof. Dr. Ingo Froböse - Страница 16
ОглавлениеFaktoren, die das Altern beeinflussen
Oft wird der Körper als Maschine betrachtet, die mit der Zeit verschleißt und irgendwann ihren Dienst aufgibt. Aber unser Organismus kann etwas ganz Besonderes: Er verfügt im Gegensatz zu Maschinen über die Fähigkeit, sich selbst zu reparieren.
Wenn im Körper etwas kaputtgegangen ist, wird das Immunsystem aktiv und schickt Reparaturteams, um den Schaden zu beheben. Das passiert nicht nur bei großen Schäden wie Knochenbrüchen oder Entzündungen, sondern schon bei mikroskopisch kleinen Veränderungen auf zellulärer Ebene. Tatsächlich werden unzählige Zellen pausenlos tagein, tagaus erneuert oder ersetzt. Deswegen besitzen sogar 100-Jährige viele frische Zellen und jugendliches Gewebe. Wir erneuern uns innerlich täglich so umfassend, dass die Qualität der meisten Organsysteme ein langes Leben garantieren kann.
LEBENSDAUER VON ZELLEN
Die Lebensspanne unserer Körperzellen variiert stark: Die Zellen im Dünndarm werden alle zwei Tage erneuert, wohingegen unsere Haarfollikelzellen ein Leben lang bleiben. Stirbt eine Haarfollikelzelle ab, wächst an dieser Stelle auch kein Haar mehr.
Gibt es eine natürliche Grenze?
Wenn etwas fünf oder gar 50 Jahre funktioniert, warum soll es dann nicht auch 150 oder 200 Jahre klappen? Theoretisch könnten diese Reparaturprozesse ein Leben lang ablaufen und alle Schäden im Lauf des Lebens reparieren und in den funktionstüchtigen Ursprungszustand zurückführen. Das ist die These der Immortalisten unter den Forschern – und sie verweisen auf Beispiele in der Natur: Kleine Süßwasserpolypen, die Hydra, scheinen unter Laborbedingungen überhaupt nicht zu altern. Bei Pflanzen wie der Westlichen Grannenkiefer (Pinus longaeva) konnten Forscher bisher keinerlei Alterungsprozesse feststellen, denn die Zellen von jungen und von 3000 bis 4000 Jahre alten Bäumen unterschieden sich nicht.
Doch das sind beeindruckende Ausnahmen. Tatsächlich hat die Natur keinerlei Interesse daran, Lebewesen unsterblich zu machen: Das würde die evolutionäre Weiterentwicklung und die bestmögliche Anpassung an die sich verändernde Umwelt verhindern. Stattdessen sorgt die natürliche Selektion dafür, dass nur die starken und gut an die aktuelle Umwelt angepassten Exemplare einer Spezies durchkommen und sich vermehren. Das naturgegebene Ziel des Lebens sind nicht Langlebigkeit oder gar Unsterblichkeit, sondern Weitergabe, Erhalt und Anpassung des Erbguts der einzelnen Arten. Dafür ist eine gute Fortpflanzungsfähigkeit wichtig, nicht ein langes Leben.
Wenn wir diese Lebensaufgabe erfüllt haben, dann ist es biologisch nicht sinnvoll, dass wir noch unendlich lange leben. In den ersten Jahrzehnten nach der Geburt unserer Nachkommen sind wir für sie noch wichtig, um sie zu versorgen, auszubilden und ihnen unsere Erfahrungen weiterzugeben. Aber irgendwann werden wir zur Nahrungskonkurrenz für unsere Nachkommen. Entsprechend ist es – aus Sicht der Evolution – logisch, dass dann der Organismus zunehmend weniger in die Reparatur der Zellen investiert.
Bessere Regeneration bei 100-Jährigen?
Vielleicht ist genau das der Schlüssel zur Frage der Langlebigkeit. Lange hatten Wissenschaftler immer vermutet, dass 100-Jährige eine besondere genetische Ausstattung aufweisen, doch bis heute konnte diese These nicht bestätigt werden. Vielleicht verfügen sie „nur“ über länger wirkende, bessere Reparaturprozesse, während sich bei Menschen, die nicht steinalt werden, bereits früher Fehler und Defekte bei der Regeneration einschleichen.
