Читать книгу Der letzte Flug des Chyratos - R.A. Liebfahrt - Страница 10

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Gemeinsame Sprache

„Esel, Pferd, Maultier …“ Ätsch, wieder falsch!“, trötet Niki zu mir. „Dromedar wäre es gewesen.“ Wir spielen gerade „Lahmes Huhn“, weil jede zweite Antwort von Niki „Lahmes Huhn“ ist. So vertreiben wir uns die Zeit. Manchmal kommt mir wirklich schon vor, dass ich ein lahmes Huhn bin, denn ich humple, ziehe ein Bein nach und fliegen kann ich auch noch nicht. „Jetzt bin ich an der Reihe und du musst raten“, spreche ich Niki an. „Lass mich überlegen, ja, das ist es, geht schon, du kannst schon raten.“ „Ja, aber vorher musst du mir schon einen Tipp geben, ein Zeichen oder eine Geste verraten.“ „Ja, mache ich!“ Vorsichtig lege ich mich in Flughaltung, ganz klein und stromlinienförmig kreise ich um Niki herum, mit einem scharfen Blick auf sie gerichtet. „Flugzeug, Rakete, fliegender Teppich“, rät Niki. „Nein, ganz falsch liegst du da“, gebe ich zur Antwort. „Ist es vielleicht ein Lebewesen?“ „Ja, es wird schon wärmer“, mache ich ihr Hoffnung. „Schmetterling, Biene, Hummel“, versucht Niki das Rätsel zu lösen. „Nein, wieder falsch, aber es wird schon wärmer.“ „Ist es eine bemannte fliegende Untertasse?“, kichert sie. „Fast erraten“, gebe ich schelmisch zurück. „Denk nach, was umkreist ein Huhn von oben?“ Niki denkt kurz nach, und stürzt sich dann wie wild auf mich. „Du elender Schuft, mich mit so etwas zu belasten, Hühnerhabicht“, sagt sie entschlossen. „Erraten, du hast es tatsächlich erraten und hast damit gewonnen!“, sage ich um wieder ihre Laune zu heben. „Das war nicht fair, ich mache ja auch keinen Jäger nach, welcher dich abschießt.“ „Schon gut, du wirst doch noch einen kleinen Spaß verstehen, schließlich verspottest du mich ja auch immer mit dem Lahmen Huhn!“, eine Anspielung auf mein Humpeln. „Vergiss es“, sagt Niki, „lass uns lieber beobachten, was Dominique so treibt.“ Durch den Spalt in der Türe spähen wir in die Küche, und sehen dem Treiben zu. Alles dampft und brodelt wieder, Dominique liest in ihrem Buch immer wieder nach und gibt so nach der Reihe Zutaten in den Kessel, oft macht es dann einen Zischer und Funken fliegen, man könnte auch sagen, es gibt kleine Explosionen. Wenn sie die Zutaten in den Kessel gibt, spricht sie dazu, es klingt fast wie beten, es sind bestimmt Zaubersprüche oder Flüche, wer weiß? „Verstehst du etwas?“, frage ich Niki. „Keine Silbe“, antwortet sie. Allein das Zusehen ist Unterhaltung genug und der beste Zeitvertreib, denn Dominiques Gesten sind einzigartig. Oft zieht sie ganz gespannt die Mundwinkel an, dann spuckt sie wieder in den Kessel, dann wiederrum reißt sie ihre Augen weit auf. Jetzt macht sie einen Tanz, eine Art Ritual, und beschwört die Geister. Laut ruft sie: „Fertig, er ist fertig, wir können in die Testphase gehen!“, rührt noch einmal um, und spricht uns direkt an: „Ihr könnt nun reinkommen!“ „Wie hat sie uns nur bemerkt?“, raunt Niki zu mir. „Übersinnliche Fähigkeiten“, antworte ich, „oder vielleicht ist es auch nur dein Geruch.“ Sofort bekomme ich einen Krallenschlag auf mein lahmes Bein. „Aua, was soll das?“ „Geschieht dir ganz recht, du frecher Adler!“

