Читать книгу Regen am Nil - Rainer Kilian - Страница 12

Оглавление

Das Mumienritual

Früh am Morgen ging Senenmut nach Karnak zum Tempel des Amun, wie er es Hapuseneb zugesagt hatte. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Seine Gefühle waren so durcheinander, wie sie nur sein konnten. Diese Erscheinung im Tempel war so tief in sein Herz gedrungen, dass er für einige Zeit den Schmerz vergaß, der so in ihm wütete. Nie zuvor war ihm ein Augenpaar so unvergesslich ins Gedächtnis gebrannt. Dieser warme, fast zärtliche Blick schien ihn beinahe vergessen zu lassen, welche Pflichten auf ihn im Tempel warteten. Auch das raubte ihm den Schlaf. Er wusste genau, dass die Mumifizierung seines Vaters eine Prüfung für ihn sein würde, ohne die man ihn nicht in den Tempel aufnehmen würde.

So kämpfte er die ganze Nacht mit seinen widersprüchlichen Empfindungen. Seinem Schmerz über den Verlust, seine Angst vor der Prüfung und dem Gefühl der Zuneigung zu dieser bezaubernden Gestalt im Tempel.

Doch mit dem Morgengrauen überwog die Angst vor dem kommenden Tag. Er hatte seiner Mutter gesagt, dass man ihn vielleicht im Tempel aufnehmen wollte, aber nicht um welchen Preis. Hatnofer war erfreut darüber und deutete die Sorgenfalten in Senenmuts Gesicht als Trauer. Senenmut hatte sich von seinem Lager erhoben und wusch sich in einer Schale mit Wasser, die ihm seine Mutter brachte. Dann war er seinen wohl schwersten Gang gegangen und stand nun vor dem Eingang des Tempel-Bezirks. Schon sehr früh erwachte das Leben im Tempel. Die Priester vollzogen ihre Gebete und brachten ihre Opfer für die Statuen der Götter dar. Bauern brachten ihre Abgaben zu den Kornspeichern und stritten mit den Beamten lautstark um den ihnen verbleibenden Anteil. Handwerker zogen in den Tempel, um Bilder zu restaurieren, Inschriften zu vervollständigen und neue Obelisken und Statuen zu vollenden. Lediglich die Halle mit dem Heiligtum, der Barke des Amun, war den Priestern und Pharao Thutmosis I. vorbehalten.

Senenmut waren dieser Anblick vertraut. Für einen Moment dachte er, dass er in diesem Ameisenhaufen seinen Vater erblicken würde. Aber schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er ihn hier nie mehr sehen würde. Er musste nicht lange nach Hapuseneb suchen, der ihn freudig begrüßte.

„Senenmut! Sei gegrüßt. Ich freue mich, dass du gekommen bist. Bist du bereit?“ „Ja, ich stehe zu deinen Diensten“, antwortete er ihm.

„Dann lass uns keine Zeit verlieren. Wir haben viel zu tun. Der Krieg gegen die Mitanni hat uns viel Arbeit gebracht. Es gilt, die Körper unserer tapferen Krieger zu bewahren. Ich werde dir unterwegs alles erzählen, was du wissen musst!“ Gemeinsam begaben sie sich ans Nilufer, wo die Hütten zum Präparieren der Mumien standen.

„Warst du schon einmal dabei, wenn unsere Körper für die Ewigkeit bereitet werden?“, fragte er Senenmut.

„Nein, aber mein Vater hat mir viel darüber erzählt.“

„Dann werde ich dir alles erklären. Nur Anubis selbst, der Totenwächter, darf die Toten berühren.“ Sie waren an den Hütten angekommen. Er reichte Senenmut eine Maske aus Holz, die den schakalköpfigen Anubis darstellte.

„Setz sie auf, bevor wir den ersten Raum betreten“, forderte Hapuseneb ihn auf. Er reichte ihm einen Papyrus und Tinte. „Du musst als Schreiber dokumentieren, was wir bei der Mumifizierung vornehmen. In der Maske nehmen wir die Gestalt des Anubis an und handeln anstelle der Götter. Folge mir nun!“ Senenmut war sehr schnell klar, warum die Hütten direkt am Nilufer waren. Senenmut hatte im Krieg gegen die Mitanni den Geruch erlebt, den der Tod verbreitet. Aber der Gestank, der ihm nun entgegenschlug, war unbeschreiblich.

Hapuseneb betrat mit Senenmut den Raum, in dem ein Toter auf einem steinernen Tisch lag. Zwei Priester hatten bereits alle Instrumente zur Präparation bereitgelegt. Senenmut schwankte, er traute sich kaum, zu atmen. Die Luft schien in seiner Lunge zu kleben.

