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Die vielen Dimensionen des Geistes

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»Es ist nützlich, Dinge unbewußt tun zu können, das ist eine gute Art, Dinge zu tun«, sagte Bandler. Wie in der Psychoanalyse und in anderen Therapieformen gehen wir davon aus, daß es eine unbewußte und eine bewußte oder rationale Ebene des Menschen gibt, die sein Verhalten bestimmen.

Seit den Entdeckungen von Roger W. Sperry und seinen Mitarbeitern vom California Institute of Technology wissen wir, daß die beiden Hirnhälften des Menschen deutlich voneinander getrennte »Begabungen« oder »Bewußtseine« haben. Schon früher hatte der französische Neurologe Pierre Paul Broca entdeckt, daß eine bestimmte Region in der linken Hemisphäre bei Rechtshändern für die motorische Sprachfähigkeit zuständig ist. Diese Zone heißt heute die Brocasche Sprachregion.

Ihre Erkenntnisse sammelten Sperry und seine Mitarbeiter durch sorgfältige Beobachtung von Epileptikern, denen der Balken (Corpus Callosum), der die beiden Gehirnhälften miteinander verbindet, operativ durchtrennt wurde. Solche Operationen verhindern, daß ein Anfall von einer Hemisphäre auf die andere übertragen wird, wodurch der Anfall insgesamt abgeschwächt wird. Sperry erhielt 1981 für seine Arbeiten den Nobelpreis.

Die linke Gehirnhälfte ist zuständig für die rationalen Fähigkeiten, während die rechte mehr intuitiv oder ganzheitlich orientiert ist. Seitdem werden die Begriffe »bewußt« und »unbewußt« vermehrt durch die Begriffe linke und rechte Gehimseite ersetzt.

Die neuesten Hirnforschungen zeigen, daß diese Unterteilung noch nicht die ganze Wirklichkeit ist. Unser Geist ist sehr komplex, er hat viele Dimensionen. Man kann ihn nicht nur in bewußt und unbewußt oder in linkshirnig und rechtshirnig einteilen. Das menschliche Gehirn beherbergt eine Vielzahl von unabhängigen »Geisten« oder Teilen.

Diese verschiedenen Teile des Geistes können unabhängig voneinander handeln, ja, sie können sogar gegeneinander aktiv werden. Der menschliche Geist ist also nicht eindimensional, auch nicht zwei- oder dreidimensional, sondern multidimensional. Robert Ornstein, einer der führenden Hirnforscher, prägte den englischen Begriff »Multimind«.

Im Grunde genommen ist das für die meisten Menschen keine neue Erkenntnis. Wer sein eigenes Verhalten ein wenig kritisch beobachtet, der weiß, daß er viele Dinge nicht vernünftig entscheidet. Irgendein Teil in uns entscheidet, manchmal wissen wir überhaupt nicht, warum wir uns in einer bestimmten Art und Weise verhalten.

Gehen Sie deshalb einfach von der Erfahrung aus, daß der menschliche Geist aus vielen Teilen besteht, die manchmal Zusammenarbeiten, ebenso häufig aber nicht so gut miteinander auskommen. Und das Phantastische dabei ist, wenn Sie sich auf diese Art der Betrachtung einlassen, dann können wunderbare Dinge mit Ihnen geschehen.

Ein Klient, der vom Verstand her ganz genau wußte, wie er sich verhalten sollte, erlebte immer wieder, daß seine Emotionen ihn überwältigten, so daß er es nicht schaffte, aus einer zwanghaften Beziehung herauszukommen. Ich schlug ihm vor, die verschiedenen Teile seines Geistes mit Hilfe seiner Vorstellungskraft zu einer Art Konferenz zusammenzurufen, damit sie die widersprüchlichen Verhaltensweisen erkennen konnten, um dann zu einem Kompromiß zu kommen, der allen Teilen gerecht würde.

