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2 Bitten Sie andere um Feedback und nehmen Sie es nicht persönlich; übernehmen Sie stattdessen Verantwortung

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»Nehmen Sie nichts persönlich.« Das ist das zweite der vier Versprechen – aus dem Buch Die Vier Versprechen: Ein Weg zur Freiheit und Würde von Don Miguel Ruiz –, nach dem zu leben ich mir große Mühe gebe. Ruiz schreibt, dass wir das, was um uns herum geschieht, nicht persönlich nehmen sollten, weil die Handlungen anderer nichts mit uns zu tun haben, sondern vielmehr mit ihnen.

Obgleich ich dies glaube, so glaube ich auch, dass es nicht heißt, dass wir anderen nicht zuhören und von ihnen lernen sollten. Ich erinnere mich daran, dass eine CEO einst zu mir sagte, dass einer der leitenden Angestellten die schlechten Ergebnisse der Mitarbeiterzufriedenheit in seinem Bereich persönlich genommen hätte und dass sie ihm geraten habe, dies nicht zu tun. Meine Antwort lautete, dass er die Ergebnisse für die Bereiche, die er leitet, durchaus persönlich nehmen sollte. Das scheint vor dem Hintergrund von Ruiz‘ Worten verwirrend.

Mit Blick auf dieses Paradoxon habe ich einige Gedanken und Vorschläge:

Wie können wir Ergebnisse oder Feedback so interpretieren, dass wir sie nicht persönlich nehmen, aber dennoch daraus lernen und daran wachsen? Unser erster Gedanke muss sein, dass der Sender der Nachricht nicht verletzen, sondern helfen will. Wie in Kapitel 1 erörtert, sind die beiden wichtigsten Merkmale für persönliches Wachstum Kritik‐ und Lernfähigkeit. Feedback, das Kritikfähigkeit schafft, soll hilfreich sein. Eine Außenperspektive zu haben ist wertvoll; denken Sie daran: Ein Künstler kann einen anderen besser zeichnen als dieser sich selbst.

Wenn wir etwas persönlich nehmen, so wie Ruiz es beschreibt, kann es zu ungesunden Gefühlen führen, wie zum Beispiel Ärger und Groll. Diese Emotionen können zu Handlungen führen, die einen davon abhalten, eine Selbstinventur durchzuführen, und Situationen schaffen, die für alle ungesund sind. Ja, es kann sich kurz gut anfühlen, Luft abzulassen, zu lästern und sich zu rächen, aber nur selten führen diese Reaktionen zu einem zielführenden Ergebnis.

Ich neige dazu, die Reaktionen von Menschen in zwei Kategorien zu unterteilen: es persönlich nehmen oder Verantwortung dafür zu übernehmen. Beide ähneln sich teilweise, äußern sich aber in durchaus unterschiedlichen Handlungen. Die Führungskraft muss Verantwortung für die schlechten Ergebnisse übernehmen. Es hilft nicht, sich selbst die Schuld zu geben oder sich fertig zu machen, ohne sich zu verbessern, oder so bestürzt zu sein, dass es Sie hemmt oder gar hindert, positive Schritte nach vorn machen.

Folgende Vorschläge sollen Ihnen helfen, Feedback nicht länger persönlich zu nehmen:

1 Nehmen Sie eine Selbsteinschätzung vor. Ist das Feedback zutreffend? Wenn nicht, ist ein Teil davon korrekt? Wenn möglich, versuchen Sie, einen objektiven Maßstab zu finden. Seien Sie ehrlich mit sich selbst. Das Ziel ist Fortschritt, nicht Perfektion.

2 Wenn Sie nicht sicher sind, ob das Feedback zutreffend ist, wenden Sie sich an jemanden, dem Sie vertrauen, und bitten Sie um eine zweite Meinung. Es kann ein Mentor sein, ein enger Kollege, Freund oder Verwandter.

3 Berücksichtigen Sie, woher die Person kommt, ihre Motivation und ihren Gefühlszustand. Sender können Probleme haben. Eine verärgerte Person kann um sich schlagen, eine eifersüchtige Person kann negative Dinge sagen usw. Nehmen Sie das Zutreffende auf und lassen Sie den Rest hinter sich. Bedauerlicherweise können Menschen sehr kleinlich und absichtlich verletzend sein. Wenn man selbstkritisch ist, wird das – mit Hilfe anderer – leichter und leichter. Dennoch ist es mit Sicherheit manchmal schwierig.Wenn Ihnen jemand wegen einer früheren Interaktion mit Ihnen negatives Feedback gibt, seien Sie sich dessen bewusst, aber übernehmen Sie keine Verantwortung für seine Reaktion. Beispiele dafür sind, wenn Sie jemanden Dinge sagen hören wie: »Du hast mich wütend gemacht«, »Du hast mich zum Weinen gebracht«, »Wegen dir habe ich diesen Fehler gemacht«, »Du hast mich glücklich gemacht«. Während wir für unsere eigenen Handlungen Verantwortung übernehmen müssen, muss die andere Person zu ihrer Reaktion stehen, egal, ob positiv oder negativ.

4 Seien Sie nett zu sich selbst. Wir sind alle Menschen. Natürlich sind wir verletzt, wenn wir etwas über uns oder andere, die wir lieben, lesen oder hören. Das ist normal, aber versuchen Sie, es ins rechte Licht zu rücken, und betrachten Sie es als Gelegenheit, Vergebung, Selbstfürsorge und hoffentlich das Streben nach persönlichem Wachstum zu praktizieren. Machen Sie sich nicht fertig und nehmen Sie keine ungesunden Handlungen vor, die die Situation noch verschlimmern könnten.

