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Ich will leben!

Ich fliege hinein in das Blau, es ist ein himmlisches Blau und lässt sich mit gar nichts anderem vergleichen. Ich steige höher und höher mit einer Leichtigkeit, welche ich so noch nie gespürt habe. Unter mir folgt Femina, diesmal habe ich sie überholt, ich steige weiter und weiter. Ein wunderbares Gefühl der Freiheit ist das. Von oben sehe ich auf meine Femina. Ihre Zeichnung ist wunderschön. Es spiegelt ihren Charakter wider, zackig bunt gemischt mit einer gewissen Eleganz. Ihr stromförmiger Körper und ihr sportliches Ganzes sind einfach umwerfend. So könnte es für immer bleiben. So muss der Himmel sein und nicht anders. Nur eines stört mich ein wenig, es ist dieses Zwicken und Pecken, das ich verspüre. Nein, ich lasse mir den Himmel nicht so einfach wieder wegnehmen. Doch es hört nicht auf, es wird stärker und tut weh, sehr weh. „Steh endlich auf, Fred“, höre ich von weitem jemanden sagen. „Steh auf, du größter aller Vögel.“ „Nein, ich will nicht“, murmle ich vor mich hin. „Steh auf, kaiserlicher Gebieter, oder soll ich dir den Hintern wund picken?“ „Was erlaubst du dir eigentlich?“, spreche ich so im Unterbewusstsein, „wer bist du eigentlich?“ „Dein verrücktes Küken, das mit dir geflüchtet ist.“ „Wovor geflüchtet?“, frage ich nach. „Na, vom Speicher, von der Strahlung usw.“, antwortet das Küken. Jetzt dämmert es mir wieder, „ja genau, wir mussten weg, ich habe zuerst Femina gepackt und dann dich, und mit einem Male war es finster.“ „Femina, wo ist Femina?“, rufe ich laut. Ich öffne meine Augen und fange wie wild an zu suchen. „Sie ist hier“, spricht der kleine Vogel mit verhaltener Stimme und zeigt nach links. Ich springe auf und renne zu ihr. Ich rüttle und schüttle sie und schreie laut: „Steh auf, Femina, steh endlich auf!“ Doch sie rührt sich nicht und lässt den Kopf hängen. „Was ist mit ihr?“, frage ich den Kleinen. „Sie ist, ja, sie ist …!“ „Ja, was ist sie?“, brülle ich ihn an. Er traut es sich fast nicht auszusprechen. „Sie ist tot, sie hat es nicht geschafft.“ „Nein, Femina, das kannst du mir nicht antun. Los, sprich mit mir, gib wenigstens ein Zeichen, wenn du zu schwach bist. Ich pflege dich wieder gesund!“ Doch sie rührt sich nicht. Tränen rinnen mir über die Wange entlang vom Scheitel über den Schnabel hinunter. Es tropft und tropft, wie ein Wasserfall rinnt der Bach.

„Warum weinst du?“, höre ich plötzlich eine Stimme. Es ist Feminas Stimme, ja, ganz deutlich kann ich sie hören. „Ich bin doch hier“, gibt sie zu verstehen! Ich blicke auf den toten Körper, und bemerke: „Aber du bist doch gestorben!“ „Nein, ich lebe und war immer neben dir.“ Da geht es mir durch den Kopf, ja, diese innere Stimme, diese vertraute innere Stimme. „Du warst immer da, und ich habe es nicht bemerkt. Du hast mich geführt. Aber jetzt, was ist jetzt? Ich will zu dir, ich will auch sterben, dann sind wir wieder vereint.“ Einen kurzen Moment herrscht vollkommene Stille, doch da höre ich sie wieder, diese Stimme. „Nein, du musst sie aufhalten, du darfst sie nicht gewinnen lassen.“ „Wen darf ich nicht gewinnen lassen?“, frage ich zurück. „Na, die Menschen, welche alles zerstören und beherrschen wollen.“ „Ich kann das nicht“, entgegne ich. „Ich bin schwach, was soll ich gegen Maschinen und Strahlungen schon ausrichten? Ich will einfach nur zu dir, soll doch die Welt untergehen, denn ohne dich ist es hier eh nicht mehr lebenswert.“ „Tu es für mich, Fred, ich begleite dich, ich begleite dich …!“ Langsam verhallt die Stimme. „Femina, verlass mich nicht!“ „Mit wem redest du da?“, stupst mich das Huhn an. „Na, mit meinem Geist, der sagt, ich soll nervige Hühner einfach auffressen“, entgegne ich. Erschrocken weicht es zurück. „Sie ist es, nicht wahr? Du redest mit Femina, gib es ruhig zu.“ „Du hast ja Recht“, antworte ich. „Sie will, dass ich sie aufhalte und sie will, dass ich lebe.“ Ja, ich will leben, und tue es für sie. „Ich will leben“, rufe ich in den Himmel, „und ich werde sie aufhalten, und wenn ich dafür die Atmosphäre durchbrechen muss. Und du, kleiner Vogel, du hilfst mir dabei. Wie heißt du eigentlich?“ „Darf ich mich vorstellen, ich bin Niki Huhn, mein Vater war Nikolaus Hahn und meine Mutter war Henriette, die Nette, meine Oma war Charlotta …“ „Schon gut, Niki, du darfst mich Fred nennen.“ Wir kreuzen die Schnäbel, und sind von nun an Schnabel-Hacken-Brüder. Zur Draufgabe machen wir auch noch den Buschwind-Federntanz und tollen lustig umher. In meinem Inneren spüre ich auch Femina, welche lachend von oben auf uns herab blickt, und sich denkt: „Vögel sind komische Geschöpfe.“