Er schloß die Augen, entspannte sich und versuchte, sich einen Konferenzraum mit Personen vorzustellen, die die unterschiedlichen Seiten seines Wesens repräsentierten. Das Bild des Konferenzraumes konnte er deutlich sehen, nur Personen erschienen lange Zeit nicht. Plötzlich aber veränderte sich der Konferenzraum, ohne daß er dies angestrebt hatte, in einen Gerichtssaal.

Auf einem erhöhten Platz an der Stirnseite eines rechteckigen Tisches saß ein Richter, der die Verhandlung leitete. Am gleichen Tisch saßen sich zwei Personen gegenüber: ein großer, kräftiger Mann, von dem er sofort wußte, daß er ein Sinnbild für seine starken Gefühle war, und ein kleiner, mickriger, der den Verstand vertrat.

Der Kleine kam kaum zu Worte, während der Große mit allem Nachdruck betonte, wie wichtig es doch sei, wenn man seine Gefühle auslebe. Der weise Richter hörte sich alles geduldig an, um dann dem »Gefühl« klarzumachen, daß sein Verhalten letzten Endes zur eigenen Zerstörung führen würde. Nur wenn sich Gefühl und Verstand verständigten, hätten sie auf Dauer eine Überlebenschance.

Es war meinem Klienten anzumerken, welche seelischen Prozesse in ihm abliefen, bis die beiden Teile sich einig geworden waren. Endlich ließ sich das Gefühl überzeugen und war bereit, einen Versuch zu wagen. Es wollte sich zurückhalten, um damit ein Gleichgewicht der Kräfte zu ermöglichen. Im gleichen Augenblick wurde die Gestalt, die den Verstand repräsentierte, in der Vorstellung kräftiger und größer. Beide Teile waren jetzt gleichberechtigte und gleichrangige Partner.

Vermutlich werden Sie sagen, das hört sich wie ein phantastisches Märchen an. In der Tat, es ist phantastisch, wozu unser Geist imstande ist. Er kann Menschen zerstören, ebenso aber auch seelisch und körperlich gesund machen und erhalten. Die Beziehung meines Klienten wurde sehr liebevoll und harmonisch, worüber ich mich sehr freute.

Einige Ergebnisse der modernen Hirnforschung scheinen mir so wichtig, daß ich sie Ihnen nicht vorenthalten möchte. Sie können Ihnen helfen, Ihren Geist und den anderer Menschen und somit auch deren entsprechendes Verhalten besser zu verstehen. Eine ausgezeichnete, ausführliche Darstellung finden Sie in dem Buch von Robert Ornstein, Multimind. Ein neues Modell des menschlichen Geistes34.

Das menschliche Gehirn entwickelte sich im Verlauf von etwa 500 Millionen Jahren. In diesem Zeitraum spezialisierten sich die einzelnen Teile des Gehirns für die unterschiedlichen Aufgaben und Ziele in der Evolution der Wirbeltiere, Säugetiere und Primaten. Das Gehirn des Menschen unserer Zeit ist nach dem gleichen Muster gebaut wie die Gehirne vor Millionen Jahren, auch wenn die Ziele und Aufgaben sich inzwischen verändert haben. Das heißt also, wir haben in einer modernen Zeit ein archaisches Gehirn.

Der Hirnstamm ist für die grundlegenden Lebensprozesse und die Alarmbereitschaft in unserem Organismus zuständig. Das darüberliegende Limbische System entstand bei der Entwicklung von den Meeres-zu den Landbewohnern. Die schnelle Reaktionsfähigkeit auf Gefahren ist eines der Merkmale dieses Gehirnteils. Das Großhirn entstand zuletzt. Es ist der Teil des Gehirns, mit dem wir denken, sprechen und entscheiden können.

Die neuesten Forschungen zeigen, daß nicht nur die rationalen Fähigkeiten mit der linken Hemisphäre verknüpft sind und die intuitiven mit der rechten, sondern daß eine große Zahl bestimmter Fähigkeiten oder Talente ganz bestimmten anatomischen Zentren im Gehirn zugeordnet werden kann. Diese Erkenntnis ist eine wissenschaftliche Bestätigung dafür, daß unerwartet viele menschliche Fähigkeiten angeboren sind. Natürlich können sich diese angeborenen Fähigkeiten je nach spezifischer Umwelt, in der ein Mensch aufwächst, anders entwickeln.

