Читать книгу Der letzte Flug des Chyratos - R.A. Liebfahrt - Страница 8
ОглавлениеAuf der Alm
„Du hattest wirklich viel Glück, du großer dummer Vogel du. Wie kann man auch nur einfach vom Himmel fallen? Sag, konntest du nicht einmal fliegen, wozu hast du auch diese komischen Dinger da an beiden Seiten? Fällt mir direkt aufs Dach ohne zu bremsen, Sachen gibt es. Na, in dieser Zeit ist alles möglich, alles ist verdreht und verrückt. Die Welt steht sowieso nicht mehr lange, aber bis es so weit ist, lassen wir es uns gut gehen hier oben. Von niemandem lasse ich es mir nehmen, dieses Leben und diese Freiheit. Ich muss echt lachen über diesen Vogel, hält noch dazu ein Huhn unter dem Arm, oder sollte ich besser sagen unter dem Flügel? Wir bekommen das schon wieder hin, schließlich habe ich so meine Methoden, und dies wäre nicht das erste Mal, dass ich jemanden wieder auf die Beine oder die Stelzen bringe.“
„Das ist nur Dominique, du wirst sie nicht verstehen. Sie redet oft so vor sich hin. Ist aber ganz nett und lustig.“ „Ich verstehe nicht, wer redet da mit mir?“ „Hallo, mein Großer, ich bin es, Niki, dein Begleithuhn.“ „Niki, mein Begleithuhn“, beginnen meine Sinne wieder zu arbeiten. Ich öffne die Augen und ein kleiner gelber Schnabel ragt mir entgegen. „Du hast aber lange geschlafen, du Absturzadler“, redet Niki weiter. „Wie lange habe ich denn geschlafen?“, frage ich zurück. „Na, es waren sicher ein paar Tage oder so“, berichtet das zerrupfte Huhn. „Wo bin ich?“, frage ich weiter. „Wir sind in großer Höhe in einem Haus, oder soll ich Almhütte sagen?“, kichert es vor sich hin. „Warum lachst du?“ „Na, sieh selber.“ Ich richte mich ein wenig auf und schaue mich um. Dampf und Nebel durchziehen den Raum, vielleicht ist es auch Rauch, ich weiß es nicht. Da vorne ist ein Herd, und aus den Töpfen, welche drauf stehen, brodelt und quillt es nur so heraus. Ich würde sagen, wir befinden uns in einer Hexenküche oder einer Zauberwerkstatt. Es ist so mystisch, düster und geheimnisvoll. Ich will mich weiter bewegen, doch es schmerzt überall, und meine Bewegungen sind eingeschränkt. „Aua, aua“, seufze ich vor mich hin, und bemerke, dass ich einen weißen oder doch etwas schmutzigen Verband trage. Besonders betroffen sind der rechte Flügel und das linke Bein. „Sie hat dich wieder zusammengeflickt“, bemerkt Niki mit einem Grinsen im Gesicht. „Ist sie neben einer Hexe auch noch Tierarzt oder so?“, entgegne ich ihm. „Das könnte man so sagen, aber sie ist gut, und hat es voll drauf.“ „Wie meinst du das?“ „Zuerst hat sie dir den lahmen Flügel gebrochen, oder vielleicht hat sie ihn nur eingerenkt, mit Nadel und Zwirn die Schrammen genäht, dann noch mit einem Stock geschient und verbunden. Des Weiteren hat sie dein linkes Augenlid hochgezogen, mit einem Gummiband verbunden, das es hochhält und dass es doch beweglich bleibt. Drittens hat sie dir die Krallen geschnitten und dein abgebogenes Bein in Stellung gebracht, wieder geschient und mit einem Stützstrumpf überzogen. Du siehst aus wie ein Uhu nach dem Waldbrand, total zerpflückt, bunt, mit fetzigem Outfit. Du müsstest dich sehen können“, bemerkt der Gockel und lächelt dabei. „Du kleines schadenfrohes Luder, wie kannst du es wagen, den König der Lüfte auszulachen!? Und dir ist natürlich nichts passiert?“, frage ich Niki. „Nein, kleine dumme Hühner haben immer Glück, ich bin unversehrt geblieben, doch nur weil du mich mit deinem Federkleid geschützt hast.“ Niki rennt auf mich zu, umarmt mich, dockt mit seinem Schnabel an den meinen, und ruft laut: „Danke!“ „Ist schon …“, versuche ich sie abzuwehren. „Nein, ein Dankes-Pecker muss sein“, und hackt weiter herum. „Erzähl mir lieber, was genau passiert ist.“ Niki berichtet vom Raketenstart senkrecht in die Lüfte hinauf, vom schwerelosen Raum, von der Ohnmacht, und dann vom Aufprall auf der Hütte, und dass sie im Suppentopf gelandet ist, und fast ertrunken wäre, hätte Dominique sie nicht gerettet. Komisch, ich kann mich an gar nichts mehr erinnern, es ist wie ein Filmriss.
