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6. Zum verwendeten Theologiebegriff
ОглавлениеFreilich, von einer „Theologie“ bei Hitler zu sprechen, provoziert. Es provoziert Theologen, denn sie finden sich plötzlich in einer Nachbarschaft, die schrecklicher nicht sein könnte. Es provoziert aber auch Christen und andere gläubige Menschen, denn das, woran sie glauben, Gott, wird scheinbar in die Nähe eines der größten Verbrecher der Weltgeschichte gerückt.
Nun wissen Theologen, dass „Theologie“ kein geschützter Begriff ist und es viele höchst unterschiedliche Theologien gab und gibt. Nach langen Jahrhunderten, da die christliche(n) Kirche(n) bestimmte(n), was Theologie ist und sein darf, öffnete sich das Feld der „Theologien“ im 18. Jahrhundert nach und nach wieder über das Christentum hinaus, zuerst für die Gelehrten, im 19. Jahrhundert aber in der Weite der Gesellschaft. Heute, nach dem definitiven Ende der kirchlichen Sanktionsmacht und der endgültigen Freisetzung zu religiöser Selbstbestimmung39, ist das „theologische Feld“ trotz der nach wie vor starken institutionellen Stellung der christlichen Kirchen breit, offen und vielfältig besetzt.
Gläubige können aus der Geschichte zudem lernen, dass Religion und ihre theoretischen Konzepte weder harmlos noch gewaltfrei sind. Eher im Gegenteil. „Die unkritische Gleichsetzung von Religion und Güte wird durch schlichte Fakten direkt widerlegt. Religion kann das Hauptinstrument des Fortschritts sein und ist es auch gewesen. Wenn wir aber das gesamte menschliche Geschlecht in Betracht ziehen, müssen wir betonen, dass es sich im Allgemeinen nicht so verhalten hat.“ Ja: „Religion ist die letzte Zuflucht menschlicher Grausamkeit.“40 Die aktuelle Remilitarisierung des Religiösen in spezifischen Weltgegenden lehrt zudem, dass dies keineswegs nur ein Phänomen der Vergangenheit ist. Im Gegenteil, Religion ist zurück und zeigt dabei, neben ihrem gütigen Antlitz, immer wieder auch ihr hässliches Gesicht: Scheinheiligkeit, Lieblosigkeit und Gewalttätigkeit. Die liberale Illusion jedenfalls, man ginge einer global säkularisierten Weltgesellschaft mit harmlos-friedlich individualisierter Religionspraxis entgegen, ist verblasst.
Theologie und Religion sind weder christliche Reservate noch an und für sich etwas Gutes. Von „Hitlers Theologie“ zu sprechen setzt also voraus, den Begriff Theologie nicht für ein Reden und Denken über Gott zu reservieren, dem man zustimmen kann, sondern für alles Reden über Gott und auch und gerade seine Folgen.
Es setzt zweitens voraus, dass man unter „Theologie“ nicht nur wissenschaftlich-akademische Theologie versteht. Die hat Hitler natürlich nicht betrieben, wenn er auch mit seiner berühmt-berüchtigten Halbbildung immer wieder selbst seinen wissenschaftlichen Gesprächspartnern imponieren konnte und, wie noch zu zeigen sein wird, der Ansicht war, dass seine Theologie auf wissenschaftlicher, letztlich naturwissenschaftlicher Basis stünde. Hitlers Theologie weist aber eben doch, bei aller Vulgarität und Primitivität, eine gewisse innere Konsistenz und Kohärenz auf.
Den Begriff „Theologie“ nicht nur für ein zustimmungsfähiges Reden über Gott zu reservieren und auch nicht auf wissenschaftlich-akademisches Reden über Gott einzuschränken ist heute eher unüblich. Das war aber nicht immer so. Im gewissen Sinne war es ganz am Anfang der Christentumsgeschichte sogar umgekehrt. Die frühe Christenheit etwa hat den Theologiebegriff ausdrücklich zurückgewiesen. Im ganzen Neuen Testament findet er sich nicht und noch bei den frühen Kirchenvätern wird er negativ-kritisch gebraucht. Denn so, wie er in der griechischen Umwelt vorlag, war er für die christliche Reflexion des Glaubens schlicht nicht annehmbar. Es war die Nähe zu nicht-christlichen, mythisch-kultischen Zusammenhängen, welche die frühen Theologen des Christentums davon abhielt, den Theologiebegriff auf sich und das, worum es ihnen ging, zu beziehen.41
Theologie wird im Folgenden wörtlich verstanden als „Rede von Gott“, allerdings, und das entspricht wieder heutigem Allgemeinverständnis, als Rede von Gott mit individueller Relevanzoption, mit persönlichem Konsequenzpotential, auch bis hin zur Rede zu Gott, also dem Gebet. Denn gerade dies kann man Hitler nicht absprechen.
Natürlich ist Hitler kein christlicher und auch kein wissenschaftlicher Theologe, aber er verkündigt sein Politikprojekt im Namen eines Gottes, und das vom Beginn seines öffentlichen Redens bis zu seinen letzten dokumentierten Äußerungen. Die Theologie dieser Verkündigung kann man erheben. Die Texte Hitlers verkörpern einen genuinen theologischen Diskurs im genannten Sinne. Leider verkörpern sie mehr als bloß eine wirkungslose Privatmythologie.