Читать книгу Hitlers Theologie - Rainer Bucher - Страница 8
Vorwort
ОглавлениеHitlers Theologie ist intellektuell krude, ihr Rassismus ist erbärmlich und ihr Gott ein numinoses Monster. Es gibt keine Gnade und keine Barmherzigkeit in ihr und daher auch keinen Frieden.1 Aber sie wurde, worauf tatsächlich alle Theologie zielt: praktisch. Das ist nicht der einzige, aber der unabweisbare Grund, sich mit ihr zu beschäftigen.
Der „Zivilisationsbruch“2, den Hitlers nationalsozialistisches Projekt bedeutete, betraf alle und alles, geschah aus der Mitte der deutschen Gesellschaft und mit großer und lang anhaltender Unterstützung ihrer Eliten wie breiter Schichten der Bevölkerung.3 Der Gott Hitlers besaß eine große Macht. Erst die vereinten Armeen der Sowjetunion, Amerikas, Englands und vieler anderer haben sie gebrochen. Niemand konnte das übrigens garantieren. Der Gott Hitlers hätte durch Hitler auch siegen können.4
Es ist nicht notwendig, Hitlers Theologie zu widerlegen: Das hat sie selber getan. Aber es ist notwendig, sich mit ihr zu beschäftigen. Schließlich gilt: „Hitler hat tiefere Spuren in unserem Jahrhundert hinterlassen als jeder andere.“5 Jenseits aller berechtigten Fragen, wie es diesem äußerlich unscheinbaren, komplexbeladenen, formal ungebildeten, kleinbürgerlichen Ausländer ohne wirkliche Berufserfahrung und Organisationstalent gelingen konnte, zum mächtigsten Mann des Deutschen Reiches und zeitweise Europas zu werden, welche gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen und Stimmungen ihn an die Spitze trugen, wie er sie erahnte, benutzte und steuerte, bleibt das Faktum: Der Nationalsozialismus war Hitlers Projekt, er hat es durchgesetzt und niemand kam auch nur annähernd an Hitlers singuläre Machtstellung heran.6 Schließlich ist ihm das ganze Land – mit Ausnahme der tapferen Männer und Frauen der wenigen Widerstandsgruppen – bis in den Untergang gefolgt.
Dieses Buch ist von einem katholischen Theologen geschrieben. Ich habe mich mit Hitler wissenschaftlich beschäftigt, weil ich wissen wollte, warum er einige „fortschrittliche“ Theologen der 1930er Jahre faszinierte. Was brachte innovative, gegenwartssensible, später auch zu Recht berühmte Theologen dazu, Hitler enthusiastisch zu begrüßen? Daraus folgte die Frage: Welche religiösen Strukturen und welche theologiehaltigen Diskurse wies Hitlers Gesellschaftsprojekt selbst auf, dass es für sie so attraktiv werden konnte?
Die Modernisierungsdynamik und personale Zugriffsintensität des Nationalsozialismus faszinierten nicht nur die eigenen Anhänger. Hitlers Angebot war für die Zeitgenossen attraktiver, als es im Rückblick und im Bewusstsein seiner monströsen Verbrechen erscheinen mag. Hitler schien Modernisierung ohne Pluralisierung und damit ohne Relativierung eigener Geltungsansprüche und ohne liberale Freisetzung des Subjekts zu versprechen.
Mein persönliches Interesse an Hitler verdanke ich der katholischen Jugendarbeit in meiner Heimatstadt Bayreuth. 1973, noch zu Zeiten des kommunistischen Regimes, reiste der damalige Kaplan Josef Kraus mit uns nach Polen. Wir besichtigten Breslau, Krakau, Tschenstochau – und auch die Gedenkstätte des KZ Auschwitz. Dass der zivilisatorische Boden unter unseren Füßen dünn und dass er nicht von den Rändern der Gesellschaft, sondern von ihrer Mitte her gefährdet ist, das wurde mir dort klar und hat mich seitdem nicht losgelassen.
Basis dieses Buches sind Forschungen, die ich bereits vor einiger Zeit im Zusammenhang mit meiner pastoraltheologischen Habilitationsschrift „Kirchenbildung in der Moderne. Konstitutionsprinzipien der deutschen katholischen Kirche“7 unternommen und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorgelegt habe. Die Ergebnisse wurden erweitert und aktualisiert und werden hiermit einem breiteren, historisch und theologisch interessierten Publikum vorgelegt.
Ottmar Fuchs, Maximilian Liebmann, Lucia Scherzberg, Norbert Reck, Katharina von Kellenbach und Claus-Eckehard Bärsch danke ich für den anregenden Gedankenaustausch über die Fachgrenzen hinweg, ebenfalls Elmar Klinger, der mich als Erster auf Hitler als Thema der Theologie hingewiesen hat. Meine Mitarbeiterin Frau Ingrid Hable hat dieses Buch mit großer Sorgfalt redigiert und zur Veröffentlichungsreife gebracht: hierfür herzlichen Dank!
Ich widme dieses Buch Ernst Ludwig Grasmück zu seinem 75. Geburtstag in dankbarer Erinnerung an die Jahre an seinem kirchenhistorischen Lehrstuhl.
Graz, Januar 2008