In diesem Augenblick kehrt Dominique zurück und beginnt wieder zu sprechen. „Na endlich, es wurde auch schon Zeit, dass du munter wirst“, spricht sie mich an. Behutsam nimmt sie mich und probiert mich aufzustellen. Wackelig und zittrig halte ich mich auf den Beinen. „Funktioniert doch“, bemerkt sie nebenbei. Ich versuche mit meinem „Adlerisch“ zu antworten. „Sie kann dich nicht verstehen“, gackert Niki dazwischen. „Hauptsache ist, wir können sie verstehen. Ich sage dir eines, hier bleiben wir, es ist wie in einem Fünfsternehühnerstall. So gut versorgt wurde ich schon lange nicht mehr.“ Niki stochert weiter in ihrer Schale mit Körnern und Samen. Da beginnt Dominique mich abzutasten, bemerkt dazu gleich: „Wehe, wenn du mich pickst mit deinem langen großen Schnabel, dann mache ich eine Adlerbrühe aus dir!“ „Es heilt gut“, spricht sie so vor sich hin, „du wirst bald wieder fliegen können, vorher müssen wir dich aber wieder zu Kräften bringen. Bleib so stehen, ich hole dir etwas“, redet sie weiter, und verlässt den Raum. Kurzum kehrt sie mit einer Schüssel zurück, und was erblicken meine Adleraugen da? Fleisch, richtiges Fleisch. Mit kleinen Happen beginnt sie mich zu füttern, zuerst langsam, aber dann schlinge ich die Stücke nur so hinunter. Es ist eine Ewigkeit her, dass ich so gespeist habe. In meinem Magen rumort es ein wenig, er muss sich erst wieder an die Zersetzungsarbeit gewöhnen. Mit dem Fleisch kehrt wieder Leben und Energie in meinen Körper zurück. Nach dem Mahl streicht Dominique über mein Federkleid. „Du bist schön, sehr schön sogar, du bist ein edles Tier“, sagt sie zu mir. Ich gurgle zurück, und sie weiß, dass ich sie verstanden habe. Ganz entspannt, mit vollem Bauch, betrachte ich Dominique genau. Mag der erste Eindruck etwas schrullig erscheinen, so ist sie doch eine hübsche Frau. Das kurze schwarze Haar steht ihr gut, eingefasst in ein buntes Band, welches die Frisur zusammenhält und die Stirnfalten verdeckt. Das runde Gesicht ist geschmückt mit den dunkelbraunen Augen, und die roten Wangen sind auch nicht ohne, selbst die kleine Warze auf der Nase schmälert ihre Eleganz nicht, und wenn schon, sie ist halt eine Hexe. Sie hat mir das Leben gerettet und hat ein gutes Herz. Sie trägt einen roten Pullover und eine schwarze Hose, doch was sehe ich da? „Schuhe mit Absätzen, echt schräg“, bemerke ich in meinem Unterbewusstsein. Die Lady ist echt abgefahren.
„Genug mit Träumen“, packt mich Dominique auf einmal, und schleppt mich hinaus vor die Hütte. Die Sonne scheint ganz grell. Meine Augen vertragen das noch nicht so ganz und müssen sich erst daran gewöhnen. Nach einer Weile kann ich diese fremde Welt erblicken. Wunderschön liegt sie da, diese Hütte, inmitten eines Hochplateaus umrahmt von Bergen. Ganz weit vorne glitzert ein See in der Sonne. Es gleicht einem Paradies, und erinnert mich wieder an früher. Bilder von unserem Adlerhorst in den zirbischen Bergen gehen mir durch den Kopf, der blaue Himmel und die Sonne, welche die Natur berührt und schimmern lässt, wie im Paradies. „Femina!“, rufe ich laut, der Gedanke an früher holt mich in die Realität zurück. Ich senke mein Haupt. Dominique bemerkt dies sofort, und fängt mit mir zu reden an: „Na, wer wird denn bei so einem Wetter traurig sein? Lass einfach die Vergangenheit hinter dir, schau in dieses Land und gestalte dir deine Zukunft neu!“ Sie wischt mir über den Kopf, streicht mit einem verkehrten Löffel über die Federn in alle Richtungen, zerstäubt das Ganze und beginnt zu blasen. Etwas beängstigend ist das schon. Es hat etwas mit Magie oder so zu tun. Hauptsache es hilft, meine dunklen Gedanken sind wie weggeblasen, und auch die Schmerzen sind nicht mehr zu spüren. Ich hebe meinen Kopf und man kann es an meinen Augen sehen, dass ich mich wohlfühle. „Die kann echt was, die Alte“, bemerkt Niki, welche gerade um die Ecke kommt, hüpft auf meinen Rücken und zieht mir die letzte Laus unter den Federn heraus. Laut ertönt unser Gelächter oder „Gegackere“, und selbst Dominique schmunzelt vor sich hin und sagt: „Danke, Herrgott, du hast mir lachende Vögel geschickt, die können nur aus dem Himmel gefallen sein!“