Meine Gedanken unterstützt eine Untersuchung von mehr als 13 000 hochbetagten Probanden am Kölner Max-Planck-Institut. Deren genetische Ausstattung weist nur ganz winzige Unterschiede auf. Diese können nicht dafür verantwortlich sein, dass Menschen überdurchschnittlich alt werden, stellte die Epidemiologin Prof. Eline Slagboom 2018 fest. Statt weiter im Erbgut zu suchen, schauten sich die Forscher das Blut der alten Menschen an, und zwar mit einem markanten Ergebnis: Der Stoffwechsel der 100-Jährigen ist in der Regel kerngesund! Ablagerungen in den Blutgefäßen, eine schlechte Leber- oder Nierenfunktion oder die Zunahme entzündlicher Prozesse konnten bei den Hochbetagten nicht nachgewiesen werden! Damit sind sie das komplette Gegenteil der meisten Menschen unserer Gesellschaft mit Störungen im Metabolismus.
Die Forscher des Max-Planck-Instituts haben daraufhin 14 Laborwerte – sogenannte Biomarker – herausgefiltert, darunter Blutzucker, Fettsäuren und Aminosäuren. Wenn man einen zuverlässigen Weg findet, sie als Profil auszuwerten, könnten diese Werte möglicherweise eine Aussage darüber treffen, wie stark Alterungsprozesse individuell voranschreiten und vielleicht sogar darüber, wie lange ein Mensch noch leben wird.
Stammzellen für die Erneuerung?
2012 erhielt der japanische Forscher Prof. Shinya Yamanaka den Medizinnobelpreis für seine spektakuläre Entwicklung, die sogenannten Yamanaka-Faktoren. Dabei handelt es sich um vier körpereigene Eiweißstoffe (Oct4, Sox2, c-Myc und Kfl4), die nahezu Wunder bewirken können und Alterungsprozesse komplett auf den Kopf stellen. Wirken diese vier Gene für etwa zwei bis drei Wochen auf irgendeine Zelle unseres Körpers, dann wird die Uhr dieser Zelle wieder auf null gestellt, weil durch deren Einfluss „alte“ Zellen in junge, sogenannte pluripotente Stammzellen umgewandelt und reprogrammiert werden. Mit diesen pluripotenten und vor allem körpereigenen Stammzellen könnte ein lang gehegter Traum in Erfüllung gehen: die Produktion von neuem Gewebe zur Bekämpfung zahlreicher Krankheiten.
Der italienische Stammzellforscher Prof. Vittorio Sebastiano von der Stanford University in Kalifornien setzte menschliches Bindegewebe, Muskel- und Knorpelzellen dieser Jungbrunnentherapie mit den vier Eiweißen aus. Er bestimmte das Alter der behandelten Zellen mit der Horvath-Uhr: Seine Zellen hatten sich um acht Jahre verjüngt.
Prof. Juan Izpisua Belmonte züchtet am Salk Institute in La Jolla außerhalb des menschlichen Körpers mithilfe von Stammzellen neue, junge Zellen oder sogar ganze Organe. So lässt er beispielsweise menschliche Herzen in den Körpern von Schweinen heranwachsen oder versucht, gebrechlichen Mäusen neue Jugendlichkeit zu geben. Dabei gelang es, sogar hochbetagten Mäusen wieder ein glänzendes Fell, starke Muskeln oder eine neue Beweglichkeit zurückzugeben. Doch leider nicht ganz ohne negative Begleiterscheinungen, denn einige der behandelten Zellen wandelten sich in schnell wachsende Krebszellen um … da gibt es also noch viel zu forschen. Besonders die Stammzellen könnten für eine verminderte Alterung und eine verbesserte Regeneration und Heilung sorgen. Stammzellen sind nämlich nichts anderes als Körperzellen, die sich je nach Anforderung zu völlig verschiedenen Gewebe- oder Zelltypen entwickeln können.
WAS SIND STAMMZELLEN?
Stammzellen sind sogenannte undifferenzierte Zellen, die sich einerseits selbstständig regelmäßig erneuern können und gleichzeitig über ein enormes Entwicklungspotenzial verfügen. Das Besondere an ihnen ist, dass sie sich
a) symmetrisch teilen. Dann entstehen aus einer Stammzelle zwei Stammzellen, die mit der Mutterzelle identisch sind, oder
b) asymmetrisch teilen (= inäquale Teilung). Dann können eine differenzierte Gewebezelle (etwa eine Leberzelle) sowie eine neue Stammzellen entstehen. Daraus ergibt sich quasi ein unendliches Reservoir an körpereigenen Zellen, weil die symmetrische Teilung immer wieder für Nachschub sorgt.
