Читать книгу Wenn etwas fehlt - Rachel Suhre - Страница 14
Kapitel 8
ОглавлениеEs war Abend geworden. Sie stand am Herd und bereitete das Abendessen zu. Wienerschnitzel, Bratkartoffeln und ein gemischter Salat standen auf dem Speiseplan.
Der Salat befand sich in einer kleinen Plastikschüssel auf dem Tisch. Zwei Teller, Besteck, zwei Gläser und eine Flasche Bier, an der das Wasser langsam herab perlte.
Draußen war es noch taghell und ein lauer Sommerabend stand bevor. Margot liebte diese Abende. Gerne hätte sie draußen den Tisch gedeckt. Doch sie wusste, dass Karl-Heinz es nicht mochte, wenn ihm die Fliegen oder möglicherweise Wespen das Abendessen streitig machten. Bevor sie einen ärgerlichen Wutanfall ihres Mannes riskierte, deckte sie lieber in der kleinen Küche, in der das Licht nur schummerig auf sie herabschien, den Tisch.
Unmittelbar nach ihrer Diagnose hatte sich ihr Leben zu zweit ein wenig geändert. Sie hatte ihre Teilzeitstelle als Postangestellte hinter dem Verkaufstresen krankheitsbedingt ruhen lassen. Ob sie dort je wieder arbeiten würde, wusste sie nicht. Sie hatte noch nicht darüber nachgedacht, ob sie das überhaupt wollte. Ihre Kolleginnen und Kollegen wussten von ihrer Erkrankung. Irgendwie machte sowas ja doch die Runde. Ihr war es unangenehm. Hier Zuhause hatte sich inzwischen alles wieder so eingespielt wie vor dem Krebs. Sie machte den Haushalt, den Garten und kümmerte sich um den Einkauf und zeitige Mahlzeiten. Karl-Heinz hatte es während ihrer Chemotherapie und Bestrahlung eine zeitlang versucht. Aber irgendwie waren sie essenstechnisch nicht über Spiegeleier und Nudeln hinausgekommen. Er hatte es nun mal nicht gelernt. Was sollte sie da machen? Schnell hatte ihre große Schwester das Kochen für sie und ihren Mann übernommen. Sie wohnte in einem Nachbarort und war jeden Tag die knapp 15km zu ihr gefahren. Manchmal auch nur jeden zweiten Tag, um Benzin und Zeit für ihre eigene Familie zu sparen. Außerdem hatte sie eine Anstellung als Bäckereifachverkäuferin. Um alles unter einen Hut zu bekommen, hatte sie an manchen Tagen für den kommenden mitgekocht. Eintöpfe, Suppen oder Gemüsepfannen. Margot mochte das Essen ihrer Schwester und war ihr dankbar. So hatte sie ihre Ernährung etwas umstellen können. Karl-Heinz aß es mit. Aber von mögen konnte keine Rede sein. Sie sah es seinem Gesicht an, wenn er den Deckel der Töpfe anhob. Doch er sagte kein Wort. Als sie wieder erholt genug war, hatte sie ihrer Schwester gesagt, Karl-Heinz würde es nochmal probieren und sie könnte inzwischen ja auch schon wieder ein, zweimal die Woche kochen. Das war gelogen. Denn letztendlich hatte sie wieder ihren Part übernommen, damit ihr Alltag zu zweit lief. Die Liste ihrer täglichen Aufgaben war lang und sie den ganzen Tag beschäftigt.
Was ihren Beruf anging, würde sie erstmal abwarten. Noch war sie auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Sobald es finanziell nötig war, würde sie wieder einsteigen. Mit einer Gabel wendete sie die beiden Schnitzel und achtete darauf, dass die Bratkartoffeln nicht anbrannten.
Die Dunstabzugshaube saugte den fettigen Bratenduft ein und gab ohrenbetäubenden Lärm von sich. Was andere als Lärm empfanden, beruhigte sie. Sie stellte in diesen Momenten ihre Ohren und ihren Kopf auf Durchzug, um nicht unentwegt über ihr Leben, ihre Krankheit, ihre Heilung und möglicherweise anstehende Veränderungen nachzudenken. Manchmal, nicht oft, aber immer häufiger kam ihr nämlich auch das Nachdenken über ihre Ehe in den Sinn. Bislang war dieses Denken sehr betrübt gewesen und erfüllte sie mehr mit Frustration als allem anderen.
