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„Hitlers Theologie“: Um was es dabei geht und um was nicht 1. Hitlers Projekt

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Der Nationalsozialismus war etwas wirklich Neues: ein für viele faszinierendes Amalgam von technischer Modernisierung, nationalem Gemeinschafts- und sozialem Gleichheitsversprechen, voller ästhetischer Faszinationsangebote und individueller Heroismusanmutung. In ihm schien wieder verbunden, was spätestens in der forcierten Modernisierung der Weimarer Republik, wie viele meinten, auseinandergedriftet war: Individualität und Kollektiv, Modernität und Traditionsanschluss, Freiheit – etwa gegenüber dem altbackenen Christentum – und Gebundenheit ans große Alte. Vor allem aber versprach der Nationalsozialismus die identitätsstiftende Idylle einer „Volksgemeinschaft“ auf kulturell vertrauter, einheitlicher Basis.

Dass solch ein Projekt in einer differenzierten Gesellschaft nur mit massiven Gewalt- und Ausschlussmechanismen funktioniert, war von Anfang an klar und wurde vom Regime auch nie versteckt. Die offene Gewaltbereitschaft all jenen gegenüber, die nicht mitmachen wollten, war spätestens seit dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 und den ihm folgenden Verhaftungswellen offenkundig. Die Ermordung inner- und außerparteilicher Machtkonkurrenten Ende Juni / Anfang Juli 1934, vom katholischen Staatsrechtler Carl Schmitt kurz darauf mit aller juristischer Finesse („Der Führer schützt das Recht“) legitimiert,1 und die früh einsetzende Diskriminierung der jüdischen Deutschen zeigten sehr schnell: Wer nach Hitlers Meinung nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörte oder nicht dazugehören wollte, der wurde zuerst hinaus- und bald schon in die Vernichtung geschickt. Freilich: Lange wollten sehr viele in Deutschland, und nicht nur dort, dazugehören.2

Der deutsche Nationalsozialismus war in seinem Erfolg zuerst Adolf Hitlers Projekt. Er hat es mit Macht und Geschick durchgesetzt und bis zu seinem Tod nicht aufgegeben. Programmatisch gesehen gilt sicher: Das „Phänomen existierte, bevor jemand von Hitler gehört hatte, und hätte auch weiterhin existiert, wenn er ein ‚Niemand aus Wien‘ geblieben wäre“3. Aber Erfolg hatte es nur mit und durch Hitler. Das lag an der rücksichtslosen Raffinesse, mit der Hitler die Macht errang, aber auch an der spezifischen Färbung, die er der „völkischen Bewegung“ im Nationalsozialismus gab.

Das bedeutet freilich weder, dass alles, was im teilweise polykratisch strukturierten und zunehmend chaotisch regierten „Dritten Reich“ tatsächlich passierte, unmittelbar auf Hitler zurückzuführen wäre, noch umgekehrt, dass alles, was Hitlers Projekt vorsah, auch tatsächlich verwirklicht wurde.4 Ein großer Spielraum substantieller Abweichung dürfte freilich nicht existiert haben. „Sobald er Staatschef war, diente Hitlers persönliche ‚Weltanschauung‘ … als Handlungsanweisung für die Entscheidungsträger überall im Dritten Reich.“5 Hitler selbst gaben, wie Ian Kershaw schreibt, die „Unflexibilität und quasi-messianische Verpflichtung auf eine ‚Idee‘, ein Bündel von Glaubenssätzen, die unveränderlich, einfach, in sich geschlossen und umfassend waren“, die „Willensstärke und das Wissen um das eigene Schicksal, das alle Menschen, die mit ihm in Kontakt kamen, so stark beeindruckte.“6

Hitler hat nie verborgen, was er wollte.7 Im Gegenteil: Wirklich außergewöhnlich war er, außer in der Skrupellosigkeit, nur als Redner. Hitler hat immer wieder öffentlich gesagt, was er plante und dachte. Zu Hitlers Projekt gibt es viele Projektbeschreibungen: Um sie geht es, speziell um ihre theologischen Anteile und deren Stellung in diesem Projekt.

