Читать книгу Der letzte Flug des Chyratos - R.A. Liebfahrt - Страница 14
ОглавлениеMeine Ausbildung
„Ich wünsche einen wunderschönen guten Morgen“, weckt mich Dominique nicht gerade sanft. „Aufstehen, heute ist der Tag des Neubeginns.“ Ganz verschlafen mache ich mich gerade. Was soll heute schon für ein Tag sein? Ein Tag wie jeder andere hier oben auf der Alm. „Mach schon, wir haben keine Zeit zu verlieren“, treibt mich Dominique an. „Heute beginnt dein Training, und dafür ist es besser, einen leeren Magen zu haben, mit freiem Kopf und freiem Geist.“ Verkrampft humple ich ihr nach. „Ach, könnt ich nur so ein dummes Huhn sein wie Niki, dann könnte ich weiterschlafen, aber nein, die Schöpfung hat mit mir Besonderes vor“, sinniere ich so vor mich hin. Gemeinsam mit Dominique nehme ich draußen vor der Hütte Stellung. Dominique tritt mir gegenüber, schaut mir in die Augen, und fragt: „Vertraust du mir voll und ganz, ohne Wenn und Aber?“ Ohne zu überlegen antworte ich mit einem „Ja“. „Gut, dann bringen wir dich in Form, als Erstes werde ich dein lahmes Bein heilen, dafür habe ich dir eine Suppe gekocht, ich nenne sie soupe aux jambes de cigogue (Storchenbeinsuppe).“ Ich schaue sie an, und frage: „Sind da wirklich Storchenbeine drinnen?“ „Natürlich“, sagt sie lachend, „die fallen bei mir so vom Himmel. Trink jetzt einfach, und du musst alles auf einmal austrinken, sonst hinkst oder springst du noch mehr.“ Gesagt und getan, leere ich die Brühe in vollem Zug hinunter, und warte, was passiert. Als sich nach einer Weile nichts rührt, mache ich mir schon Sorgen. „Wirkt sie nicht?“, gebe ich Dominique zu verstehen. „Geduld, mein Lieber, Geduld, du wirst schon sehen.“ Es vergeht eine halbe Stunde, ich stehe da und warte, und als ich schon kopfschüttelnd weggehen will, fährt mir ein Schmerz durch den Körper. Dieser Schmerz sucht seinen Weg und fährt der Wirbelsäule entlang, schnurstracks durch mein lahmes, gebrochenes Bein. Ich würde meinen, dieser Steher kocht. Ich beginne zu hüpfen, weil ich glaube, mein Bein verbrennt. Wie wild renne ich hin und her, versuche Abkühlung zu finden, laufe zum Brunnen und halte sofort den Adlergreif hinein. Es zischt und dampft nur so, Erleichterung macht sich breit. Langsam stelle ich das Bein wieder auf die feste Erde, und sofort beginnt es zu laufen, zu springen. Ich drehe mich herum, mein zweites Bein muss einfach mit. „Ist das ein neuer Tanz?“, bemerkt Niki, welche in diesem Augenblick zur Tür heraus kommt. „Sieht cool aus“, bemerkt sie weiter. „Vielleicht sollte ich ihn Kaiserwalzer nennen, nein, nicht gut, passen würde eher Storchhaxn-Quickstep. Ach, es gibt nichts Schöneres als in der Morgensonne einen tanzenden, verrückten Adler zu sehen. Willst du auch eine Suppe?“, spricht Dominique zu Niki herüber. „Nein, bitte nicht, ich will ihre Majestät nicht in den Schatten stellen.“ „Für dich hätte ich etwas ganz Eigenwilliges, Niki, eine richtige Schwanzfederntinktur, damit könntest du auf deinen Schwanzfedern gehen und springen.“ „Echt witzig“, gibt Niki zurück. Schön langsam wird es bei mir ruhiger. Die Bewegungen werden langsamer und hören schließlich ganz auf. Nach einer kurzen Pause versuche ich, selbstständig mein kaputtes Bein zu bewegen. „Es funktioniert!“, rufe ich Dominique zu. Weiter und weiter beginne ich alles durch zu probieren, und stelle fest, dass mein lahmer Adlergreif voll bewegungsfähig ist und alle Sinne und Nerven voll auf mich reagieren. Voller Freude springe und renne ich um die Hütte, den Berg hinauf und wieder runter. In meinem Übermut packe ich Niki beim Schopf und hebe sie auf, „na, du hast aber zugenommen“, bemerke ich schadenfroh, „du kleiner fetter Vogel.“ „Du hast keine Kraft, du hochnäsiger Geier“, gibt mir Niki zurück. „Niki hat Recht“, schaltet sich Dominique ein, „du wirst deine verloren gegangene Kraft wieder auftrainieren müssen.“ Sofort zeigt sie mir meinen Trainingsparcours, welchen ich ab heute mehrmals täglich zu absolvieren habe. Zum Training gehören Laufen, Springen, Beutegreifen und Heben, sowie Adleryoga mit Dominique. Diese Abwechslung gefällt mir sehr gut, und ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin, besonders wenn ich auf das starre Huhn namens Niki neben mir blicke, welches schon beim „herabschauenden Gockel“ schlapp macht und vor sich dahin sudert. An meine Eleganz beim „Adlerkrieger“ wird Niki nie herankommen, und darauf bin ich stolz.