Stellen Sie sicher, dass Sie den Menschen erlauben, Ihnen Feedback zu geben. Häufig stelle ich fest, dass Führungskräfte aufgrund ihres Umgangs mit Feedback in der Vergangenheit kein hilfreiches Feedback bekommen. Wenn wir mit stillem Schmerz oder Ärger reagiert haben, werden Menschen nur widerwillig noch mal Feedback geben. Lassen Sie die Person wissen, dass Sie ihr Feedback schätzen werden und damit umgehen können.

Großartige Führungskräfte schaffen Kulturen, die Menschen ermutigen, Feedback zu geben. Der Harvard‐Professor Adam Grant, der das fantastische Buch Nonkonformisten schrieb, identifizierte einige Organisationen und Führungskräfte, die außergewöhnlich erfolgreich sind. Wie ich bemerkte, war ihnen gemeinsam, dass diese leistungsstarken Unternehmen eine Führungsspitze hatten, die nicht nur offen für Feedback war (selbst wenn sie nicht konform ging), sondern auch Systeme und Verhaltensweisen installierte, die eine Kultur schufen, in der jegliches Feedback belohnt wurde.

Das ist nicht leicht. Selbst wenn eine Führungsperson sagt: »Ich möchte Ihr Feedback«, widerstrebt es vielen aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit, dieses zu geben. Manchen Menschen wurde anerzogen, eine Person nicht vor anderen und eine Person in einer höheren Stellung gar nicht herauszufordern. In anderen Fällen wird in Hoffnung auf Belohnung möglicherweise nur berichtet, was die Führungsperson hören möchte.

Um eine Umgebung zu schaffen, in der Feedback willkommen ist, muss die Führungsperson bereit sein, ihr Ego zu reduzieren und ein guter Schüler zu sein. Folgende einfache Tipps können helfen:

Wenn Ihnen jemand unter vier Augen Feedback gibt, danken Sie ihm/ihr und bitten Sie ihn/sie, es in einem Meeting oder in einem anderen öffentlichen Rahmen noch einmal vorzubringen. Wenn er/sie es tut, danken Sie ihm/ihr nochmals und legen Sie noch eins drauf: Verändern Sie Ihre Position aufgrund des Feedbacks. Damit senden Sie die Botschaft, dass Sie offen für Feedback sind.

Stellen Sie Fragen. Machen Sie es den Menschen in Ihrem Umfeld deutlich klar, dass Sie ihre Hilfe brauchen, erwarten und schätzen werden. Verwenden Sie Worte wie »Bitte lassen Sie mich wissen, was mir fehlt« oder »Wenn Sie dies hier durchlöchern beziehungsweise problematische Bereiche identifizieren würden, welche wären das?« oder »Wenn Sie an meiner Stelle wären, was würden Sie anders machen?«. Der Schlüssel ist, zu kommunizieren, dass Sie offen sind und ihre Hilfe brauchen.

Spielen Sie dann und wann des Teufels Advokat. Nehmen Sie eine Position ein, von der Sie wissen, dass sie Fehler hat, und warten Sie ab, wer vortritt. Wenn es jemand tut, danken Sie ihm/ihr und erkennen Sie den Wert dieses Schrittes an. Wenn nicht, diskutieren Sie die Gefahr von Gruppendenken und fragen Sie, welche Schritte Sie ergreifen können, um eine sichere Umgebung für Feedback zu schaffen. Entschuldigen Sie sich außerdem dafür, es in der Vergangenheit versäumt zu haben, und wiederholen Sie, dass Sie in der Zukunft großen Wert darauf legen.

Nutzen Sie ein Befragungstool, um Menschen zu ermutigen, ihr Feedback anonym zu geben. Auch wenn wir es lieben würden, wenn Menschen sich sicher genug fühlten, um ihre Meinung aus dem Stegreif zu äußern, so braucht es doch Zeit, diese Art von Umgebung zu schaffen. Der Einsatz von Umfragen, bei denen Menschen anonym antworten können, kann sehr wertvoll sein. In unseren Unternehmen führen wir jedes Jahr eine Mitarbeiterbefragung durch, teilweise um sicherzustellen, dass unsere Führungskräfte diese Art von Umgebung für ihre Beschäftigten schaffen.

Wenn Sie merken, dass Sie emotional werden, drücken Sie die Pausetaste. Je mehr Sie sich daran gewöhnen, ehrliches Feedback zu bekommen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Sie es persönlich nehmen. Doch wir sind alle nur Menschen und es wird Zeiten geben, wenn wir trotzdem verletzt oder verärgert sind. Wenn das geschieht, ist die Pausetaste das beste Instrument. Ein wenig Zeit kann den Unterschied machen zwischen einer guten Reaktion und einer Reaktion, die zur Verschlechterung der Situation führt. Ich habe es nur selten bereut, eine Pause gemacht zu haben. Ich habe es häufig bereut, es nicht getan zu haben.

Eine Führungskraft zu werden, die Feedback gnädig annehmen, daraus lernen und daran wachsen kann, ist leichter gesagt als getan. Allerdings ist es ausschlaggebend, damit Sie die beste Führungskraft werden, die Sie sein können – und Ihre Organisation die beste, die sie sein kann.

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