Die Fähigkeiten können allerdings nicht alle zur gleichen Zeit wirksam werden. Das ist eine sehr wichtige Feststellung. Unser Bewußtsein kann sich immer nur auf einige wenige Punkte konzentrieren. Je nach Situation und Notwendigkeit setzen wir unterschiedliche Fähigkeiten in jeweils anderer Kombination ein, und dementsprechend kann auch unser Verhalten sich von einem Augenblick zum anderen ändern.

Wenn wir das menschliche Verhalten wirklich verstehen wollen, dürfen wir nie die primäre Aufgabe unseres Gehirns vergessen: dafür zu sorgen, daß der Mensch (das Tier) in einer feindlichen Umwelt überleben kann. Die Umwelt ist durch eine Vielfalt von Ereignissen und Informationen, die sich manchmal sehr schnell ändern können, gekennzeichnet. Ihnen ist der Mensch ausgeliefert, und mit ihnen muß er sich auseinandersetzen. Dies ist nur möglich, wenn er sich ökonomisch verhält, sonst wäre er völlig überfordert. Dieses ökonomische Verhalten wird vom menschlichen Geist regelrecht erzwungen:

1 Der Mensch ist empfindlich für ganz neue Informationen, besonders wenn sie unerwartet oder auffällig sind. Alle anderen Informationen werden in der Regel überhaupt nicht wahrgenommen. Der erste Start eines Satelliten war zum Beispiel eine aufregende Neuigkeit. Auch beim ersten Flug zum Mond saßen die Menschen gebannt vor dem Bildschirm. Wird heute dagegen eine Raumfähre gestartet, so ist das ein Ereignis, das kaum noch Aufmerksamkeit erregt. Auf extreme Veränderungen reagieren wir sehr stark, graduelle Veränderungen dagegen reizen uns kaum. So versetzt uns das Plätschern eines Baches leicht in einen Ruhezustand. Es bedeutet keine Gefahr, sondern eher Sicherheit. Das unerwartete Geräusch quietschender Reifen eines vorbeirasenden Autos dagegen signalisiert höchste Gefahr!

2 Jede Information wird durch Vergleich beurteilt oder bewertet. Informationen vergleichen wir mit früheren Erfahrungen, um zu beurteilen, ob sie für uns ungefährlich oder gefährlich sind und ob wir in irgendeiner Form aktiv werden müssen. Unwichtige Informationen vernachlässigen wir und vereinfachen dadurch unsere Welt. Alles, was für uns im Augenblick nicht von Bedeutung ist, was uns nicht betrifft, ignorieren wir. Auch hier zeigt sich wieder, daß unser Gehirn im Laufe der Evolution das Überleben der Menschheit sichern sollte. Um schnell reagieren zu können, müssen wir uns auf die wichtigsten Informationen konzentrieren und das, was sich nicht geändert hat, einfach als gegeben voraussetzen. All diese Erkenntnisse können Sie mit großem Gewinn berücksichtigen. Angenommen, Sie wollen jemandem helfen, in einen entspannten Zustand zu gelangen. Um die Vielfalt der Gedanken auf den einen Gedanken von Ruhe und Entspannung zu konzentrieren, können Sie seine Aufmerksamkeit zuerst auf seinen Körper lenken. Er wird sich zum Beispiel seines Atems erst bewußt, wenn Sie diesen ansprechen. Das Gewicht der Hände auf den Oberschenkeln spürt er erst, wenn Sie ihn darauf hinweisen. Nur das, was neu ist, wird vom Bewußtsein aufgenommen, sofort beurteilt, und wenn es sich als ungefährlich herausstellt, wird es sofort unwichtig. Auf diese Weise kann der angesprochene Mensch immer weitere Teile seines Körpers »loslassen« und sich sorglos dem Gefühl der Ruhe hingeben.

