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b) Das Dogma als Formierungsstrategie des Diffusen

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Hitler entwirft mit gelehrigem Blick auf die Kirchen nun aber auch eine explizite Theorie des Dogmas. Dogmen sind ihm die kristallisierte Form notwendiger Unduldsamkeit erfolgreicher Religionen und Weltanschauungen. Denn nur im Dogma werde die diffuse Religiosität des Einzelnen gebündelt und konkretisiert, aussagbar und damit politisch kampffähig.

Ähnlich aber sei es mit der „völkischen Weltanschauung“. Hitler parallelisiert die intellektuelle wie soziale Konkretisierung und Formierung des eigenen Projekts in einer aktionsfähigen Weltanschauungspartei mit der Funktion der Kirchen und ihrer Dogmen gegenüber dem an sich unbestimmten religiösen Fühlen.

Ein längeres Zitat aus „Mein Kampf“ als exemplarischer Beleg hierfür: „Ohne den klar begrenzten Glauben würde die Religiosität in ihrer unklaren Vielgestaltigkeit für das menschliche Leben nicht nur wertlos sein, sondern wahrscheinlich zur allgemeinen Zerrüttung beitragen. Ähnlich wie mit dem Begriff ‚religiös‘ verhält es sich mit der Bezeichnung ‚völkisch‘. Auch in ihr liegen schon einzelne grundsätzliche Erkenntnisse. Sie sind jedoch, wenn auch von eminentester Bedeutung, ihrer Form nach so wenig klar bestimmt, daß sie sich über den Wert einer mehr oder minder anzuerkennenden Meinung erst dann erheben, wenn sie als Grundelemente in den Rahmen einer politischen Partei gefaßt werden. Denn die Verwirklichung weltanschauungsmäßiger Ideale und der aus ihnen abgeleiteten Forderungen erfolgt ebensowenig durch das reine Gefühl oder das innere Wollen der Menschen an sich, als etwa die Erringung der Freiheit durch die allgemeine Sehnsucht nach ihr. Nein, erst wenn der ideale Drang nach Unabhängigkeit in den Formen militärischer Machtmittel die kampfesmäßige Organisation erhält, kann der drängende Wunsch eines Volkes in herrliche Wirklichkeit umgesetzt werden. (…) Wenn aber eine geistige Vorstellung allgemeiner Art einer kommenden Entwicklung als Fundament dienen will, dann ist die erste Voraussetzung die Schaffung unbedingter Klarheit über Wesen, Art und Umfang dieser Vorstellung, da sich nur auf solcher Basis eine Bewegung bilden läßt, die in der inneren Homogenität ihrer Überzeugungen die nötige Kraft zum Kampfe zu entwickeln vermag. Aus allgemeinen Vorstellungen muß ein politisches Programm, aus einer allgemeinen Weltanschauung ein bestimmter politischer Glaube geprägt werden. (…) Diese Umsetzung einer allgemeinen weltanschauungsmäßigen idealen Vorstellung von höchster Wahrhaftigkeit in eine bestimmte begrenzte, straff organisierte, geistig und willensmäßig einheitliche politische Glaubensund Kampfgemeinschaft ist die bedeutungsvollste Leistung, da von ihrer glücklichen Lösung allein die Möglichkeit des Sieges einer Idee abhängt. Hier muß aus dem Heer von oft Millionen Menschen, die im einzelnen mehr oder weniger klar und bestimmt diese Wahrheiten ahnen, zum Teil vielleicht begreifen, einer hervortreten, um mit apodiktischer Kraft aus der schwankenden Vorstellungswelt der breiten Masse granitene Grundsätze zu formen und so lange den Kampf für ihre alleinige Richtigkeit aufzunehmen, bis sich aus dem Wellenspiel einer freien Gedankenwelt ein eherner Fels einheitlicher glaubens- und willensmäßiger Verbundenheit erhebt.“9

Für Hitler steht somit fest, dass ohne „dogmatische (.) Grundlagen“ der „praktische Bestand eines religiösen Glaubens nicht denkbar ist“ und auch nicht die Existenz einer politisch mächtigen Weltanschauung. „Die breite Masse eines Volkes besteht nicht aus Philosophen; gerade aber für die Masse ist der Glaube häufig die einzige Grundlage einer sittlichen Weltanschauung überhaupt.“10

In „Mein Kampf“ gesteht Hitler den real existierenden Kirchen, sei es aus taktischen Gründen, sei es aus nicht ganz überwundener innerer Anhänglichkeit, noch zu, im Allgemeinen ihre Aufgabe als dogmatisch formierte Religion auch noch in der Gegenwart zu erfüllen. „Die verschiedenen Ersatzmittel“, so Hitler, hätten „sich im Erfolg nicht so zweckmäßig erwiesen, als daß man in ihnen eine nützliche Ablösung der bisherigen religiösen Bekenntnisse zu erblicken vermöchte“, und dies trotz des „immer heftiger einsetzende(n) Kampf(es) gegen die dogmatischen Grundlagen der einzelnen Kirchen“11.