„Setz dich hierher, von hier kannst du alles sehen und aufschreiben“, sagte Hapuseneb. „Beginnt nun mit der Öffnung!“, forderte er die beiden Priester auf, die ebenfalls in der Maske des Anubis verkleidet waren. Sie beugten sich über den Toten auf dem Tisch, der in einer wannenförmigen Vertiefung lag. Mit einem Obsidian-Messer stach der Priester in die Seite und machte einen tiefen Schnitt von den Rippen abwärts bis an die Hüfte. Zischend entwichen Gase aus dem Leib. Der zweite Priester nahm eine flache Schale und zog die hervorquellenden Organe heraus. Der süßliche Verwesungsgeruch verstärkte sich noch mehr.

Senenmuts Magen rebellierte, aber er konzentrierte sich auf seine Schrift. Hapuseneb erklärte ihm die weiteren Schritte: „Um unsere Körper für das Binsengefilde zu bewahren, müssen wir den Leib entleeren. Die Organe werden in Salz gelegt und in eigenen Gefäßen versiegelt.“ Die Priester entfernten durch den Schnitt alle Organe und legten jedes in eine Schale, die mit Salzen angefüllt war. Danach bogen sie den Kopf des Toten nach hinten und führten einen Haken aus Bronze in die Nase ein. So zogen sie Stück für Stück das Gehirn heraus. Senenmut sehnte sich nach frischer Luft, aber er tat sein bestes, um sein Talent als Schreiber darzustellen. „Jetzt füllen wir den leeren Leib mit Salzen aus dem Tal der Salzerden, welches sich in Richtung des Sonnenuntergangs, seitlich vom Delta des Nils befindet“, erläuterte Hapuseneb.

Die Priester hatten den Körper gewaschen und gereinigt, bevor sie die Leibeshöhle nun mit Natronsalz füllten. Dann hoben sie ihn vom Tisch herunter in eine sargartige Wanne, die etwas mit Salzerde gefüllt war. Die Arme wurden am Körper entlang angelegt. Anschließend wurde die Wanne mit feuchter Salzerde ganz gefüllt, bis der Körper bedeckt war. Hapuseneb öffnete jetzt die Türen und ein frischer Lufthauch empfing Senenmut, dem der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief. Die Holzmaske war ihm sehr schwer geworden. Er war glücklich darüber, als Hapuseneb ihm bedeutete, sie abzunehmen. Gierig sog er die Luft in seine Lungen. Hapuseneb nahm die Papyrusrollen, die Senenmut beschrieben hatte.

„Das sieht sehr gut aus, Senenmut! Dein Vater hat nicht übertrieben, als er dein Talent lobte.“

„Ich danke dir. Du sagtest gestern, dass ich dabei sein soll, wenn mein Vater balsamiert wird. Wird das heute sein?“ Er nutzte die Chance zu fragen, da sie im Moment alleine waren. Hapuseneb legte beschwichtigend seinen Arm um seine Schulter.

„Nun, ich denke, es wäre dir angenehmer, wenn ein anderer diese Aufgabe erledigt. Ich selbst habe mir erlaubt, den Leib deines Vaters vorzubereiten.“ Senenmut fiel ein Stein vom Herzen.

„Als ich gestern sagte, dass du das Begräbnis mit vorbereiten sollst, meinte ich die Papyrusrollen mit den Gebeten für das Totengericht. Ich werde dir einige Rollen davon geben. Deine Aufgabe ist es, diese zu kopieren und deinem Vater mitzugeben, damit er vor Osiris Zeugnis geben kann von seinem Leben.“

Senenmut nahm die Hände Hapusenebs in die seinen und drückte sie. „Ich danke dir, dass du meinem Vater diese Ehre erweist. Meine Familie wird sicher sein, dass alles nach den alten Riten geschehen wird, die meinem Vater so wichtig waren.“

„Und du wirst deinem Vater ein würdiger Nachfolger sein, das sehe ich jetzt schon. Mancher neue Schreiber ist schon beim ersten Mal in der Mumienhalle umgefallen. Lass uns ein Bad im Nil nehmen und uns waschen. Dann gehen wir zum Tempel und essen.“ Senenmut war erfreut, dass er die erste Prüfung bestanden hatte. Der Gedanke an Essen kam ihm noch nicht, der Geruch der Toten klebte noch an ihm. Umso dankbarer war er für das Angebot, baden zu können.

Danach kam der Appetit von ganz alleine, als sie wieder zum Tempel gingen. „In 40 Tagen ist der Körper bereit zum Balsamieren“, führte Hapuseneb seine Erläuterungen fort. „Wir werden nach dem Essen zurückkehren und einen weiteren Körper bereit machen.“

Senenmut war schon wieder bereit, auf sein Essen zu verzichten. „Keine Sorge, wir haben einen hohen Beamten, der bereits in der Salzerde lag. Deine Nase wird alles Weitere als Wohltat empfinden.“ So nahmen sie ihr Essen ein und unterhielten sich über dies und das. Die erste Anspannung war von Senenmut abgefallen und er war froh, etwas zu erzählen. Hapuseneb berichtete ihm Neues, was alles in Theben während seiner Abwesenheit passiert war.

