Читать книгу Wenn etwas fehlt - Rachel Suhre - Страница 11
Kapitel 5
ОглавлениеIhre Krankenakte in der einen Hand, reichte die Frauenärztin Margot die andere Hand und führte sie ins Sprechzimmer.
„Guten Tag Frau Menkel. Bitte nehmen Sie doch Platz.“
Die beiden Frauen nahmen Platz. Die Medizinerin hinter dem Tisch und die Patientin auf dem schwarzen Lederstuhl davor.
Margot war nervös. Was war bei den Blutuntersuchungen der letzten Woche herausgekommen? Wie würde es nun weitergehen? Ihr Leben war schon genügend aus den Fugen geraten. Angespannt saß sie auf ihrem Stuhl. Die Beine und Füße streng nebeneinander gestellt, ihre geblümte Handtasche auf ihrem Schoß fest umklammert, wartete sie auf ihrer Seite des Tisches ab. In dieser Zeit öffnete die Ärztin ihre Akte, nahm einige Untersuchungsergebnisse heraus und legte sie offen auf ihrem Tisch aus. Im Computer schien sie außerdem eine Seite aufgerufen zu haben, um Ergebnisse miteinander zu vergleichen.
„Sooo.“ Nachdem sie sich einen Überblick verschafft hatte, blickte sie Margot entschuldigend an.
„Heute dauert es ein bisschen. Der Computer ist etwas langsam. Aber hier haben wir jetzt alles.“ Sie warf einen kurzen wiederholten Blick auf die vor ihr ausgelegten Dokumente, hob den Kopf und lächelte sie ermutigend an.
„Die Ergebnisse sehen sehr gut aus, Frau Menkel. Ich darf Ihnen sagen, dass Sie als geheilt gelten.“
Mit einem lauten Poltern hörte sie ihre eigenen Felsen von ihrem Herz plumpsen. Das Rauschen in ihren Ohren wurde kurzzeitig lauter, dann schnappte sie nach Luft und Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Entschuldigung.“ schniefte sie.
„Weinen Sie nur, Frau Menkel. Sie haben allen Grund glücklich und stolz auf sich zu sein.“
Ein Schluchzer entfuhr Margot und sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch.
„Ich bin so froh!“
„Ja, das glaube ich Ihnen. Ihre Werte sind hervorragend. Ich darf bestätigen, dass Sie sich von nun an als geheilt ansehen dürfen. Oder können. Wie auch immer.“ Die Ärztin lächelte ihr zu.
Fassungslos und unsagbar glücklich schüttelte Margot den Kopf hin und her. Geheilt. Sie galt als geheilt. Sie konnte es einfach nicht fassen. Das Horrorschauspiel der letzten Monate hatte ein Ende. Vorerst. Oder für immer. Wer wusste das schon? Tränen liefen über ihr gelebtes Gesicht.
„Ich bin so froh.“
„Seien Sie das.“ Freundlich fuhr sie fort, „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ und blickte ihre Patientin fragend an.
Margot starrte mit weit aufgerissenen Augen in das lächelnde Medizinergesicht ihrer Ärztin.
„Was muss ich jetzt machen?“
„Lassen Sie sich vorne einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung in vier Monaten geben.“
Sie war verwirrt, was auch ihre Ärztin bemerkte. „Oder habe ich Ihre Frage missverstanden?“
Zögerlich schüttelte Margot den Kopf.
„Nein.“ stieß sie leise hervor.
„Was kann ich noch für Sie tun, Frau Menkel? Sie erscheinen mir etwas verunsichert?“
„Ja. Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Was soll ich denn jetzt machen?“
Prüfend schaute ihre Ärztin sie an. Doch Margot gelang es nicht, ihrem Blick standzuhalten. Also nestelte sie weiter an ihrer Handtasche und räusperte sich.
„Ich bin so froh.“ kam es noch ein weiteres Mal traurig aus ihr heraus. Diesmal hörte es sich gar nicht mehr überzeugend an.
Die Ärztin rutschte mit ihrem Stuhl näher an den Schreibtisch heran, wandte sich Margot zu und stützte sich mit ihren Unterarmen auf dem Tisch ab.
„Frau Menkel,“ begann sie eindringlich auf ihre Patientin einzureden, „Sie waren schwer krank. Sie haben in den letzten Wochen und Monaten einen harten Kampf gekämpft und gewonnen.“ Sie machte eine kurze Pause, um die Worte nicht ihrer Wirkung zu berauben. „Sie haben gekämpft und gesiegt. Es ist völlig natürlich, dass Sie sich jetzt erst neu ordnen müssen. Vielleicht auch Ihr Leben. Vielleicht haben Sie durch das Erlebte eine absolut neue Perspektive auf die Dinge gewonnen. Mit diesen Erfahrungen und Erlebnissen sind Sie nicht allein.“
Ihre Ärztin stieß sich sachte von der Schreibtischkante ab und öffnete eine der Schubladen. Sie holte eine Karte von der Größe einer Postkarte hervor und schob sie über den Tisch.
„Es gibt Selbsthilfegruppen von Menschen, die ebenfalls an Krebs erkrankt sind oder waren und versuchen aktiv ihr Leben zu gestalten und in die Hand zu nehmen.“ Mit einem ihrer langen Finger lenkte sie Margots verständnislosen Blick auf eine Telefonnummer. „Rufen Sie dort doch mal an. Nehmen Sie Kontakt auf. Manchmal braucht man einfach jemanden zum Reden. Oder jemanden, der einen bei der Hand nimmt.“
Margot nickte.
„Ist Ihnen soweit geholfen?“
Sie nickte.
„Schön.“ antwortete ihre Ärztin aufmunternd. „Wenn Sie noch weitere Fragen haben, melden Sie sich. Oder rufen Sie mal bei der Nummer an.“
Ihre Frauenärztin erhob sich und auch Margot sprang von ihrem Stuhl auf. Die Ärztin wies ihr den Weg nach draußen und führte sie zum Empfangstresen.
„Bitte vereinbaren Sie mit Frau Menkel einen neuen Vorsorgetermin in vier Monaten. Auf Wiedersehen.“ Sie nickte ihr zum Abschied zu und verschwand in einem der Behandlungszimmer. Ein bisschen verloren blieb Margot zurück.
Geheilt. Sie war geheilt.
„Wann können Sie denn am besten?“ riss die Sprechstundenhilfe sie aus ihren Gedanken.
„Eigentlich immer.“
Während die junge Frau mit Pferdeschwanz und Glitzernagellack auf den Fingernägeln ihren Blick wie gebannt auf den Bildschirm richtete, dachte Margot nur immer wieder. „Ich bin so froh.“