Sie liebte ihren Mann. Schließlich hatten sie vor mehr als dreißig Jahren geheiratet. Da liebte man sich schließlich. Außerdem wollte sie keine der Frauen sein, die sich nach so vielen Jahren Ehe von ihrem Mann trennte. Geschweige denn scheiden ließ. Sie wollte nicht so sein wie ihre Freundinnen, die das Handtuch hinwarfen. Sie hatten sich gut arrangiert. Sie machte den Haushalt, er ging zur Arbeit und reparierte am Wochenende das Auto oder mähte den Rasen. Abends lag er vor dem Fernseher im Sessel, verschwand im Arbeitszimmer vor dem Computer und sie sahen sich erst wieder, wenn sie ins Bett ging. Zum Gute Nacht sagen. Ein kurzes „Gute Nacht.“
Irgendetwas war ihnen verloren gegangen. Soweit war sie in ihren Gedanken schon gekommen. Was dieses Irgendetwas war, wusste sie allerdings noch nicht.
Plötzlich zog ihr ein scharfer Geruch von leicht Verbranntem in die Nase.
„Mist.“ zischte sie vor sich hin und wurde sogleich von dem verstärkten Rauschen der Dunstabzugshaube übertönt.
Intuitiv riss sie die Pfanne mit dem Schweinefleisch von der Herdplatte und wendete beide Stücke hastig mit dem Pfannenheber. Eines der Schnitzel hatte eine leicht dunkle Verfärbung an der Kruste und war vielleicht etwas zu braun, fast schon schwarz an einer Ecke. Man könnte es abschneiden und dennoch essen.
In dem Augenblick trat Karl-Heinz in die Küche.
Sie drehte sich zu ihm um und wollte ihn herzlich begrüßen und in den Arm nehmen. Sie wusste, dass sie das schon sehr lange nicht mehr getan hatten. Selbst während ihrer Krankheit hatte es keine Umarmungen oder Zärtlichkeiten mehr gegeben. Ihre Sehnsucht nach Zuneigung war jedoch größer als ihre Angst vor Abweisung und Resignation. Also beschloss sie, es einfach darauf ankommen zu lassen.
Als sie auf ihn zutrat und die Arme nach ihm ausstreckte, sah er sie nur verdutzt an, wich ihr aus und blaffte unfreundlich: „Ist das Essen verbrannt?“
Sie drückte den Kloß in ihrem Hals hinunter und tat so, als wäre nichts gewesen. Die Tränen unterdrückend, wandte sie sich wieder ihren beiden Pfannen auf dem Herd zu und wendete noch einmal schnell die Bratkartoffeln.
„Nein. Nur ein bisschen brauner als sonst.“
Karl-Heinz erwiderte ihre Antwort mit einem kurzen Grunzen und öffnete den Kühlschrank. Dieser antwortete mit lautem Geschepper und Gerüttel auf die Laune ihres Ehemannes. Das Gerät war mindestens genauso alt, wie sie es miteinander in dieser Ehe ausgehalten hatten. Beide schienen in den letzten Zügen zu liegen.
„Das Ding wird auch immer lauter. Wo ist mein Bier?“ fragte er vorwurfsvoll. Dann blickte er sich um.
Den Blick nicht von den kleinen Bratkartoffelscheiben hebend, antwortete Margot: „Hab ich gerade erst auf den Tisch gestellt.“
Er schlurfte an den Tisch und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Ihr Ehemann hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Die körperliche Arbeit im Straßenbau setzte ihm manchmal zu. Allerdings gab es nicht immer Tätigkeiten für ihn im Büro. Die Arbeiten auf den Straßenbaustellen mussten auch getan werden, war die Erklärung ihres Mannes für seinen überwiegenden Einsatz dort. Zumindest behauptete er das und glaubte es vermutlich noch. Sie vermutete, dass die Firma ihres Mannes viele junge Angestellte hatte, die viel versierter im Umgang mit dem Computer waren. Ihr Mann wusste zwar so einiges, aber war mit seinen fast sechzig Jahren auch nicht mehr der Schnellste. Diese Vermutung maßte sie sich jedoch nicht an, laut zu äußern. Ihr Mann würde einen Tobsuchtsanfall kriegen und sich vielleicht doch von ihr scheiden lassen. Außerdem hatte sie ja schon Angst davor, den falschen Knopf zum Einschalten zu drücken und damit einen PC kaputt zu machen. Also schwieg sie, nickte, wenn er seine Vermutungen über seine Einsatzbereiche aussprach und überließ den PC ihrem Mann.
