Читать книгу Wenn etwas fehlt - Rachel Suhre - Страница 6

Prolog

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Ein blutiges Rinnsal lief an der Innenseite ihres linken Oberschenkels zu Boden. Ein dicker Tropfen Blut fiel auf den Teppich unter den Wohnzimmertisch, den sie erst vor wenigen Tagen mit einer Spezialmaschine, natürlich geliehen, geschrubbt hatte.

Es hatte auf einmal angefangen zu bluten. Sie blutete auf einmal. Als sie merkte, dass sie nichts mehr einhalten konnte, hatte sie die Obstschale auf die geflieste Tischplatte knallen lassen. Ihre Schwester war mit Anhang zu Besuch. Sie saßen gerade alle am Tisch in der Küche und sie hatte bloß diese Obstschale ins Wohnzimmer bringen wollen, damit sie mitsamt den Kindern genügend Platz in der kleinen gekachelten Küche an dem noch kleineren weißen zermackten Tisch fanden. Im Wohnzimmer war ihr die warme Flüssigkeit aufgefallen und der Tropfen Blut neben ihrem linken Schuh. Ein zweiter Tropfen war hinzugekommen.

Als sie wieder auf die Innenseite ihrer Oberschenkel blickte, wurde ihr schwindelig, dann ergriff sie Panik. Hektisch rang sie nach Luft als sie das viele Blut an ihren Beinen sah. Es hörte nicht auf zu laufen.

Aufgeregt rannte sie durch den schmalen Flur mit seinem dunkelbraunen Linoleumboden ins Badezimmer. Sie stieß die Tür hinter sich zu. Nachdem sie ins Schloss gefallen war, drehte sie den Schlüssel so leise wie möglich um, in der Hoffnung durch den von ihr verursachten Lärm nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Scheinbar hatte bislang keiner der anderen sie, und ihre Panik, bemerkt. Schnell schüttelte sie ihre weißen Sandaletten von den Füßen und stieg in die grüne Badewanne mit der beigefarbenen Badeunterlage. Dort stand sie nun. Unschlüssig, was sie tun sollte. An ihren Beinen das Blut, das immer mehr wurde.

Schnell zog sie die Nylonstrumpfhose aus, darauf bedacht ihren dunkelblauen Rock nicht zu beflecken. Gut, dass sie nicht ihr weißes Sommerkleid angezogen hatte. Diese Blutflecken hätte sie nie wieder rausbekommen. Außer vielleicht mit Gallseife? Doch das war jetzt auch egal. Woher kam bloß das ganze Blut? Sie hatte schon seit einigen Wochen nicht mehr ihre Periode gehabt. Aber so heftig? So heftig hatte sie noch nie ihre Tage gehabt. Konnte es sein, dass sie ein Baby erwartete? Das jetzt schon heraus wollte? Aber sie hatte doch noch gar keinen dicken Bauch. Sie war zwar 19 Jahre alt, fast 20, aber zum Kinderkriegen noch zu jung, wie sie fand. Schließlich hatte sie eine lukrative Arbeitsstelle als Sekretärin und ihr Chef war ihr wohlgesonnen. Sie und Karl-Heinz hatten immer verhütet. Also, gerechnet. Um nicht versehentlich schwanger zu werden. Sie konnte daher gar nicht schwanger sein. Aber was war dann das?

Plötzlich klopfte es an der Tür.

„Margot?“ Karl-Heinz stand auf der anderen Seite.

Hatte er sie bemerkt? „Bist du da drin?“

„Ähh, ja.“ Margot versuchte ihre Panik und Hilflosigkeit vor ihrem Ehemann zu verbergen. „Was ist denn?“ Instinktiv griff sie nach dem Duschvorhang und hielt ihren Unterleib damit bedeckt.

„Ich kann das Rührgerät nicht finden.“

„Das Rührgerät?“ Sie war verwirrt. Sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Das Rührgerät? Das Rührgerät...

„Ja. Birgit will Sahne schlagen.“

Sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Klar doch. Klar. Sie wollten Kaffee trinken und Kuchen essen.

„Ach ja. Im Schrank.“ In dem Moment spürte sie ein starkes Ziehen im Unterleib. Irgendetwas stimmte nicht. Stimmte ganz und gar nicht. Sie ging in die Knie und suchte an der kalten, glatten Wand Halt. Der Schmerz war so heftig, dass sie sich noch mehr krümmte und kaum noch auf den Beinen stehen konnte. Langsam versuchte sie sich in die Wanne zu setzen, rutschte an den Fliesen ab und fand keinen Halt an den grünen Badfliesen. Sie knallte mit einem lauten Poltern auf die Knie, hielt sich mit der rechten Hand am Badegriff fest und umklammerte mit dem linken Arm ihren Bauch. Gleichzeitig wurde das Blut am Boden der Wanne immer mehr und der Untergrund immer glitschiger.

Das Poltern hatte auch Karl-Heinz gehört.

„Alles in Ordnung da drin?“

Doch Margots Schmerzen ließen nicht nach. Das Ziehen im Becken nahm zu und plötzlich war ihr übel. Bisher hatte sie einmal im Monat ihre Blutung gehabt ohne auch nur den geringsten Schmerz. Das hier war keine gewöhnliche Periodenblutung. Übelkeit und Schwindel nahmen zu. Sie wusste nicht, was mit ihr und ihrem Körper geschah. Dieses Unwissen versetzte sie in noch größere Panik. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie würde sterben. Wenn Karl-Heinz sie so hier sehen würde. Was sollte sie bloß tun?