„So, meine Lieben“, beginnt Dominique zu sprechen. „Heute wird sich zeigen, ob wir miteinander kommunizieren können, und zwar in einer gemeinsamen Sprache, damit wir nicht immer erraten müssen, was der andere will. Gibt es Freiwillige für den Versuch?“, fragt sie. Ich trete zurück und schubse Niki nach vorne. Diese dreht sofort um und will den Rückzug antreten, doch Dominique hat sie schon geschnappt und beginnt mit dem Versuch. „Hab keine Angst, mein kleines Vögelchen“, spricht sie und streichelt Niki dabei. Ich merke, wie bei Niki die Augen ganz groß werden. Dominique stellt Niki auf ihren Arbeitstisch und beginnt mit dem Ritual. Sie spricht laut und singend ihre Zaubersprüche, beräuchert Niki mit dem Räucherstab, rührt nebenbei im Kessel, nimmt einen Schöpfer heraus und sagt zu Niki: „So, nun mach deinen Schnabel brav auf!“ Niki presst fest zusammen, doch Dominique hat schon ihre Griffe, und sie drückt unterm Ohr auf einen Punkt, der Schnabel öffnet sich von selbst und Schwupp, der Trank fließt durch den Schnabel, durch den Schlund in den Magen. Niki rülpst kurz auf, schaut sich um und spricht: „Tu parle le francais! (Du sprichst Französisch!)“, und schaut uns dabei seltsam an. Niki zeigt auf mich und spricht weiter: „Toi beau et grand aigle! (Du schöner großer Adler!)“ Verwundert blicke ich zu Dominique und beginne zu lachen, auch sie lacht nun herzhaft. „Da habe ich mich wohl bei der Sprache vertan!“ „Ce u’ais pas drole (Es ist nicht witzig)“, gibt Niki zu verstehen. „Kein Grund zur Aufregung“, beruhigt Dominique, „das werden wir gleich haben.“ Dominique beginnt ein zweites Mal mit ihrem Ritual. Sie spricht einige Sprüche vor sich hin, hebt den alten Zauber auf, und beschwört nun wieder den Kessel und seinen Inhalt. Verstehen kann ich sie nicht, aber es klingt irgendwie nach „german“ oder so. Schließlich nimmt sie ein Buch und lässt zu meinem Erstaunen die Wörter und die Buchstaben tanzen. Ich schüttle meinen Kopf, „ob ich wohl richtig sehe?“ Doch, es ist real, Dominique lässt Buchstabe für Buchstabe in den Topf wandern und leiert dabei ihre Beschwörungen. Mit viel Phantasie kann man auch eine Melodie heraushören, oder ist es nur der siedende Kessel? Ich weiß es nicht. Zum Schluss gibt sie noch ein Pulver dazu, was zu einem kurzen Knall führt, und ich mich erschrocken zurückbeuge. Als sich der Dunst gelegt hat, sehe ich, wie Dominique mit dem Kopf nickt: „Passt, so habe ich mir das vorgestellt. Nun bist wieder du an der Reihe!“, und zeigt dabei auf Niki, welche ängstlich vor sich hin redet: „D’autres essais s’il vous plait. (Weitere Versuche bitte.)“ Ohne zu zögern verabreicht Dominique Niki den nächsten Schluck und wartet gespannt auf das Ergebnis. Alles ist ruhig und Niki schweigt. Dominique durchbricht das Schweigen und fragt: „Geht es dir gut?“ „Schön, dass du fragst, Alte!“, gibt Niki spontan zur Antwort. „Werd nicht frech!“, entgegnet Dominique, „sonst gibt es Hühnersuppe.“ Sie jauchzt vor Freude, und weiß, was geschehen ist. „Ich kann dich verstehen!“, sie nimmt Niki in den Arm und sagt: „Nenn mich nie wieder Alte, verstanden!?“ „Verzeihung“, sagt Niki, „darf ich Dominique sagen?“, folgt die Frage zurück. „Gerne, aber mit etwas französischem Ausdruck bitte!“, antwortet Dominique und lacht dabei. „So, nun zu dir, mein Kaiseradler, jetzt werden wir dir auch das Sprechen beibringen.“ Ohne zu fragen nimmt sie mich, stellt mich auf den Tisch, spricht die Worte, reißt mir den Schnabel auf, gibt eine zweite Ladung nach, wartet nicht auf die Wirkung, streckt mir ihre Hand entgegen und sagt: „Hallo, ich bin Dominique, und wer bist du?“ Zögerlich antworte ich: „Ich heiße Fred, Fred Kaiseradler.“ „Fred ist zwar schön, passt aber nicht zu einem Kaiseradler, ich werde dich Frederik nennen, um deine Würde zu betonen!“, antwortet Dominique schnell. Sie umarmt mich herzlich mit den Worten: „Willkommen in meiner Welt! Frederik, nun musst du mir aber deine Lebensgeschichte erzählen, besonders interessiert mich, wie du hergekommen bist.“ Diese Sprache fühlt sich zwar noch fremd an, aber ich beginne zu erzählen. Ich erzähle vom Leben mit Femina, vom Horst und meinem Kaiserreich, von der Zerstörung, vom Aufbruch, von der Suche, von der Rettung, bis zum Absturz auf die Hütte. Dominique folgt gespannt meinen Erzählungen. Schließlich kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Tränen fließen über meine Wangen und ich sage: „Sie fehlt mir so sehr, ich vermisse sie!“ „Das kann ich gut verstehen“, drückt mich Dominique wieder an sich. „Es tut weh, wenn man jemanden verliert, doch du bist der Auserwählte.“ „Was bin ich?“, frage ich nach. „Na, der Auserwählte, es passt alles zusammen, die Vorhersage, die Zerstörung, und letztendlich deine Rettung. Ist dir bewusst, dass du überlebt hast?“ „Was habe ich überlebt?“ „Na, die unsichtbare dunkle Energie, das ist kein Zufall!“ „Dafür habe ich aber einen hohen Preis bezahlen müssen“, senke ich mein Haupt. „Für mich ist das ein Opfer zu viel, ich will nicht der Auserwählte oder sonst wer sein, ich will Femina zurück und sonst nichts!“, entgegne ich Dominique etwas forsch. „Wer weiß, vielleicht kommt sie ja zurück“, will sie mich beruhigen, „und vorher wirst du noch eine Menge erleben, das spüre ich ganz deutlich, außerdem bist du nicht allein, du hast ja uns!“, und sie zeigt dabei auf sich und Niki. „Das sind ja schöne Aussichten!“, gebe ich zu verstehen. „Entoures-vous de fous et vous et tu gaguera (Umgib dich mit Verrückten, und du wirst siegen)“, lässt Niki auf einmal einen Spruch los, und alle beginnen herzhaft zu lachen.

Der letzte Flug des Chyratos

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