Ich bin ehrgeizig, übe und trainiere, wann immer es geht. Auch für meine Flügelkraft hat mir Dominique Übungen gezeigt, aber meine Schwinge schmerzt noch sehr, und ich brauche immer eine große Überwindung, um diese durchzuziehen. Am liebsten ist mir das Training ganz alleine. Da bin ich ganz bei mir und halte so meine innere Meditation. Gerade bin ich auf der Streckbank und dehne meinen Fuß, ich schließe meine Augen und tauche ein in meine Welt. Es ist die Welt von uns Adlern. Hoch über dem Land kreise ich elegant, meine Augen überblicken die ganze Welt unter mir. Ich gleite leicht, mit ausgestreckten Schwingen, mache dabei keinen einzigen Flügelschlag. Unter mir liegt mein Land und ober mir ist mein Himmel. So kreise ich stundenlang und keiner kann mir diese Stimmung wegnehmen. Noch schöner wäre es, wenn ich diese Stimmung mit meiner Femina teilen könnte, denn es ist genug Platz für zwei oder drei oder mehrere Adler. Es ist ein Reich von unendlicher Größe und Fülle und niemand macht mir dieses Reich streitig, dafür stehe ich und dafür kämpfe ich. Etwas schmerzt mein Bein noch beim Dehnen. Ich werde jede Qual und jede Last auf mich nehmen, nur um dieses Reich zurück zu erobern, und müsste ich auch die Atmosphäre durchbrechen, so könnte mich niemand aufhalten. „Strecken, strecken, es geht noch ein bisschen mehr“, fordert mich meine Spezialtrainerin Niki auf. Ich beiße den Schnabel zusammen und strecke mein Bein ganz durch. „So stelle ich mir das vor“, bemerkt Niki darauf. Nach einer Weile sagt sie: „Ich bewundere dich, du bist für mich der größte Adler!“ „Führst du etwas im Schilde, oder brauchst du etwas von mir?“, spreche ich zurück. „Das meine ich ehrlich, weil ich Angst habe.“ „Warum hast du auf einmal Angst?“, frage ich sie ganz leise. „Die Welt da draußen macht mir Angst, sie werden uns finden, dann machen sie uns gefügig oder töten uns sofort“, zittert Niki. „Sie werden Dominique wieder einsperren und foltern, genauso wie sie Toni erpressen werden, damit er das Versteck verrät. Wohin können wir fliehen, wenn es so weit ist?“, spricht Niki weiter. Sie senkt den Kopf und sagt: „Wir können nirgendwo hin, wir sind bereits eingesperrt!“ Mit meinem Schnabel hebe ich Nikis Kopf hoch, blicke ihr in die Augen und spreche: „Es gibt einen Weg, und wir werden ihn gemeinsam gehen! Unsere Mission heißt Hoffnung, Liebe und Glaube“, ergänze ich meine Worte. „Dominique schenkt uns Hoffnung, gibt uns Kraft, Mut und den notwendigen Schutz und Zauber. Für meine große Liebe Femina gehe ich durch Dick und Dünn, und der Glaube an uns und den Erfolg wird uns führen. Ich brauche dich, Niki, denn alleine kann ich das nicht und das weißt du ganz genau.“ Ich „umflügle“ Niki und es wird leichter. Dominique lehnt an der Tür, sie hat uns beobachtet, ein zufriedenes Lächeln ziert jetzt ihr Gesicht. In Gedanken sind wir alle eins, und das kann uns niemand nehmen!