3 Gefühle sind ein wesentlicher Faktor, der das menschliche Verhalten beeinflußt. Ornstein sagt dazu: »Gefühle sind ein grundlegendes Talent des Geistes. Wesentlich grundlegender, als die meisten wahrhaben wollen. Sie waren schon auf der Erde, bevor es uns gab. Es ist zu akzeptieren, daß Gefühle ein eigenständiger Teil des Geistes sind, weil sie eine automatische und der Willkür nicht zugängliche Qualität besitzen. Wir können uns kaum dagegen wehren, daß wir wütend werden oder ›auf jemanden abfahren‹. Jemand, den wir begehren, läßt uns erröten. Ob wir das nun kontrollieren wollen oder nicht, hat keinen Effekt.«34 Es ist deshalb von unschätzbarem Wert, wenn Sie es lernen, mit eigenen und fremden Gefühlen bewußt und liebevoll umzugehen. Wenn Sie sich zum Beispiel an das intensive Gefühl erinnern, das Sie in einem besonders glücklichen oder erfolgreichen Augenblick Ihres Lebens hatten, dann können Sie diese Ressource jederzeit in Ihr Bewußtsein zurückholen, wenn Sie den »Anker« kennen und benutzen, mit dem das Gefühl in Ihrer Erinnerung festgemacht ist. Angenommen, Sie haben zu einem ganz besonderen Zeitpunkt Ihres Lebens eine bestimmte Melodie gehört, dann genügt es, wenn Sie diese Melodie wieder hören oder sie singen, um Ihren Körper und Ihren Geist in den gleichen Glückszustand zu versetzen, in dem Sie damals waren. Die Melodie ist der Anker für Ihr gutes Gefühl. Versuchen Sie genau das Gegenteil von dem zu tun, was viele Menschen leider Tag für Tag praktizieren. Irgendeine kleine Begebenheit reicht meist aus, um sich negative Gefühle aus der Vergangenheit zurückzuholen. Man erinnert sich an Krankheiten, Unfälle, Kränkungen, Versagen ... und fühlt sich wieder so richtig mies. Wollen Sie sich gut fühlen, dann zögern Sie nicht. Ersetzen Sie diese »negativen« Ressourcen sofort durch positive und aufbauende!

Zum Schluß dieses Kapitels führe ich noch ein extremes Beispiel an, das überzeugend die Existenz vieler Teile der menschlichen Persönlichkeit beweist. Ich meine die Tatsache, daß es psychisch gestörte Menschen mit einer multiplen Persönlichkeit gibt. Bei diesen Menschen spaltet sich, vermutlich als Folge von Kindheitserlebnissen, der Geist in mehrere Teilpersönlichkeiten auf. Diese Teilpersönlichkeiten machen sich in der Form bemerkbar, daß der Betreffende sich ganz unterschiedlich verhält, je nachdem, welche Teilpersönlichkeit ihn gerade beherrscht. Diese Teilpersönlichkeiten können stark voneinander getrennt sein und sich völlig unkontrolliert äußern.

Das ist so ähnlich wie in der berühmten Erzählung von Stevenson »Dr. Jekyl and Mr. Hyde«. Nach Einnahme einer bestimmten Droge verwandelte sich der gütige Dr. Jekyl in den bösartigen Mr. Hyde, der es zum Beispiel fertigbrachte, ein Kind bedenkenlos und grausam mit den Füßen zusammenzutreten. In der Therapie kommen von Zeit zu Zeit Beispiele solcher multiplen Persönlichkeiten vor, die natürlich nicht bösartige Züge aufweisen müssen. Diese extremen Fälle sind lediglich Übersteigerungen normaler Zustände, denn, um es noch einmal zu wiederholen, auch der geistig völlig normale Mensch vereint in sich viele Teile.

Die verschiedenen Teile Ihres Geistes sind ein fester Bestandteil Ihrer Persönlichkeit. Denken Sie daran, wenn Sie sich verändern wollen oder wenn Sie anderen helfen wollen, sich zu verändern. Erst wenn die unterschiedlichen Teile sich einigen, wenn sie sich einer übergeordneten Zielsetzung unterordnen, um damit das Beste für den Menschen zu erreichen, gelangen Sie zur Einheit, zur Ganzheit.

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