„Kannst du mir mal den Flaschenöffner reichen?“ Er war gerade an der Schublade mit dem Öffner vorbeigekommen, hatte in dem Moment aber vermutlich vergessen, ihn sich rauszunehmen. So wie sonst eben auch.
„Moment.“ Margot schaltete die Platten ab, schob die Bratkartoffeln zur Seite und legte die beiden Schnitzel auf die frei gewordene Stelle in der Pfanne. Sie wollte gerade in die Schublade greifen, als sie ein Zischen hörte. Als sie sich umdrehte, hatte Karl-Heinz die Bierflasche an der Tischkante geöffnet.
Sie mochte das nicht. Es verursachte nicht selten unansehnliche Macken in ihren Möbeln, die sie mochte. Außerdem war keine Minute vergangen, bevor sie für den Flaschenöffner die Schublade aufgezogen hatte.
Während er sein Bier direkt aus der Flasche trank, was er eigentlich auch nur selten tat, warf sie ihm einen erbosten Blick zu. Doch er nahm keinerlei Kenntnis von ihr und starrte auf seinen leeren Teller.
Margots Schultern sanken noch etwas tiefer. Mit ihrer Hüfte schob sie die Schublade vorsichtig zu, nahm sich einen Untersetzer und die Bratpfanne und stellte ihr Abendessen auf den Tisch.
„Guten Appetit.“ wünschte sie ihrem Mann und setzte sich.
„Dir auch.“ Im gleichen Zug nahm er sich eines der Schnitzel, schüttete sich Zweidrittel der Bratkartoffeln auf den Teller und begann zu essen.
„Salat?“ Fragend sah sie ihn an, während sie vorsichtig die Sahnesoße unter die grünen Salatblätter und die roten Tomatenscheiben hob.
Er schüttelte griesgrämig den Kopf. Noch nicht mal aufgeschaut hatte er. Margot schluckte ihren Ärger über sein unfreundliches Verhalten mitsamt ihrer Traurigkeit hinunter.
Nachdem er sich die vierte Gabel Fleisch in den Mund geschoben hatte, spuckte er den Inhalt plötzlich wieder aus und hob angewidert den Kopf. „Das ist ja total verbrannt.“ Er zog sein Taschentuch heraus und spuckte mehrmals voller Ekel hinein.
Sie hatte wegen des Flaschenöffners gar nicht mehr darauf geachtet, sich das leicht angedunkelte Stück Fleisch auf den Teller zu heben. Dabei hatte sie sich denken können, dass so eine Reaktion von Karl-Heinz kam.
„So dunkel ist es doch gar nicht.“ Sie sah ihn versöhnlich an. Sich zu entschuldigen, sah sie gar nicht ein.
„Durch den Verzehr von Verbranntem kriegt man doch auch Krebs.“
Ihre Augen weiteten sich. Sie starrte ihn böse an. Ihre Traurigkeit war wie mit einem Schlag weggewischt. Stattdessen hatten sich bitterböser Ernst und angestauter Zorn Platz geschaffen.
Er erwiderte ihren Blick, zuckte um die Mundwinkel und sagte: „Vielleicht willst du ja, dass ich auch Krebs kriege.“
Ehe er sich versah, erschallte ein lautes Knallen durch ihre Küche. Bevor Karl-Heinz seinen Satz zuende gebracht hatte, war Margot aufgesprungen, hatte mit der rechten Hand ausgeholt und ihm eine Ohrfeige gegeben.
Ihre Augen wurden feucht vor Tränen der Wut und sie zitterte am ganzen Körper.
„Was fällt dir eigentlich ein?!“ Mit aller Kraft presste sie diese Worte zwischen ihren Lippen hindurch und holte scharf Luft, um noch etwas zu sagen. Doch dann überlegte sie es sich anders. Heftig drehte sie sich um, riss den Stuhl polternd zu Boden und verließ festen Schrittes die Küche.
An der Garderobe griff sich nach ihrem Schlüssel, steckte ihn in ihre Strickjackentasche und wandte sich Richtung Haustür.
Als die Tür krachend ins Schloss fiel, saß Karl-Heinz noch immer am Tisch. Er schmiss das Taschentuch neben seinen Teller, atmete tief durch und hatte plötzlich feuchte Augen.