„Es geht die Kunde in Theben, dass Thutmosis seinen Sohn nach seiner Rückkehr aus Mitanni zu seinem Nachfolger ernennen wird. Er heißt ebenfalls Thutmosis und ist ein Sohn der Nebengemahlin Mutnofret. Die drei Söhne seiner ersten Frau Ahmose sind alle gestorben und sie hat ihm lediglich noch eine Tochter geboren.“

„Dann ist trotzdem die göttliche Linie des Pharaos gesichert!“, folgerte Senenmut richtig.

„Das stimmt zwar“, bestätigte Hapuseneb. „Aber der junge Thutmosis ist krank und schwächlich. Wenn man den Erzählungen Glauben schenken will, so soll er sogar unfähig sein, Nachkommen zu zeugen! Dann wäre die Maat ernsthaft in Gefahr. Aber man sollte nicht alles glauben, was die Waschweiber am Nil erzählen“, wiegelte er ab.

So schlenderten sie gemütlich plaudernd zurück zum Nilufer. Dort stülpten sie wieder die Anubis-Masken über, die den ganzen Kopf verhüllten und schwer auf ihren Schultern lasteten. Aber nur so nahmen sie die Gestalt des Gottes an. Nur er konnte der Mumie das Leben wiedergeben.

Sie betraten die Halle am Ufer, und Senenmut registrierte den deutlich besseren Geruch in der Luft. Auf einem Holztisch, dessen Füße in stilisierten Löwentatzen endeten, lag ein mumifizierter Körper. Das Salz hatte ihn komplett ausgetrocknet und die Haut war dunkel verfärbt. Die Priester füllten zuerst die ausgetrocknete Leibeshöhle mit harzgetränkten Sägespänen und gaben so dem Körper seine alte Form zurück. Nachdem Brustkorb und Bauch gefüllt waren, legte ein Priester ein erstes Udjat-Amulett mit dem Horus-Auge auf den Schnitt, durch den man zuvor die Organe entfernt hatte. So wurde die Wunde versiegelt und kein böser Geist konnte eindringen und den Körper zerstören. Zeitgleich formte der zweite Priester die eingefallene Nase nach, indem er Pfefferkörner und ölgetränkte Leinenbinden hineinschob.

Senenmut schrieb währenddessen die Gebete auf Papier, die Hapuseneb während der Zeremonie sprach. Die bereits mumifizierten Organe wurden in vier Kanopen gefüllt. Jeweils eine war bestimmt für Leber, Lungen, Magen und restliche Gedärme. Dann wurden sie versiegelt.

„Die Söhne des Horus wachen über die Unversehrtheit der Innereien. Amset, der menschenköpfige, wache! Hapi, der Pavian, wache! Duamutef, hundeköpfiger, wache! Kebehsenuef, der Falke, wache!“, betete Hapuseneb. Die Priester befestigten Amulette am Körper der Mumie, indem sie viele Meter lange, feine Gaze um sie wickelten. Ein Skarabäus für das Herz, Ringe für die Finger. Breite, parfümierte Stoffbänder bildeten den Abschluss. Eine vergoldete Maske wurde auf das Gesicht des Verstorbenen gelegt, die dessen Züge trug.

Hapuseneb erklärte: „Das Ka kann seinen Körper besser erkennen und sich wieder mit ihm vereinen.“ Senenmut hatte zwischendurch die Papyrusrollen mit den Gebeten an die Priester weitergereicht. Sie wurden unter den Armen und an den Beinen befestigt und mit eingewickelt. Der Duft der Gewürze und Öle füllte die Luft. Hapuseneb zeigte Senenmut die wichtigsten Öle und Kräuter und ließ ihn riechen. „Das hier ist Hekenu-Öl. Es wird aus geharztem Wein hergestellt und verdickt.“ Senenmut hatte viel zu lernen, und ehe man es sich versah, neigte sich der Tag seinem Ende zu.

Zum Sonnenuntergang trafen sich die Priester im Tempel zum Gebet. Man sprach Amun Dank und betete, dass die Sonne morgen wieder aufgehen möge. Nach Ende des Gebets sprach Hapuseneb zu den anwesenden Priestern. „Hört, meine Brüder! Wir alle vermissen Ramose aus Iuni, einen unserer besten Schreiber. Noch bevor wir seinen Körper für das Binsengefilde bereiten, ist heute sein Sohn unter uns, um seine Nachfolge anzutreten. Ich habe ihn geprüft und für würdig befunden. Als sein Fürsprecher bitte ich euch, ihn in unsere Mitte aufzunehmen!“ Hapuseneb war einer der Jüngsten unter ihnen, aber sein Wort hatte Gewicht.

Ein älterer Priester kam auf Senenmut zu und sah ihn prüfend an. „Ja, ich kann mich gut an deinen Vater erinnern. Er war dir gewiss ein guter Lehrer. Du hast die Augen deines Vaters und gewiss auch seinen Verstand. Sei willkommen!“ Er fasste ihn bei den Schultern und zog ihn an sich. Senenmut kamen vor Freude die Tränen. Er war in den Tempel aufgenommen.

Regen am Nil

Подняться наверх