Nach einer Weile der Ruhe rüttelt mich Niki. „Es ist wieder da, spürst du es auch?“ Ja, jetzt vernehme ich es auch. Wie bei einem Kochtopf fängt mein Blut an sich zu erwärmen, bis es kocht. Die Adern schwellen an, als wollen sie aufplatzen. Meine Nervenstränge stehen unter Strom. Unerträglich ist dieser Zustand. Man ist total hilflos, plötzlich ist einem alles egal, man will nur, dass es aufhört. Ja, sie senden wieder, und diesmal verspüre ich das Signal noch viel, viel stärker. „Wir müssen weg von hier“, bemerkt Niki angstvoll. „Ich kann nicht, ich bin noch zu schwach, ich kann jetzt nicht fliegen, besonders nicht, wenn diese Energie da ist. Es brodelt in mir, ich werde bald zerspringen“, stöhne ich vor mich hin. Da verspüre ich wieder diesen Pecker. „Aua, willst du, dass ich aufplatze und verglühe?“, pfauche ich den kleinen Mistvogel an. „Nein, ich will leben, und du auch, heb sofort die Schwanzfedern auf und lass uns verschwinden.“ „Aua!“, schon wieder ein Pecker, „du nerviges Küken, Niki.“ Ich erhebe mich und besinne mich auf Feminas Worte. „Plustere dich auf, verschließe die Federn, lass die Strömung nicht durch deinen Körper.“ Mit aller Kraft versuche ich, die Luft unter mein Federkleid zu kriegen. Tatsächlich, es funktioniert, ich wachse und werde größer, gleichzeitig kühlt es ein bisschen. Fast unerträglich laut ist es mit einem Male im Kopf. „Lass es nicht zu, lass dich nicht beherrschen von dieser unsichtbaren Macht.“ Mein Kopf dröhnt, es schmerzt und es ist nicht zu ertragen. Ich presse gegen das Eindringen dieser Töne, ich presse und presse und schließe den Gehörgang. In diesem Moment breche ich wie ein Vulkan aus, schnappe schnell noch Niki und schieße wie ein Pfeil in die Höhe. Wie ein Zischer klingt mein Start. Mit hoher Geschwindigkeit steigen wir empor, ohne Kontrolle und ohne Richtung geht es nur senkrecht nach oben. Mit jedem Meter Höhe geht die Temperatur zurück. Unter uns sehe ich das Wolkenmeer, und plötzlich stabilisiert sich alles, nur der Außendruck steigt. „Kehr um“, ruft Niki, „ich bekomme keine Luft mehr, ich ersticke.“ Wild schlage ich mit den Flügeln, doch jedes Manöver bleibt ohne Reaktion. „Ich kann es nicht steuern!“, rufe ich zurück. Wir treiben führerlos Richtung Atmosphäre. „Lass einfach die Luft raus“, höre ich Niki sagen, dann verstummt sie. Sie ist ohnmächtig geworden und ihr Kopf fällt zur Seite. Ich bin so müde, ich könnte sofort einschlafen. „Nur nicht nachgeben, du darfst jetzt nicht einschlafen.“ „Fred, bleib wach!“, rufe ich laut durch diesen schwerelosen Raum. Da schließen sich meine Augenlider und eine lange Nacht beginnt.

Der letzte Flug des Chyratos

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