Eberhard Jäckel versuchte 1969 als Erster, die innere Schlüssigkeit von „Hitlers Weltanschauung“8 aufzuzeigen. Jäckel identifiziert die „Eroberung des Lebensraums im Osten“ sowie die „Entfernung der Juden“, wie Jäckel formuliert, als Hitlers zentrale Anliegen.9 Hitler wollte so die von ihm mit allem Hass denunzierten gesellschaftlichen „Dekadenz“-Zustände einer liberalen und pluralistischen Demokratie beseitigen. Radikale Demokratiekritik übten freilich auch die fundamentalkonservative Rechte bis hinein in die Kirchen und, in anderer Weise, die radikale Linke. Was unterschied Hitler von beiden?

Hitler lehnte, wie die Linke und anders als die Rechte, die reaktionäre Restauration vorrevolutionärer Zustände, seien dies nun jene vor 1919 oder gar vor 1789, ab und glaubte an die Unumkehrbarkeit, ja Wünschbarkeit der jeweiligen Revolutionen. Hitler suchte eine neue, nicht-restaurative, aber eben doch anti-pluralistische gesellschaftliche Integrationsbasis. Er wollte mehr als bloß die konservative Restauration vormoderner Ordnungsstrukturen. Anders als die Linke aber suchte er diese Integrationsbasis nicht auf marxistischer „Klassenbasis“, sondern auf der Basis eines noch fiktiveren Konstrukts: der „arischen Rasse“.

Schon in der Begriffsfügung „Nationalsozialismus“ wird der Versuch deutlich, dem seit der Französischen Revolution gebräuchlichen politischen „Links-Rechts“-Schema nach vorne zu entkommen. Damit gerät Hitler in die Nähe zu den zeitgenössischen Theoretikern der so genannten „Konservativen Revolution“.10 Von ihnen unterscheidet sich Hitler aber nicht nur in der Radikalität seines Denkens, sondern vor allem in dessen konkreter Operationalisierbarkeit. Denn konkret politisch umsetzbar waren die reaktionären Visionen der „Konservativen Revolution“ nicht: Über literarisch-kulturelle Wirksamkeit kam sie nie hinaus. Hitler wusste dies nur zu gut.

Indem Hitler wichtige Elemente des nachfeudalen gesellschaftlichen Modernisierungsprogramms in sein Projekt übernimmt, verhindert er, dass es zu einer bloßen konservativen Utopie verkommt. Hitler wollte kein verloren gegangenes vorrevolutionäres Paradies restaurieren, Utopien, wie sie etwa auch in kirchlichen Kreisen gepflegt wurden.11 Die faszinationsgeleitete Einführung neuer Technologien, das Programm einer auf wissenschaftlicher und technischer Dauerinnovation beruhenden Industriegesellschaft, zentrale anti-konservative Ideen wie jene der Chancengleichheit, der Erhöhung vertikaler und horizontaler sozialer Mobilität bis hin zu egalitären Tendenzen etwa im Bildungssystem: mit all dem wurde Hitler anschlussfähig an die Weimarer Republik,12 beerbte er vor allem die Glücksversprechungen der Moderne, einschließlich des Versprechens von deren technologischer Produzierbarkeit und sozialer Zugänglichkeit für alle.

Die Basis von all dem freilich und „heißer Kern“ des Hitlerschen Politikprojekts war ein scharfer rassistischer Anti-Universalismus. Hitlers Projekt läuft auf eine nach innen „harmonisch“ geeinte, nach außen kriegerisch-heroische, rassisch definierte „Volksgemeinschaft“ hinaus. Für sie brauchte er den „Raum im Osten“, aus ihr müssen Angehörige „minderwertiger Rassen“, „Minderwertige“ der eigenen „Rasse“ und vor allem die Juden entfernt werden, aber natürlich auch jene, die sich diesem Projekt entgegenstellen.

Diese deutsche oder arische Volksgemeinschaft ist, so meint Hitler, auf Grund ihrer rassischen Überlegenheit, die sich nicht zuletzt in ihrer kulturellen Überlegenheit zeige, zu nichts weniger denn zur Weltherrschaft berufen. Grundiert und vielleicht auch motiviert13 ist dies alles bei Hitler, dem verhinderten Kunstmaler, mit einem kulturell-ästhetischen Anti-Modernismus, der die Künste, vor allem die bildende Kunst14, aber auch die Musik15 auf den Geschmack der (damaligen) unteren Mittelschichten hin reduziert und trivialisiert.

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