„Margot!“ Sie hörte seine anwachsende Ungeduld und Gereiztheit. Aber da war noch mehr. Er schien sich scheinbar Sorgen zu machen.

„Jetzt antworte doch!“

Er war inzwischen so laut geworden, dass auch die anderen aus der Küche in den Flur gekommen waren.

Aus der Ferne hörte sie die Stimme ihrer großen Schwester. „Was ist denn los, Kalle?“

„Sie macht dir Tür nicht auf!“ Margot konnte die Wut in der Stimme ihres Mannes hören. „Wenn du nicht augenblicklich die Tür aufmachst, dann trete ich sie ein. Das versprech ich dir!“

Doch Margot konnte sich nicht bewegen. Sie konnte noch nicht einmal reden. Die Schmerzen ließen nicht nach. Das Blut lief noch immer aus ihr heraus. Aus ihrer Scheide, woher sonst, und an den Beinen herab. Ihr Kreislauf geriet zunehmend durcheinander. Wenn sie nicht elendig in diesem kleinen grünen Bad verrecken wollte, musste sie zusehen, die Tür aufzuschließen. So peinlich ihr dieser Zustand auch war, sie brauchte Hilfe.

Wieder klopfte es an die Tür. Der Tumult auf der anderen Seite hatte nachgelassen. Sie hörte die beruhigende und geduldige Stimme ihrer Schwester.

„Margot? Ich bin's.“ Birgit, dachte sie, bitte hilf mir. „Was machst du da drin? Brauchst du Hilfe? Bitte mach die Tür auf. Wir können doch über alles reden.“

Margot biss die Zähne zusammen und versuchte aufzustehen. Sofort floss ein weiterer Schwall Blut zwischen ihren Beine hindurch und sie glitt wieder auf dem rutschigen Badewannenboden aus.

„Hilf mir, Birgit!“ kam es mit leiser Stimme aus ihrem Mund.

„Was sagst du? Margot, hast du was gesagt? Ich kann dich nicht verstehen.“

Jetzt war auch Birgit so beunruhigt, dass sie nach ihrem Mann rief. „Hermann? Kalle?“ Margot hörte, wie die Männer zurück in den Flur kamen. „Los, ihr müsst die Tür aufbrechen.“ Birgit konnte sehr bestimmt sein.

„Was sollen wir? Das ist nicht dein ernst. Was wird der Vermieter dazu ...“ Doch ihre Schwester unterbrach Kalle, „Los jetzt!“ Vermutlich gab sie Hermann, einem Schrank von Mann, ein Zeichen die Tür aufzutreten.

Sie nahm sich Kalle zur Seite und flüsterte ihm zu: „Wenn dir was an deiner Frau liegt, brichst du mit meinem Mann jetzt diese verdammte Tür auf.“

Karl-Heinz konnte so ein Ignorant sein. Aber sie liebte ihn. Sie waren schon seit Jahren ein Paar und noch während sie das dachte, überkam sie eine erneute Welle der schmerzhaftesten Krämpfe, die sie je erlebt hatte.

Als die Tür aufging und sie ihre kreidebleiche Schwester hereinstürmen sah, war sie einer Ohnmacht nahe.

„Ruft einen Notarzt. Schnell!“

Karl-Heinz stand wie erstarrt in der Tür zum Badezimmer und blickte auf die mit Blut verschmierte Badewanne. Entsetzt blieb sein Blick an seiner Frau haften, die ebenfalls überall mit Blut verschmiert war und zitterte wie Espenlaub.

„Aber was ist denn mit ihr?“ In seinen Augen flackerte Panik.

„Was ist denn mit ihr? Was ist mit meiner Frau? Warum ist da überall Blut?“

Karl-Heinz war kurz davor durchzudrehen.

Wieder hörte Margot die bestimmten Anweisungen ihrer Schwester: „Hermann, ruf den Notarzt. Margot hatte vermutlich eine Fehlgeburt. Und nimm Kalle mit raus.“

„Komm her Kleines. Es wird alles wieder gut.“ Sie strich Margot eine Haarsträhne aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann nahm sie ein paar Handtücher aus dem Regal. Eins legte sie ihr vorsichtig über die Schultern und wusch ihr mit einem warmen Waschlappen das Blut von den Beinen. Ein anderes breitete sie auf dem Boden aus und half ihrer Schwester aus der Wanne.

Margot zitterte am ganzen Körper.

„Was ist mit mir?“ flüsterte sie mit großer Anstrengung ihrer großen Schwester zu. Birgit legte die Waschlappen beiseite, wies Kalle an ihr Unterwäsche und eine Hose seiner Frau zu geben und setzte sich neben sie auf den Boden. Zärtlich nahm sie die verstörte, leichenblasse und verweinte junge Frau in den Arm.

„Ich glaube, du warst schwanger.“

Hatte sie verstanden, was Birgit da sagte? Sie war schwanger. Hatte ein Baby in sich? Das jetzt rauswollte oder schon draußen war? Eine Fehlgeburt? Sie? Ihre Augen zuckten panisch hin und her, verzweifelt darum bemüht irgendwo halt zu finden.

Dann kamen die Tränen und sie brach in lautes Schluchzen aus, gefolgt von heftigen Weinkrämpfen. Auch Birgit liefen Tränen übers Gesicht.

Wenn etwas fehlt

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