Doch Hitler interessiert in diesem Zusammenhang nicht primär die inhaltliche Plausibilität der Dogmen und Normierungen der zeitgenössischen Kirchen. Sein Interesse setzt formaler an und gilt generell den Funktionsmechanismen von Konkretisierung und Disziplinierung bei der Bildung von „Weltanschauungsgemeinschaften“. Hitler vergleicht dabei drei sehr unterschiedliche Räume mit Konkretisierungs- und Normierungsbedarf: den Staat, die Kirchen und die individuelle Biographie.

„Was … für das allgemeine Leben der jeweilige Lebensstil ist“, das, so Hitler, „sind für den Staat die Staatsgrundgesetze und für die jeweilige Religion die Dogmen. Durch sie erst wird die schwankende und unendlich auslegbare, rein geistige Idee bestimmt abgesteckt und in eine Form gebracht, ohne die sie niemals Glaube werden könnte. Im anderen Falle würde die Idee über eine metaphysische Anschauung, ja, kurz gesagt, philosophische Meinung nie hinauswachsen.“ Damit aber gilt: „Sollen … die religiöse Lehre und der Glaube die breiten Schichten wirklich erfassen, dann ist die unbedingte Autorität des Inhalts dieses Glaubens das Fundament jeder Wirksamkeit.“12

In „Mein Kampf“ begreift Hitler so auch noch die scharf anti-modernistische Abwehrhaltung der zeitgenössischen Kirchen, vor allem der katholischen,13 als Ausdruck einer klugen und konsequenten Wissenspolitik. Die Notwendigkeit von solch restriktiver Wissenspolitik folgt für Hitler unmittelbar aus dem Begriff des Dogmas. Obwohl nämlich das kirchliche „Lehrgebäude in manchen Punkten, und zum Teil ganz überflüssigerweise, mit der exakten Wissenschaft und der Forschung in Kollision gerät, ist sie dennoch nicht bereit, auch nur eine kleine Silbe von ihren Lehrsätzen zu opfern“. Die Kirche habe nämlich „sehr richtig erkannt, daß ihre Widerstandskraft nicht in einer mehr oder minder großen Anpassung an die jeweiligen wissenschaftlichen Ergebnisse liegt, die in Wirklichkeit doch ewig schwanken, sondern vielmehr im starren Festhalten an einmal niedergelegten Dogmen, die dem Ganzen erst den Glaubenscharakter verleihen. So steht sie heute fester da als je“14.

Doch Hitler erkennt bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auch: Für die gewünschte Konkretisierungs- und Formierungsfunktion der religiösen bzw. weltanschaulichen Dogmen kommt es weniger auf deren reale Unveränderlichkeit an; allzu rigides Festhalten an einmal Formuliertem kann, wie Hitler sieht, die Plausibilität des kognitiven Geltungsanspruchs vielmehr geradezu aushöhlen. Notwendig ist stets aber die Aufrechterhaltung einer Kontinuitätswahrnehmung bei den Adressaten der Verkündigung.

Hitler empfiehlt, „auch hier“ doch „an der katholischen Kirche zu lernen“. „Denn wie will man Menschen mit blindem Glauben an die Richtigkeit einer Lehre erfüllen, wenn man durch dauernde Veränderungen am äußeren Bau derselben stets Unsicherheit und Zweifel verbreitet?“ Aber Hitler weiß eben auch um die Notwendigkeit von Flexibilität, er vergisst nicht, im Blick auf sein eigenes Politikprojekt einen hermeneutischen Puffer einzubauen. „Das Wesentliche“, so Hitler an früherer Stelle, „darf nie in der äußeren Fassung, sondern stets nur im inneren Sinn gesucht werden. Und dieser ist unveränderlich.“15 Daher gilt für Hitler, für den „es nur eine Doktrin (gibt): Volk und Vaterland“, dass „von diesem Gesichtspunkte aus“ dann „alles zu prüfen (ist) und nach seiner Zweckmäßigkeit zu verwenden oder abzulehnen. So kann keine Theorie zur tödlichen Doktrin erstarren, da alles ja nur dem Leben zu dienen hat“16.

Später wird Hitler dann den Kirchen das Festhalten an (natur)wissenschaftlich unhaltbaren Dogmen vorwerfen und selbst durchaus beweglich mit den eigenen nationalsozialistischen „Dogmen“ umgehen – bei stets gewahrter Kontinuität einiger zentraler Basisannahmen, etwa der These von der rassischen Determiniertheit des Individuums.17

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