Читать книгу Einfach nur Spurensuche - Rainer Jaeckle - Страница 8
Hilfsbereitschaft
ОглавлениеAber mein Opa hat die schlimme Kinder- und Jugendzeit irgendwie überstanden und ist, geprägt von seiner Kindheit, seinen Lebensweg gerade aus gegangen. Viele Jahre später, als mein Opa es beruflich geschafft hatte und eine beachtliche Karriere bei der Plattenspieler-Firma Dual in St. Georgen bereits hinter sich hatte, waren ihm immer noch seine erlittenen Entbehrungen in der Kindheit und Jugendzeit vor Augen.
Das damals Erlebte hat sich bei ihm wohl regelrecht eingebrannt. Immer wieder sei es beim Nachmittagskaffee oder abends in irgendeiner geselligen Runde mit einer Zigarre in der Hand, brach es aus ihm heraus und er musste dann einfach davon erzählen, was es damals in seiner Kindheit für ihn bedeutete, bettelarm zu sein und keine Hilfe zu erhalten. Seine schlimmen Erfahrungen haben ihn sein Leben lang angetrieben, mitzuhelfen und daran mitzuarbeiten, dass es anderen möglichst nicht gleich ergehen sollte.
Sein soziales Engagement zeigte sich beim Aufbau des genossenschaftlichen Lebensmittelgeschäftes „Konsum“ und bei der Mitarbeit in vielen St. Georgener Vereinen. Während des Dritten Reiches behandelte er jüdische Handelsvertreter mit großem Respekt und versuchte immer wieder, bedürftige St. Georgener bei Dual einzustellen, um diesen einen ausreichenden Lebensunterhalt zu verschaffen. Ein Beispiel für seine Hilfsbereitschaft, aber auch für seinen Mut, ist mit einem Mann verbunden, der in der alten wohlbekannten Gaststätte in St. Georgen, im Löwen, im Suff einen Arbeiter erschlagen hatte. Er saß danach viele Jahre im Villinger Gefängnis und hatte nach seiner Entlassung große Probleme in St. Georgen wieder Fuß zu fassen. Wieder eine Arbeit zu finden, schien für ihn fast unmöglich. Mein Opa hatte als Betriebsleiter bei der Firma Dual gerade wieder ein paar wenige Einstellungen vorzunehmen und so bot er dem gesellschaftlich geächteten und vorbestraften Mann eine Stelle an, obwohl eine Reihe von qualifizierten Bewerbern schon an der Tür angeklopft hatten.
Mein Opa ging dabei ein persönliches Risiko ein, nämlich im Betrieb wegen dieser Einstellung heftig angegriffen zu werden, aber er tat es trotzdem und bot dem Vorbestraften die Chance, wieder ein normales Leben führen zu können. Dieser hat es ihm, wie sich später zeigen sollte, auch auf seine Weise gedankt. Denn er machte bei Dual Karriere und wurde bis zum Obermeister befördert.
Johann war aber auch sehr durchsetzungsstark. Als seine älteste Tochter Hilda einmal schwer erkrankte und sogar ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Sie lag dort über Wochen ohne erkennbare Verbesserung ihres Gesundheitszustandes. Johann schaffte es, gegen den Willen der Ärzte, einen Heilpraktiker an ihr Bett zu bekommen, der seiner Tochter dann auch tatsächlich helfen konnte.