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3.2 Materie ist nicht materiell

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Woraus besteht Materie? Die Frage nach der Struktur der Materie ist jahrtausendealt. Im antiken Griechenland im fünften Jahrhundert vor Christus prägten die Philosophen Leukipp und sein Schüler Demokrit den Begriff Atom (unteilbar = griech. atomos)15. Ihrer Ansicht nach musste alles aus kleinsten unzerstörbaren Teilen bestehen, selbst die menschliche Seele wurde als Produkt einer atomaren Zusammensetzung betrachtet, die mit dem Tod verschwand, wobei die Atome als ewige Teilchen wieder neue Verbindungen eingehen konnten.16 Nach Jahrhunderten des Stillstands stellte man sich erst wieder im 19. Jahrhundert die Frage, woraus denn Materie eigentlich besteht.

Wir alle sind mit der massebehafteten Materie in unserer makroskopischen Welt bestens vertraut. Wir berühren Dinge, wir benutzen sie, wir können sie voneinander abgrenzen, wir können Materie zu uns nehmen oder uns daran verletzen. Aber wenn wir unsere makroskopische Welt verlassen und immer tiefer in die Materie eindringen, dann betreten wir eine neue Welt, die von Energien und dem Nichts bestimmt wird. Schon Albert Einstein formulierte mit seiner wohl berühmtesten Formel e=mc2 die die Äquivalenz von Energie und Masse, die Konstante für die Lichtgeschwindigkeit (hier sogar zum Quadrat) darf für die Darstellung dieses Zusammenhangs getrost weggelassen werden. Das ist vergleichbar mit der O-Notation in der Informatik zur Beschreibung des Wachstums einer Funktion. Konstanten spielen für die grundlegende Betrachtung einer Funktion und ihr Wachstumsverhalten keine Rolle. Mit anderen Worten, Masse und Energie sind nach Einstein dasselbe. Aber wie kann man sich das nun genau vorstellen? Wenn ich morgens nach dem Aufstehen noch im Halbschlaf mit meinem Fuß gegen den Bettpfosten laufe, dann tut es höllisch weh, und der Pfosten ist ohne Zweifel zumindest in meiner Wahrnehmung keine Energie, sondern äußerst massiv und hart.

Gehen wir der Sache nun auf den Grund. Dazu betrachten wir eine massive und glatte Tischplatte. Stell dir vor, wir zoomen wie bei einem Foto immer näher an die Tischplatte heran. Langsam verlassen wir den makroskopischen Bereich, und die glatte Oberfläche wird immer mehr zu einem zerklüfteten Gebirge. Wir zoomen immer weiter hinein, es erscheinen gitterförmig angelegte Molekülstrukturen, die ihrerseits aus Atomen bestehen.17 Nun haben wir im Prinzip die Ebene erreicht, die die alten Griechen als die kleinste Struktureinheit der Materie definierten. Doch wir zoomen weiter in die Atomhülle hinein und finden neben ganz viel Nichts noch weitere Bausteine. Im Zentrum befindet sich ein winziger Atomkern, der nahezu die komplette Masse des Atoms ausmacht. Um diesen Atomkern herum befinden sich in der Hülle zu gewissen Wahrscheinlichkeiten die noch kleineren Elektronen, die einen verhältnismäßig riesigen Abstand zum Kern besitzen. Um sich das bildhaft vorzustellen, vergleichen Lesch und Gaßner das Größenverhältnis eines gesamten Atoms zu seinem Atomkern mit dem eines großen Fußballstadions (z. B. dem Dortmunder Signal-Iduna-Park) als Atom und einem Reiskorn im Mittelpunkt des Anstoßkreises als dessen Kern.18 Allerdings ist im Signal-Iduna-Park immer unheimlich viel los, tolle Fußballmannschaften kämpfen um den Sieg, und über 80 000 euphorische Fans bejubeln das Spiel, im Vergleich dazu herrscht in der Atomhülle bis auf die negativ geladenen Elektronen gähnende Leere. Wir zoomen weiter hinein und erreichen den Atomkern, der aus den positiv geladenen Protonen und den elektrisch neutralen Neutronen besteht. Diese Kernbausteine bestimmen die Masse des gesamten Atoms, also schauen wir sie uns noch genauer an. Es spielt keine Rolle, ob wir Neutronen oder Protonen betrachten, das Folgende gilt gleichermaßen für beide. Wir werfen einen Blick in ein Proton hinein und erreichen somit einen Bereich, wo wir zumindest nach dem aktuellen Stand in der Forschung die wirklich kleinsten unteilbaren Elementarteilen, die Quarks, finden. In jedem Proton befinden sich drei Quarks (zwei Up-Quarks und ein Down-Quark) und die sie zusammenhaltenden Gluonen (vom englischen glue: kleben abgeleitet), die mit dieser starken Wechselwirkung eine der vier Grundkräfte der Physik erzeugen. Diese Elementarteilchen stehen in einer permanenten Wechselwirkung mit einem überall im Universum gleichermaßen wirkenden Kraftfeld, dem sogenannten Higgsfeld, das nach dem schottischen Physiker Peter Higgs benannt wurde. Unter Einbeziehung dieses im Large Hadron Collider* experimentell nachgewiesenen Higgsfelds stellte sich heraus, dass sämtliche Elementarteilchen eines definitiv massereichen Protons bzw. Neutrons komplett masselos sein müssen. Ja, du hast richtig gelesen! Dort, wo eigentlich die feste Materie sein müsste, gibt es de facto keine Masse. Wie ist das möglich? Wie kann ein Atom eine Masse besitzen, wenn es aus ganz viel Nichts und masselosen Elementarteilchen besteht? Erinnerst du dich an die einsteinsche Formel? Masse ist dasselbe wie Energie, und die Masse der Materie besteht somit nicht aus fester Substanz, sondern aus Bewegungs- und Bindungsenergie der Quarks und Gluonen. Ist es nicht faszinierend, wenn wir uns im Kleinsten betrachten, dass wir zu 100 Prozent aus Energie bestehen? Es ist also kein esoterischer Quatsch, wenn wir sagen, dass wir reine Energie sind. Es ist sogar physikalisch bewiesen. Der Quantenphysiker und frühere Leiter des Max-Planck-Instituts für Physik in München Hans-Peter Dürr kommt sogar zu dem Schluss, dass es gar keine Materie gibt:

»… welche Überraschung, wir müssen feststellen, es gibt die Materie im Grunde nicht mehr. Es gibt letzten Endes nur noch eine Art Schwingung. Es gibt, streng genommen, keine Elektronen, es gibt keinen Atomkern, sie sind eigentlich nur Schwingungsfiguren. Eine Art Schwingungsfigur wie Ihr Handy-Gespräch im elektromagnetischen Feld, nichts Materielles im eigentlichen Sinne. An diesem Punkt haben wir die Materie verloren.«19

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