Читать книгу Hundert Geschichten - Quim Monzo - Страница 14
Die Augen voller Wiesen
ОглавлениеEs war ziemlich lustig, wenn du angetrunken mit Wiesen voller Kuchen in den Augen nach Hause kamst und kaum ein »Hallo« herausbrachtest, dich aufs Sofa legtest und einen unbestimmten Punkt an der einfarbigen Decke betrachtetest, so als atmetest du nicht, mit angehaltenem Atem und leerem Geist. Ich musste dich ganz vorsichtig und behutsam ausziehen und dabei aufpassen, dir nicht das Genick zu brechen, dann bettete ich deinen verrückten Kopf mit der ganzen Zärtlichkeit der Welt auf Seidenkissen (am folgenden Tag würdest du keine anderen mehr haben wollen), löschte Kerzen und Licht, ging ins Wohnzimmer und stellte den Plattenspieler ab (just in dem Moment, in dem Gilberto Gil einen Engelsschrei ausstieß oder Zappa von den Gefahren eines Zusammenstoßes mit dem Teufel erzählte). Ich dachte: »Gute Nacht, Spatz, träum süß vom Paradies«, dann tauchte ich in ein Magma aus Winternebeln und dänischen Wäldern, die von lustigen Zwergen und depressiven Jungfrauen bevölkert waren und an die sich nicht einmal mehr die Volkschronisten erinnern. Am Morgen danach standest du stets als Erste auf und hattest eine große Wut im Bauch. Du kehrtest das Unterste zuoberst, öffnetest das Fenster, und mit dem Glanz der Sonne (du kniffst die Augen so eng zusammen, dass sie nur noch aus einem Paar winziger Punkte bestanden) hellte sich dein ach so blasses Gesicht auf, und du sahst wie eine verhexte Plastikpuppe aus, die zum Leben erwachte. Du kamst zum Sofa, wo ich mich schlafend stellte, und drücktest mir einen Kuss auf die Wange. Und ich tat so, als würde ich gerade aufwachen. (Ich schlief lieber auf dem Sofa im Wohnzimmer, denn dein Herumwälzen im Bett war gewaltig und gefährlich und machte mir Angst.) Wenn ich dann aufgestanden war (du hattest bereits gefrühstückt und schienst wie neugeboren: ein völlig anderes Wesen als das, welches nachts die Wohnung betreten hatte: schwarze, lachende Augen, rosa Wangen, feuchte, lächelnde Lippen), knallte die Tür und weg warst du. Du müssest zum Unterricht, waren deine Worte, und schon wusste ich nicht, wann ich dich wiedersehen würde. Ich ging auf die Straße hinunter und wanderte kreuz und quer, auf und ab durch die Stadt, schaute Schaufenster an, kaufte Bücher, die ich dann nicht las, legte mich im Park in die Sonne, blätterte bei einem Wodka-Orange in Zeitungen und Zeitschriften. Saß auf Plätzen, fütterte Tauben mit feuchtem Brot. Ich schaute Frauenbeinen und Hintern hinterher, die in abgewetzte Jeans eingezwängt waren, kaufte Popcorn und betrat irgendein Kino, ohne darauf zu achten, welcher Film gezeigt wurde, oft saß ich vor monströsen Streifen: öde Western oder irgendwelche Psycho-Beziehungskisten für blöde Schnepfen an ihrem freien Nachmittag. Wenn ich das Kino verließ, dämmerte es bereits, und hier und da gingen die Laternen an, die Menschen hetzten stressergeben durch den verrinnenden Tag. Abends aß ich Hamburger oder Omelette, trank noch einmal einen Wein, las in einem längst vergessenen Buch und kehrte allmählich nach Hause zurück, denn die Wohnung war eiskalt und ich wollte meine Nacht nicht mit Schatten und Grübeln füllen. Wenn du um zwei noch nicht zurück warst, legte ich mich ins Bett (denn nun würdest du gewiss nicht mehr kommen) und las weiter, bis ich einschlief. Am nächsten Morgen lag das Buch auf dem Boden, das Licht brannte in einer harten, trockenen Mittagssonne, die auf meine Tische und Wände Streifen malte. Dann musste ich mich fertig machen, mein Gesicht waschen, mit dem Alltagstrott beginnen, weil möglicherweise kämst du ja heute Nacht nach Hause.
Denn letztendlich kreuztest du immer wieder auf, es vergingen nie zwei Tage, ohne dass du hereingeschneit wärst. Doch diesmal war es anders. Am ersten Tag machte ich mir keine Gedanken: Morgen würdest du bestimmt wiederkommen. Am dritten Tag begriff ich, dieses Mal würde es anders sein, und in den folgenden Tagen (die ganz, ganz allmählich zu Wochen wurden) verlor ich das Interesse an den Dingen: Ich trank Wein wie Wasser; ich ging nicht mehr ins Kino, aß keine Hamburger mehr und schaute nicht mehr auf die wiegenden Hüften der Frauen. Ich blieb zu Hause. Vielleicht kommt sie in der Früh, dachte ich bei mir. In der Folge verließ ich die Wohnung gar nicht mehr und staubte immer wieder die Möbel ab, fegte und saugte Staub: Wenn du zurückkämst, sollte alles ganz sauber sein. Dann nicht einmal mehr das. Es schien, als habe die Sonne aufgehört, unseren Planeten anzustrahlen, alles wurde finster, schwarz, undurchdringlich. Ich putzte nicht mal mehr: Der Staub sammelte sich in den Ecken, unter den Möbeln, und strich man mit dem Finger über eine Fläche, schob man einen weißen Staubberg vor sich her. Ich rasierte mich nicht mehr und duschte nicht mehr. Ich blieb im Bett, aß Brotkanten und trank Kondensmilch. Eines Tages knurrte mein Bauch so sehr, dass ich in den Supermarkt hinunterstürzte und völlig gehetzt Käse, Milch und Paprikawurst einkaufte und gleich an Ort und Stelle verschlang. Die Leute starrten mich an, als sei ich ein Wurm, ich verkroch mich sofort wieder ins Bett und blieb dort. Von hier aus sah ich die Stunden vorbeiziehen: Es wurde Nacht, es wurde Tag, ich sah den Sonnenstrahl die Linien zwischen den Fliesen nachzeichnen, sich an der Wand hochwinden, sich leuchtend auf dem Poster platzieren, über die Decke klettern und schließlich durch das Fenster verschwinden, was hieß, nun war es wieder Nacht. Ich versuchte zu weinen, ich stellte das Denken ein, ich schloss die Augen, die Ohren stopfte ich nicht zu, denn ich hörte schon längst nichts mehr.
Es war die Nase, die mir mitteilte, dass du wieder da warst, du standest vor mir, betrunken, und deine Augen waren voller Wiesen mit blassen Törtchen, du sagtest nicht einmal »Hallo«, versuchtest erfolglos, unklare Worte zu artikulieren. Das Einzige, was ich tun konnte, war aufzustehen: Trotz der Blutleere in meinem Kopf tastete ich mich zwischen verschwommenen Helligkeiten durch, ohne abschätzen zu können, wie viele Tage seit deinem letzten Erscheinen vergangen waren. Ich öffnete das Fenster (wegen frischer Luft!), dann musste ich dich ganz vorsichtig und behutsam ausziehen und dabei aufpassen, dir nicht das Genick zu brechen (und dachte, alles würde werden wie zuvor), und ließ deinen Kopf auf Seidenkissen ruhen, denn anderntags würdest du nur noch diese haben wollen.