So forscht mein Freund, Prof. Jürgen Hescheler von der Universität zu Köln, bereits erfolgreich daran, die durch einen Herzinfarkt zerstörten Zellen des Herzmuskels durch Stammzellen zu erneuern und so die Folgen des Infarkts am Herzmuskel verschwinden zu lassen. Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang auch, die vielen altersbedingten Veränderungen im Knorpel- und Knochensystem durch eine gezielte Stammzellregeneration zu beheben. Ob dies wirklich gelingt, wird sich vermutlich innerhalb der nächsten 20 Jahre zeigen.
Anti-Aging-Hormone: besser nicht!
Mit dem Älterwerden nimmt auch die Ausschüttung verschiedener körpereigener Hormone ab. Damit wir diesen „Mangel“ ausgleichen können, bietet uns die Industrie Hormonersatzpräparate an wie Wachstumshormone, Testosteron, Melatonin oder auch Dehydroepiandrosteron (DHEA) und verspricht uns damit einen echten Jungbrunneneffekt. Vor allem aber ist es für die Industrie ein Riesenmarkt mit lukrativen Gewinnen. Niemanden scheint zu interessieren, dass es bisher keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, ob solche Produkte überhaupt auf Alterungsprozesse einwirken können, betont Prof. Matthias Weber, Leiter der Endokrinologie der Universitätsmedizin der Uni Mainz.
In den USA ist die Einnahme von Hormonpräparaten seit vielen Jahren weit verbreitet, und vielleicht ist dies sogar die Ursache dafür, dass dort der Krebs so sehr auf dem Vormarsch ist: Ein unkontrollierter Umgang mit Hormonen ist immer ein massiver Eingriff in den menschlichen Organismus und steckt voller Gefahren. Erst 2018 warnte die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie vor dem unkontrollierten Einsatz von Hormonen oder frei verkäuflichen Hormonpräparaten, und das nicht ohne Grund:
• Das Wachstumshormon (Growth Hormon, GH) oder Somatropin ist ein verschreibungspflichtiges Medikament gegen Min-derwuchs bei Kindern oder gegen starke Stoffwechselstörungen bei Erwachsenen, etwa bei eindeutigen Veränderungen des Fett- und Muskelanteils im Körper. Studien konnten keinerlei Effekt auf Alterungspro-zesse nachweisen. Aber der Zuckerstoffwechsel wurde negativ beeinflusst, es bildeten sich Ödeme und unspezifische Gelenkschmerzen traten vermehrt auf. Außerdem steht GH unter Verdacht, die Entstehung von Tumoren zu fördern.
• Testosteron bringt manchmal kleinere Effekte bei Männern über 60 gegen eine nachlassende Libido. Andere positive Wirkungen wie die Förderung des Muskelaufbaus wurden bei älteren Männern nicht nachgewiesen. Dafür steht es unter Verdacht, das Herzinfarktrisiko und auch die Gefahr für Tumorbildung deutlich zu erhöhen.
• Melatonin wird als antioxidativer Radikalfänger angepriesen, ohne dass dies bisher nachgewiesen wurde. Es soll die Zellen vor frühzeitiger Alterung schützen, doch dies konnte bisher nur in Tierexperimenten mit teilweise extrem hohen Dosen festgestellt werden. Ein positiver Einfluss auf den Schlaf konnte allerdings bestätigt werden.
• Dehydroepiandrosteron (DHEA), das in den USA frei verkäuflich ist, wird als Vorläuferhormon im Organismus sowohl zu Östrogen als auch zu Androgenen umgewandelt. In puncto Altern konnte bisher keine Studie irgendwelche Wirkungen feststellen.
Falls Sie also überlegen, Hormone einzunehmen, um das Altern zu bremsen, verzichten Sie besser darauf: Die Risiken sind groß und der Nutzen ist nicht vorhanden bzw. sehr fragwürdig. Statt auf Pillen setzen Sie lieber auf die natürlichen Fähigkeiten Ihres Körpers. Das Zauberwort dazu heißt „Lebensstilveränderung“.